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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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handwerksmäßigen College" untergehen zu lassen. Dieser junge Mann
war zum ersten Male zu einer solchen Soiree in einem der Palais
der k. k. Hochtories geladen. Nachdem das Concert zu Ende war
und die hohen Herrschaften zur Contredcmse sich anschickten, wurden
die anwesenden Künstler von dem Kammerdiener eingeladen, sich in
einen andern Saal zu begeben, wo ein Abendessen für sie bereitet
sei. Der erwähnte junge Mann, über eine solche Herabsehung em¬
pört, bestand jedoch darauf, daß ihm ein Fiacker geholt werde, und
als dieser ankam, rief er -- von der breiten Treppe herab dem
Kutscher zu: Fahr mich zum Nebhünl!")

Doch vielleicht liegt die meiste Schuld solcher Scenen an dem
niedrigen Geist vieler unserer Künstler, die bei mehr Achtung
vor sich selbst, auch mehr Achtung von Andern erhalten würden;
vielleicht auch stellt unsere Aristokratie die fahrende Zunft der Mu¬
siker und Schauspieler deshalb weniger hoch, als sie in ihrer eigenen
Mitte Künstler aufzuweisen hat, die den gefeiertsten Meistern nichts
nachgeben. Diese Gerechtigkeit muß man unserem Hochadel lassen.
Musik und Zeichenkunst wird namentlich von dem weiblichen Theile
mit einem Eifer, mit einem Ernst, und zum Theil mit einer Vollen¬
dung getrieben, als sollte dadurch der Mangel an ernster wissen¬
schaftlicher Bildung bei der männlichen Hälfte aufgewogen werden.
Giebt nun das Kunstgenie wegen seiner geringen Seltenheit keine
sociale Ebenbürtigkeit -- so sollte diese um so sicherer dem Genie
in andern Gebieten zuerkannt werden. Die österreichische Aristokratie
hört sich lieber mit der englischen als mit der französischen verglei¬
chen, und ihr jüngster Tribun, der Verfasser der Schrift: "Oesterreich
und seine Zukunft" hat diesen Vergleich offen ausgesprochen. .Wenn
er nur nicht so sehr hinken würde! In dem ni^n like Londons
spielt das Talent eine der wichtigsten Rollen, es ist die ununterbro¬
chene Quelle, aus welcher die Aristokratie ihre Reihen verjüngt.
Der Sohn des Fabrikanten Peel ist einer der vornehmsten und ge¬
feiertesten Männer der hochtorystischen Gesellschaft. Kein Mensch
denkt an die bürgerliche Abstammung Sir Roberts. Und noch viele,
viele andere Männer, die nicht auf so hohem Posten stehen, meh
men in der Gesellschaft vermöge ihres Talentes den Rang ein, den



*) Eine bekannte Kneipe.

handwerksmäßigen College» untergehen zu lassen. Dieser junge Mann
war zum ersten Male zu einer solchen Soiree in einem der Palais
der k. k. Hochtories geladen. Nachdem das Concert zu Ende war
und die hohen Herrschaften zur Contredcmse sich anschickten, wurden
die anwesenden Künstler von dem Kammerdiener eingeladen, sich in
einen andern Saal zu begeben, wo ein Abendessen für sie bereitet
sei. Der erwähnte junge Mann, über eine solche Herabsehung em¬
pört, bestand jedoch darauf, daß ihm ein Fiacker geholt werde, und
als dieser ankam, rief er — von der breiten Treppe herab dem
Kutscher zu: Fahr mich zum Nebhünl!»)

