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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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zeitgemäße Verfassung zu erwerbe". Er entwickelte seine Ansichten
in den ersten Sitzungen des Ausschusses mit der größten Klarheit
und Gründlichkeit, und es glückte ihm, zunächst den Ausschuß und
mittelst dieses sodann auch die Ständeversammlung sür seine Ueber¬
zeugung zu gewinnen.

Jordan rühmt von den Ständen dieses constituirenden Land¬
tags, daß eine Eintracht, eine Biederkeit der Gesinnung und eine
Thätigkeit durchweg geherrscht habe, welche nichts zu wünschen
übrig ließ. Er selbst trug aber nicht wenig dazu bei, die Eintracht
zu erhalten und du Thätigkeit zu beleben. Selbst weder der Ritter¬
schaft noch dem Bürger- oder Bauerstande seiner äußeren Stellung
nach angehörig, war er am besten dazu geeignet, die zwischen diesen
StandeSklassen entstehenden Reibungen und Conflicte unparteiisch
auszugleichen, und dies gelang ihm jedesmal, da ihm wegen seiner
redlichen Gesinnung und seiner strengen Rechtlichkeit in der Behand¬
lung der Rechte und Rechtsverhältnisse der verschiedenen Standes¬
klassen, so wie wegen seiner publicistischen Kenntnisse das Vertrauen
der ganzen Versammlung entgegenkam. Nur unter so günstigen Ver¬
hältnissen, sagt er, konnte in so kurzer Zeit ein Verfassungswerk zu
Stande kommen, welches die Ncrgleichung mit andern Constitutionen
Deutschlands nicht zu scheuen hatte.

Die Landstände blieben nach dem 9. Januar noch bis zum 9.
März 1831 versammelt und erledigten in dieser kurzen Zeit mehre
wichtige mit der Verfassung zusammenhängende Gesetze, namentlich
das Wahlgesetz, die Gesetze über die landständische Geschäftsordnung,
über den Haus- und den Staatsschatz, so wie über mehre indirecte
Abgaben, über die Stellung der Staatsdiener und den Landtags-
abschied.

Die Aufregung außerhalb der Kammer war während dieser
Zeit sehr groß. Im October war die Unruhe besonders dadurch ge¬
steigert worden, daß Maßregeln, wie die Besetzung der Commandan-
tur von Cassel mit einem Manne, der für einen großen Feind aller
Neuerungen galt, einem Herrn von Lossberg, die Zusammenziehung
der Militärmacht in der Nähe der Hauptstadt und die Verzögerung
der Bürgerbewaffnung Argwohn erregten. Als am 17. Oktober das
Militär auf wehrlose Volkshaufen einHieb, verwandelte sich das
Mißtrauen gegen die Negierung in Erbitterung, und diese Erbitte-


zeitgemäße Verfassung zu erwerbe». Er entwickelte seine Ansichten
in den ersten Sitzungen des Ausschusses mit der größten Klarheit
und Gründlichkeit, und es glückte ihm, zunächst den Ausschuß und
mittelst dieses sodann auch die Ständeversammlung sür seine Ueber¬
zeugung zu gewinnen.

Jordan rühmt von den Ständen dieses constituirenden Land¬
tags, daß eine Eintracht, eine Biederkeit der Gesinnung und eine
Thätigkeit durchweg geherrscht habe, welche nichts zu wünschen
übrig ließ. Er selbst trug aber nicht wenig dazu bei, die Eintracht
zu erhalten und du Thätigkeit zu beleben. Selbst weder der Ritter¬
schaft noch dem Bürger- oder Bauerstande seiner äußeren Stellung
nach angehörig, war er am besten dazu geeignet, die zwischen diesen
StandeSklassen entstehenden Reibungen und Conflicte unparteiisch
auszugleichen, und dies gelang ihm jedesmal, da ihm wegen seiner
redlichen Gesinnung und seiner strengen Rechtlichkeit in der Behand¬
lung der Rechte und Rechtsverhältnisse der verschiedenen Standes¬
klassen, so wie wegen seiner publicistischen Kenntnisse das Vertrauen
der ganzen Versammlung entgegenkam. Nur unter so günstigen Ver¬
hältnissen, sagt er, konnte in so kurzer Zeit ein Verfassungswerk zu
Stande kommen, welches die Ncrgleichung mit andern Constitutionen
Deutschlands nicht zu scheuen hatte.

