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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Darstellung der Antigone von Sophokles zum Vortheil einer milden
Anstalt, wobei Anschütz den Sprecher geben soll und die mit Musik
von Mendelssohn-Bartholdy ausgestatteten Chöre von dem hiesigen
Männergesangsvereine gesungen werden. -- Der Begründer der Lie¬
dertafel, Dr. Schmidt, Redacteur der Musikzeitung, hat seine Stelle
als Secretär des Vereins niedergelegt und an seiner Statt wurde
I)r. Egger, ein hiesiger Advocat, gewählt. Als Zeichen der Anerken¬
nung wurde dem abtretenden Dr. Schmidt von Seiten der Mitglieder
ein schöner silberner Ehrenbecher übergeben.

An den nöthigsten Nahrungsmitteln, nämlich an Mehl und
Kartoffeln, ist kein eigentlicher Mangel zu empfinden, doch schlagen
die Preise dergestalt auf, daß eine zahlreiche Menschenclasse bei schwie¬
rigem Erwerb kaum in der Lage sein wird, dies- nothwendigen Dinge
zu kaufen. Die Staatsverwaltung kann nur im äußersten Falle in
eine Ermäßigung des Einfuhrzolles und der Accise willigen und geht
lieber auf Geldvorschüsse ein, als sich einen Hauptquell der Einkünfte
zu verstopfen.

Auf der Taborbrücke, welche auf die Straße nach Mähren führt,
und auf der bedeutende Zufuhren für die Residenz anlangen, entstand
jüngst ein Tumult, der glücklicher Weise nicht weiter griff, und
durch die Klugheit der Behörden sogleich unterdrückt wurde. Die
Bauerwagen, die zum Markte fuhren, hatten sich gehäuft und die
Langsamkeit der Acciseverwaltung am Thore nöthigte den langen Zug
zu mehrstündigem Warten. Als der Aufseher endlich mit einem
Weinbauer wegen eines unvisirtcn Fasses in Wortwechsel geriet!) und
im Streite den Säbel zog, entstand eine gräßliche Verwirrung an
der Brücke und die Landleute rotteten sich drohend zusammen, so daß
die Wache herbeigeholt werden mußte und um militärische Verstär¬
kung in die Slave geschickt ward. Doch erschien alsbald ein Ordon¬
nanzoffizier zu Pferde und befahl, daß alle harrenden Wagen unver¬
züglich und ohne Aufenthalt am Thore Hereinsahren sollten, was denn
auch geschah, ohne daß die Bauern diesmal die gesetzliche Verzsh-
rungssteuer bezahlen dursten. Auf diese Weise war die Passage in
wenig Minuten frei und die Ordnung wieder hergestellt.

Unter den vielen Fremden, welche gegenwartig hier verweilen, be¬
merkt man auch den jüngsten Sohn des irischen Agitators O'Eon-
nell und den Redacteur des wissenschaftlichen Theiles in dem Rie¬
senblatte L'Epoquc Abb6 Mociqno, der als Chemiker eines ausgezeich¬
neten Rufes genießt. Er ist 'auf einer Reise durch Deutschland be¬
griffen und wird auch den Norden besuchen, um literarische Anknü¬
pfungen einzuleiten und Correspondenten für diese Zeitung großarti¬
gen Stokes anzuwerben. Hofrath Mosen in Oldenburg und der dra¬
matische Schriftsteller Benedir wollen gleichfalls hierher kommen, beide
in Angelegenheiten ihrer Stücke. Jedenfalls muß man sich Wundern,


47.

Darstellung der Antigone von Sophokles zum Vortheil einer milden
Anstalt, wobei Anschütz den Sprecher geben soll und die mit Musik
von Mendelssohn-Bartholdy ausgestatteten Chöre von dem hiesigen
Männergesangsvereine gesungen werden. — Der Begründer der Lie¬
dertafel, Dr. Schmidt, Redacteur der Musikzeitung, hat seine Stelle
als Secretär des Vereins niedergelegt und an seiner Statt wurde
I)r. Egger, ein hiesiger Advocat, gewählt. Als Zeichen der Anerken¬
nung wurde dem abtretenden Dr. Schmidt von Seiten der Mitglieder
ein schöner silberner Ehrenbecher übergeben.

An den nöthigsten Nahrungsmitteln, nämlich an Mehl und
Kartoffeln, ist kein eigentlicher Mangel zu empfinden, doch schlagen
die Preise dergestalt auf, daß eine zahlreiche Menschenclasse bei schwie¬
rigem Erwerb kaum in der Lage sein wird, dies- nothwendigen Dinge
zu kaufen. Die Staatsverwaltung kann nur im äußersten Falle in
eine Ermäßigung des Einfuhrzolles und der Accise willigen und geht
lieber auf Geldvorschüsse ein, als sich einen Hauptquell der Einkünfte
zu verstopfen.