Doch vielleicht liegt die meiste Schuld solcher Scenen an dem
niedrigen Geist vieler unserer Künstler, die bei mehr Achtung
vor sich selbst, auch mehr Achtung von Andern erhalten würden;
vielleicht auch stellt unsere Aristokratie die fahrende Zunft der Mu¬
siker und Schauspieler deshalb weniger hoch, als sie in ihrer eigenen
Mitte Künstler aufzuweisen hat, die den gefeiertsten Meistern nichts
nachgeben. Diese Gerechtigkeit muß man unserem Hochadel lassen.
Musik und Zeichenkunst wird namentlich von dem weiblichen Theile
mit einem Eifer, mit einem Ernst, und zum Theil mit einer Vollen¬
dung getrieben, als sollte dadurch der Mangel an ernster wissen¬
schaftlicher Bildung bei der männlichen Hälfte aufgewogen werden.
Giebt nun das Kunstgenie wegen seiner geringen Seltenheit keine
sociale Ebenbürtigkeit — so sollte diese um so sicherer dem Genie
in andern Gebieten zuerkannt werden. Die österreichische Aristokratie
hört sich lieber mit der englischen als mit der französischen verglei¬
chen, und ihr jüngster Tribun, der Verfasser der Schrift: „Oesterreich
und seine Zukunft" hat diesen Vergleich offen ausgesprochen. .Wenn
er nur nicht so sehr hinken würde! In dem ni^n like Londons
spielt das Talent eine der wichtigsten Rollen, es ist die ununterbro¬
chene Quelle, aus welcher die Aristokratie ihre Reihen verjüngt.
Der Sohn des Fabrikanten Peel ist einer der vornehmsten und ge¬
feiertesten Männer der hochtorystischen Gesellschaft. Kein Mensch
denkt an die bürgerliche Abstammung Sir Roberts. Und noch viele,
viele andere Männer, die nicht auf so hohem Posten stehen, meh
men in der Gesellschaft vermöge ihres Talentes den Rang ein, den



*) Eine bekannte Kneipe.
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[0437] handwerksmäßigen College» untergehen zu lassen. Dieser junge Mann war zum ersten Male zu einer solchen Soiree in einem der Palais der k. k. Hochtories geladen. Nachdem das Concert zu Ende war und die hohen Herrschaften zur Contredcmse sich anschickten, wurden die anwesenden Künstler von dem Kammerdiener eingeladen, sich in einen andern Saal zu begeben, wo ein Abendessen für sie bereitet sei. Der erwähnte junge Mann, über eine solche Herabsehung em¬ pört, bestand jedoch darauf, daß ihm ein Fiacker geholt werde, und als dieser ankam, rief er — von der breiten Treppe herab dem Kutscher zu: Fahr mich zum Nebhünl!») Doch vielleicht liegt die meiste Schuld solcher Scenen an dem niedrigen Geist vieler unserer Künstler, die bei mehr Achtung vor sich selbst, auch mehr Achtung von Andern erhalten würden; vielleicht auch stellt unsere Aristokratie die fahrende Zunft der Mu¬ siker und Schauspieler deshalb weniger hoch, als sie in ihrer eigenen Mitte Künstler aufzuweisen hat, die den gefeiertsten Meistern nichts nachgeben. Diese Gerechtigkeit muß man unserem Hochadel lassen. Musik und Zeichenkunst wird namentlich von dem weiblichen Theile mit einem Eifer, mit einem Ernst, und zum Theil mit einer Vollen¬ dung getrieben, als sollte dadurch der Mangel an ernster wissen¬ schaftlicher Bildung bei der männlichen Hälfte aufgewogen werden. Giebt nun das Kunstgenie wegen seiner geringen Seltenheit keine sociale Ebenbürtigkeit — so sollte diese um so sicherer dem Genie in andern Gebieten zuerkannt werden. Die österreichische Aristokratie hört sich lieber mit der englischen als mit der französischen verglei¬ chen, und ihr jüngster Tribun, der Verfasser der Schrift: „Oesterreich und seine Zukunft" hat diesen Vergleich offen ausgesprochen. .Wenn er nur nicht so sehr hinken würde! In dem ni^n like Londons spielt das Talent eine der wichtigsten Rollen, es ist die ununterbro¬ chene Quelle, aus welcher die Aristokratie ihre Reihen verjüngt. Der Sohn des Fabrikanten Peel ist einer der vornehmsten und ge¬ feiertesten Männer der hochtorystischen Gesellschaft. Kein Mensch denkt an die bürgerliche Abstammung Sir Roberts. Und noch viele, viele andere Männer, die nicht auf so hohem Posten stehen, meh men in der Gesellschaft vermöge ihres Talentes den Rang ein, den *) Eine bekannte Kneipe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/437>, abgerufen am 05.02.2025.