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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Aber halt! Du besinnst dich endlich: diese tobende Stimme, die
dir neu ist, hat ja, seit die Welt steht, noch niemals aufgehört zu
schreien, und diese drohenden Donner rollen schon seit Jahrtausenden,
ohne zu dem Schlußpunkt zu kommen, den sie zu suchen scheinen.
Und es durchrieselt dich, wie eine Ahnung der Ewigkeit.

Bis spät in die Nacht bin ich auf dem Damm geblieben, aber
ich könnte dir unmöglich Rechenschaft geben von Dem, was mir
durch den Kopf ging und was mir das Herz bewegte. Nur so viel
weiß ich noch, ich hörte einige Leute sprechen von einer Gelegenheit
nach London und dazu lärmte die ferne Fluth wie eine höhnische
Antwort; in diesem Augenblick, ich gestehe es, frappirte mich die
Kühnheit des Menschen im Seefahren wie etwas Neues. Ich habe
die ganze Zeit keine Beobachtungen angestellt, ich sah nicht einmal
hinaus auf die Wogen, sondern horchte, ganz Ohr, ihrer Beethoven-
schen Nachtmusik. Man befreundet sich sehr bald mit der Stimme
deS Meeres; du brauchst nur eine Biertelstunde zu lauschen und
sie scheint dir, statt zürnend und drohend, voll von klagendem Ge¬
sang. Du unterscheidest bald auch die leisem Töne in dem Niesen-
orchester, daS Flüstern und Klingen des Windes auf geschwungener
Wogcnsaite; tausend neue Stimmen steigen in deinem eigenen In¬
nern auf und du meinst die Bäche und Bächlein deiner Heimath
wiederzuhören, die im Ocean nach langer Wanderung ein Ziel ge¬
funden haben. Es liegt ein fesselnder, melancholischer Reiz im Ge-
brause dieses Elements und du fühlst bald eine tiefe Sympathie
dafür, wie für ein großes menschliches Wesen. Selbst seine grau¬
samen Stürme wirst du ihm nicht übel nehmen. Wo es sich an
den felsigen Knochen des Landes bricht, da heult und klagt es wie
ein Gefangener. Aber draußen in seinen einsamen Wüsten, da ist
es ruhig und groß und spricht, leise murmelnd, mit sich selbst, bis
die Stunde des Sturmes kommt, wo es sich der alten Freiheit er-
-innert und weinend in bewußtloser Naserei sich hin und herwirft.
Warum stört ihr es auch in solcher heiligen Stunde mit euren klei¬
nen Geschäften, mit euren Waarenballen und dem andern Spielkram
auf prahlerischer Schifflein? Seht, das gewaltige Meer ist auch
gut und geduldig. Kleine Kinder dürfen mit dem Saume seines
wallenden Kleides spielen, bleiche Pastoren, furchtsame Stubenge¬
lehrte und hysterische Weiber dürfen es zur Badewanne machen, in


Aber halt! Du besinnst dich endlich: diese tobende Stimme, die
dir neu ist, hat ja, seit die Welt steht, noch niemals aufgehört zu
schreien, und diese drohenden Donner rollen schon seit Jahrtausenden,
ohne zu dem Schlußpunkt zu kommen, den sie zu suchen scheinen.
Und es durchrieselt dich, wie eine Ahnung der Ewigkeit.

