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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Abendländische Blicke auf den Orient.

Die Türkei und Polen. -- Der Türke des neunzehnten Jahrhunderts. --
Der lange Vorabend großer Ereignisse. -- Noch ist die Türkei nicht verlo¬
ren. -- Christlich-griechische Morcilien. -- Die Büreaukratie in Konstantinopel.
-- Der Türke als Privatmann und als öffentlicher Charakter. -- Sultan
Mahmud als Reformator. -- Anekdote. -- Der hinkende Teufel, oder Talley-
rand im Serail. -- Neue todt^es i"zi"nu?s in Aussicht. -- Ein türkischer
Schlagflusi und kaiserliche Thränen. -- Reschid - Pascha, der konstantinopoli-
tanische Hardenberg. -- v"im,,,n tromv"". -- Das Decret des Rosenpavil¬
lons, oder die türkische Constitution. -- Kritik des Decrets von Gul-Haus.
-- Der besonnene Fortschritt in der Türkei und . . . anderswo, -- Orden
und Pelze. -- Die neue Wendung. --

Es sind kaum über hundert und fünfzig Jahre, da stand die
Fahne Mahomeds unter den Maklern von Wien und bedrohte die
Christenheit, der türkische Halbmond wollte die Sonne des Occidents
verfinstern. Und wenn einst Polen ans der Geschichte ganz ver¬
schwinden sollte, doch wird das undankbare Europa nicht verges¬
sen, wer in der damaligen Noth sein feurigster und muthigster Hel¬
fer war. Das ritterliche Polen schlug den letzten Sturm des bar¬
barischen Orients auf die Civilisation zurück. Aber wie haben sich
seitdem die Weltverhältnisse geändert! Der Kampf zwischen dem
Dränger und dem Retter Europa's ist für beide verhängnisvoll ge¬
wesen. Die Türkei sank, als sie aufhörte, ein Schrecken der Welt
zu sein, zum Gegenstände des Mitleids herab, und Polen ließ man
fallen, da man es nicht mehr als Bollwerk gegen den barbarischen
Orient brauchte. Denn man scheint im vorigen Jahrhundert nicht
geahnt zu haben, welch ein seltsamer Nollenwcchsel bevorstand und
daß Polen sehr gut ein Schild sein konnte gegen eine neue barba¬
rische Uebermacht. Rußland, welches zur Zeit der letzten Türkenbela-
gcrung Wiens noch in den Windeln lag, ist, obgleich christlich, der
Türke des 19. Jahrhunderts geworden; Polen und die Pforte sind
heutzutage die Handhaben, mit denen es die Thore Europas zu er-


Abendländische Blicke auf den Orient.

Die Türkei und Polen. — Der Türke des neunzehnten Jahrhunderts. —
Der lange Vorabend großer Ereignisse. — Noch ist die Türkei nicht verlo¬
ren. — Christlich-griechische Morcilien. — Die Büreaukratie in Konstantinopel.
— Der Türke als Privatmann und als öffentlicher Charakter. — Sultan
Mahmud als Reformator. — Anekdote. — Der hinkende Teufel, oder Talley-
rand im Serail. — Neue todt^es i«zi«nu?s in Aussicht. — Ein türkischer
Schlagflusi und kaiserliche Thränen. — Reschid - Pascha, der konstantinopoli-
tanische Hardenberg. — v«im,,,n tromv»«. — Das Decret des Rosenpavil¬
lons, oder die türkische Constitution. — Kritik des Decrets von Gul-Haus.
— Der besonnene Fortschritt in der Türkei und . . . anderswo, — Orden
und Pelze. — Die neue Wendung. —

Es sind kaum über hundert und fünfzig Jahre, da stand die
Fahne Mahomeds unter den Maklern von Wien und bedrohte die
Christenheit, der türkische Halbmond wollte die Sonne des Occidents
verfinstern. Und wenn einst Polen ans der Geschichte ganz ver¬
schwinden sollte, doch wird das undankbare Europa nicht verges¬
sen, wer in der damaligen Noth sein feurigster und muthigster Hel¬
fer war. Das ritterliche Polen schlug den letzten Sturm des bar¬
barischen Orients auf die Civilisation zurück. Aber wie haben sich
seitdem die Weltverhältnisse geändert! Der Kampf zwischen dem
Dränger und dem Retter Europa's ist für beide verhängnisvoll ge¬
wesen. Die Türkei sank, als sie aufhörte, ein Schrecken der Welt
zu sein, zum Gegenstände des Mitleids herab, und Polen ließ man
fallen, da man es nicht mehr als Bollwerk gegen den barbarischen
Orient brauchte. Denn man scheint im vorigen Jahrhundert nicht
geahnt zu haben, welch ein seltsamer Nollenwcchsel bevorstand und
daß Polen sehr gut ein Schild sein konnte gegen eine neue barba¬
rische Uebermacht. Rußland, welches zur Zeit der letzten Türkenbela-
gcrung Wiens noch in den Windeln lag, ist, obgleich christlich, der
Türke des 19. Jahrhunderts geworden; Polen und die Pforte sind
heutzutage die Handhaben, mit denen es die Thore Europas zu er-


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[0443] Abendländische Blicke auf den Orient. Die Türkei und Polen. — Der Türke des neunzehnten Jahrhunderts. — Der lange Vorabend großer Ereignisse. — Noch ist die Türkei nicht verlo¬ ren. — Christlich-griechische Morcilien. — Die Büreaukratie in Konstantinopel. — Der Türke als Privatmann und als öffentlicher Charakter. — Sultan Mahmud als Reformator. — Anekdote. — Der hinkende Teufel, oder Talley- rand im Serail. — Neue todt^es i«zi«nu?s in Aussicht. — Ein türkischer Schlagflusi und kaiserliche Thränen. — Reschid - Pascha, der konstantinopoli- tanische Hardenberg. — v«im,,,n tromv»«. — Das Decret des Rosenpavil¬ lons, oder die türkische Constitution. — Kritik des Decrets von Gul-Haus. — Der besonnene Fortschritt in der Türkei und . . . anderswo, — Orden und Pelze. — Die neue Wendung. — Es sind kaum über hundert und fünfzig Jahre, da stand die Fahne Mahomeds unter den Maklern von Wien und bedrohte die Christenheit, der türkische Halbmond wollte die Sonne des Occidents verfinstern. Und wenn einst Polen ans der Geschichte ganz ver¬ schwinden sollte, doch wird das undankbare Europa nicht verges¬ sen, wer in der damaligen Noth sein feurigster und muthigster Hel¬ fer war. Das ritterliche Polen schlug den letzten Sturm des bar¬ barischen Orients auf die Civilisation zurück. Aber wie haben sich seitdem die Weltverhältnisse geändert! Der Kampf zwischen dem Dränger und dem Retter Europa's ist für beide verhängnisvoll ge¬ wesen. Die Türkei sank, als sie aufhörte, ein Schrecken der Welt zu sein, zum Gegenstände des Mitleids herab, und Polen ließ man fallen, da man es nicht mehr als Bollwerk gegen den barbarischen Orient brauchte. Denn man scheint im vorigen Jahrhundert nicht geahnt zu haben, welch ein seltsamer Nollenwcchsel bevorstand und daß Polen sehr gut ein Schild sein konnte gegen eine neue barba¬ rische Uebermacht. Rußland, welches zur Zeit der letzten Türkenbela- gcrung Wiens noch in den Windeln lag, ist, obgleich christlich, der Türke des 19. Jahrhunderts geworden; Polen und die Pforte sind heutzutage die Handhaben, mit denen es die Thore Europas zu er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/443>, abgerufen am 05.02.2025.