Die Landstände blieben nach dem 9. Januar noch bis zum 9.
März 1831 versammelt und erledigten in dieser kurzen Zeit mehre
wichtige mit der Verfassung zusammenhängende Gesetze, namentlich
das Wahlgesetz, die Gesetze über die landständische Geschäftsordnung,
über den Haus- und den Staatsschatz, so wie über mehre indirecte
Abgaben, über die Stellung der Staatsdiener und den Landtags-
abschied.

Die Aufregung außerhalb der Kammer war während dieser
Zeit sehr groß. Im October war die Unruhe besonders dadurch ge¬
steigert worden, daß Maßregeln, wie die Besetzung der Commandan-
tur von Cassel mit einem Manne, der für einen großen Feind aller
Neuerungen galt, einem Herrn von Lossberg, die Zusammenziehung
der Militärmacht in der Nähe der Hauptstadt und die Verzögerung
der Bürgerbewaffnung Argwohn erregten. Als am 17. Oktober das
Militär auf wehrlose Volkshaufen einHieb, verwandelte sich das
Mißtrauen gegen die Negierung in Erbitterung, und diese Erbitte-


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[0399] zeitgemäße Verfassung zu erwerbe». Er entwickelte seine Ansichten in den ersten Sitzungen des Ausschusses mit der größten Klarheit und Gründlichkeit, und es glückte ihm, zunächst den Ausschuß und mittelst dieses sodann auch die Ständeversammlung sür seine Ueber¬ zeugung zu gewinnen. Jordan rühmt von den Ständen dieses constituirenden Land¬ tags, daß eine Eintracht, eine Biederkeit der Gesinnung und eine Thätigkeit durchweg geherrscht habe, welche nichts zu wünschen übrig ließ. Er selbst trug aber nicht wenig dazu bei, die Eintracht zu erhalten und du Thätigkeit zu beleben. Selbst weder der Ritter¬ schaft noch dem Bürger- oder Bauerstande seiner äußeren Stellung nach angehörig, war er am besten dazu geeignet, die zwischen diesen StandeSklassen entstehenden Reibungen und Conflicte unparteiisch auszugleichen, und dies gelang ihm jedesmal, da ihm wegen seiner redlichen Gesinnung und seiner strengen Rechtlichkeit in der Behand¬ lung der Rechte und Rechtsverhältnisse der verschiedenen Standes¬ klassen, so wie wegen seiner publicistischen Kenntnisse das Vertrauen der ganzen Versammlung entgegenkam. Nur unter so günstigen Ver¬ hältnissen, sagt er, konnte in so kurzer Zeit ein Verfassungswerk zu Stande kommen, welches die Ncrgleichung mit andern Constitutionen Deutschlands nicht zu scheuen hatte. Die Landstände blieben nach dem 9. Januar noch bis zum 9. März 1831 versammelt und erledigten in dieser kurzen Zeit mehre wichtige mit der Verfassung zusammenhängende Gesetze, namentlich das Wahlgesetz, die Gesetze über die landständische Geschäftsordnung, über den Haus- und den Staatsschatz, so wie über mehre indirecte Abgaben, über die Stellung der Staatsdiener und den Landtags- abschied. Die Aufregung außerhalb der Kammer war während dieser Zeit sehr groß. Im October war die Unruhe besonders dadurch ge¬ steigert worden, daß Maßregeln, wie die Besetzung der Commandan- tur von Cassel mit einem Manne, der für einen großen Feind aller Neuerungen galt, einem Herrn von Lossberg, die Zusammenziehung der Militärmacht in der Nähe der Hauptstadt und die Verzögerung der Bürgerbewaffnung Argwohn erregten. Als am 17. Oktober das Militär auf wehrlose Volkshaufen einHieb, verwandelte sich das Mißtrauen gegen die Negierung in Erbitterung, und diese Erbitte-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/399>, abgerufen am 05.02.2025.