Bis spät in die Nacht bin ich auf dem Damm geblieben, aber
ich könnte dir unmöglich Rechenschaft geben von Dem, was mir
durch den Kopf ging und was mir das Herz bewegte. Nur so viel
weiß ich noch, ich hörte einige Leute sprechen von einer Gelegenheit
nach London und dazu lärmte die ferne Fluth wie eine höhnische
Antwort; in diesem Augenblick, ich gestehe es, frappirte mich die
Kühnheit des Menschen im Seefahren wie etwas Neues. Ich habe
die ganze Zeit keine Beobachtungen angestellt, ich sah nicht einmal
hinaus auf die Wogen, sondern horchte, ganz Ohr, ihrer Beethoven-
schen Nachtmusik. Man befreundet sich sehr bald mit der Stimme
deS Meeres; du brauchst nur eine Biertelstunde zu lauschen und
sie scheint dir, statt zürnend und drohend, voll von klagendem Ge¬
sang. Du unterscheidest bald auch die leisem Töne in dem Niesen-
orchester, daS Flüstern und Klingen des Windes auf geschwungener
Wogcnsaite; tausend neue Stimmen steigen in deinem eigenen In¬
nern auf und du meinst die Bäche und Bächlein deiner Heimath
wiederzuhören, die im Ocean nach langer Wanderung ein Ziel ge¬
funden haben. Es liegt ein fesselnder, melancholischer Reiz im Ge-
brause dieses Elements und du fühlst bald eine tiefe Sympathie
dafür, wie für ein großes menschliches Wesen. Selbst seine grau¬
samen Stürme wirst du ihm nicht übel nehmen. Wo es sich an
den felsigen Knochen des Landes bricht, da heult und klagt es wie
ein Gefangener. Aber draußen in seinen einsamen Wüsten, da ist
es ruhig und groß und spricht, leise murmelnd, mit sich selbst, bis
die Stunde des Sturmes kommt, wo es sich der alten Freiheit er-
-innert und weinend in bewußtloser Naserei sich hin und herwirft.
Warum stört ihr es auch in solcher heiligen Stunde mit euren klei¬
nen Geschäften, mit euren Waarenballen und dem andern Spielkram
auf prahlerischer Schifflein? Seht, das gewaltige Meer ist auch
gut und geduldig. Kleine Kinder dürfen mit dem Saume seines
wallenden Kleides spielen, bleiche Pastoren, furchtsame Stubenge¬
lehrte und hysterische Weiber dürfen es zur Badewanne machen, in


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[0388] Aber halt! Du besinnst dich endlich: diese tobende Stimme, die dir neu ist, hat ja, seit die Welt steht, noch niemals aufgehört zu schreien, und diese drohenden Donner rollen schon seit Jahrtausenden, ohne zu dem Schlußpunkt zu kommen, den sie zu suchen scheinen. Und es durchrieselt dich, wie eine Ahnung der Ewigkeit. Bis spät in die Nacht bin ich auf dem Damm geblieben, aber ich könnte dir unmöglich Rechenschaft geben von Dem, was mir durch den Kopf ging und was mir das Herz bewegte. Nur so viel weiß ich noch, ich hörte einige Leute sprechen von einer Gelegenheit nach London und dazu lärmte die ferne Fluth wie eine höhnische Antwort; in diesem Augenblick, ich gestehe es, frappirte mich die Kühnheit des Menschen im Seefahren wie etwas Neues. Ich habe die ganze Zeit keine Beobachtungen angestellt, ich sah nicht einmal hinaus auf die Wogen, sondern horchte, ganz Ohr, ihrer Beethoven- schen Nachtmusik. Man befreundet sich sehr bald mit der Stimme deS Meeres; du brauchst nur eine Biertelstunde zu lauschen und sie scheint dir, statt zürnend und drohend, voll von klagendem Ge¬ sang. Du unterscheidest bald auch die leisem Töne in dem Niesen- orchester, daS Flüstern und Klingen des Windes auf geschwungener Wogcnsaite; tausend neue Stimmen steigen in deinem eigenen In¬ nern auf und du meinst die Bäche und Bächlein deiner Heimath wiederzuhören, die im Ocean nach langer Wanderung ein Ziel ge¬ funden haben. Es liegt ein fesselnder, melancholischer Reiz im Ge- brause dieses Elements und du fühlst bald eine tiefe Sympathie dafür, wie für ein großes menschliches Wesen. Selbst seine grau¬ samen Stürme wirst du ihm nicht übel nehmen. Wo es sich an den felsigen Knochen des Landes bricht, da heult und klagt es wie ein Gefangener. Aber draußen in seinen einsamen Wüsten, da ist es ruhig und groß und spricht, leise murmelnd, mit sich selbst, bis die Stunde des Sturmes kommt, wo es sich der alten Freiheit er- -innert und weinend in bewußtloser Naserei sich hin und herwirft. Warum stört ihr es auch in solcher heiligen Stunde mit euren klei¬ nen Geschäften, mit euren Waarenballen und dem andern Spielkram auf prahlerischer Schifflein? Seht, das gewaltige Meer ist auch gut und geduldig. Kleine Kinder dürfen mit dem Saume seines wallenden Kleides spielen, bleiche Pastoren, furchtsame Stubenge¬ lehrte und hysterische Weiber dürfen es zur Badewanne machen, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/388>, abgerufen am 05.02.2025.