Auf der Taborbrücke, welche auf die Straße nach Mähren führt,
und auf der bedeutende Zufuhren für die Residenz anlangen, entstand
jüngst ein Tumult, der glücklicher Weise nicht weiter griff, und
durch die Klugheit der Behörden sogleich unterdrückt wurde. Die
Bauerwagen, die zum Markte fuhren, hatten sich gehäuft und die
Langsamkeit der Acciseverwaltung am Thore nöthigte den langen Zug
zu mehrstündigem Warten. Als der Aufseher endlich mit einem
Weinbauer wegen eines unvisirtcn Fasses in Wortwechsel geriet!) und
im Streite den Säbel zog, entstand eine gräßliche Verwirrung an
der Brücke und die Landleute rotteten sich drohend zusammen, so daß
die Wache herbeigeholt werden mußte und um militärische Verstär¬
kung in die Slave geschickt ward. Doch erschien alsbald ein Ordon¬
nanzoffizier zu Pferde und befahl, daß alle harrenden Wagen unver¬
züglich und ohne Aufenthalt am Thore Hereinsahren sollten, was denn
auch geschah, ohne daß die Bauern diesmal die gesetzliche Verzsh-
rungssteuer bezahlen dursten. Auf diese Weise war die Passage in
wenig Minuten frei und die Ordnung wieder hergestellt.

Unter den vielen Fremden, welche gegenwartig hier verweilen, be¬
merkt man auch den jüngsten Sohn des irischen Agitators O'Eon-
nell und den Redacteur des wissenschaftlichen Theiles in dem Rie¬
senblatte L'Epoquc Abb6 Mociqno, der als Chemiker eines ausgezeich¬
neten Rufes genießt. Er ist 'auf einer Reise durch Deutschland be¬
griffen und wird auch den Norden besuchen, um literarische Anknü¬
pfungen einzuleiten und Correspondenten für diese Zeitung großarti¬
gen Stokes anzuwerben. Hofrath Mosen in Oldenburg und der dra¬
matische Schriftsteller Benedir wollen gleichfalls hierher kommen, beide
in Angelegenheiten ihrer Stücke. Jedenfalls muß man sich Wundern,


47.
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[0371] Darstellung der Antigone von Sophokles zum Vortheil einer milden Anstalt, wobei Anschütz den Sprecher geben soll und die mit Musik von Mendelssohn-Bartholdy ausgestatteten Chöre von dem hiesigen Männergesangsvereine gesungen werden. — Der Begründer der Lie¬ dertafel, Dr. Schmidt, Redacteur der Musikzeitung, hat seine Stelle als Secretär des Vereins niedergelegt und an seiner Statt wurde I)r. Egger, ein hiesiger Advocat, gewählt. Als Zeichen der Anerken¬ nung wurde dem abtretenden Dr. Schmidt von Seiten der Mitglieder ein schöner silberner Ehrenbecher übergeben. An den nöthigsten Nahrungsmitteln, nämlich an Mehl und Kartoffeln, ist kein eigentlicher Mangel zu empfinden, doch schlagen die Preise dergestalt auf, daß eine zahlreiche Menschenclasse bei schwie¬ rigem Erwerb kaum in der Lage sein wird, dies- nothwendigen Dinge zu kaufen. Die Staatsverwaltung kann nur im äußersten Falle in eine Ermäßigung des Einfuhrzolles und der Accise willigen und geht lieber auf Geldvorschüsse ein, als sich einen Hauptquell der Einkünfte zu verstopfen. Auf der Taborbrücke, welche auf die Straße nach Mähren führt, und auf der bedeutende Zufuhren für die Residenz anlangen, entstand jüngst ein Tumult, der glücklicher Weise nicht weiter griff, und durch die Klugheit der Behörden sogleich unterdrückt wurde. Die Bauerwagen, die zum Markte fuhren, hatten sich gehäuft und die Langsamkeit der Acciseverwaltung am Thore nöthigte den langen Zug zu mehrstündigem Warten. Als der Aufseher endlich mit einem Weinbauer wegen eines unvisirtcn Fasses in Wortwechsel geriet!) und im Streite den Säbel zog, entstand eine gräßliche Verwirrung an der Brücke und die Landleute rotteten sich drohend zusammen, so daß die Wache herbeigeholt werden mußte und um militärische Verstär¬ kung in die Slave geschickt ward. Doch erschien alsbald ein Ordon¬ nanzoffizier zu Pferde und befahl, daß alle harrenden Wagen unver¬ züglich und ohne Aufenthalt am Thore Hereinsahren sollten, was denn auch geschah, ohne daß die Bauern diesmal die gesetzliche Verzsh- rungssteuer bezahlen dursten. Auf diese Weise war die Passage in wenig Minuten frei und die Ordnung wieder hergestellt. Unter den vielen Fremden, welche gegenwartig hier verweilen, be¬ merkt man auch den jüngsten Sohn des irischen Agitators O'Eon- nell und den Redacteur des wissenschaftlichen Theiles in dem Rie¬ senblatte L'Epoquc Abb6 Mociqno, der als Chemiker eines ausgezeich¬ neten Rufes genießt. Er ist 'auf einer Reise durch Deutschland be¬ griffen und wird auch den Norden besuchen, um literarische Anknü¬ pfungen einzuleiten und Correspondenten für diese Zeitung großarti¬ gen Stokes anzuwerben. Hofrath Mosen in Oldenburg und der dra¬ matische Schriftsteller Benedir wollen gleichfalls hierher kommen, beide in Angelegenheiten ihrer Stücke. Jedenfalls muß man sich Wundern, 47.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/371>, abgerufen am 05.02.2025.