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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Beharrlichkeit die Selbstständigkeit seiner Stellung gegenüber den
übergreifenden Ansprüchen der Staatsgewalt; doch fand seine Oppo¬
sition damals eine gerechte Würdigung bei dem churhesstschen Staats¬
ministerium und der Vorstand des Ministeriums des Innern schenkte
ihm ein Vertrauen, welches sich unter Anderem dadurch bethätigte,
daß Jordan im Jahre 18S7 den Auftrag zur Revision der akade¬
mischen Gesetze erhielt. Nicht minder bereitwillig, als er sie muth¬
voll vertheidigte, ließ Jordan als Prorector den Genuß der acade-
mischen Freiheit den academischen Bürgern zu Gute kommen Er
machte den Studenten seine Würde nicht als gestrenger Gebieter,
sein Amt nicht als willkürlicher Verwalter einer willkürlichen Diö-
ciplinargewalt oder als überall belästigender Aufseher fühlbar, sondern
bewies sich ihnen, wie schon früher in seiner gewöhnlichen Stellung
als Lehrer, so jetzt in erhöhetem Maße als väterlicher Freund und
liebevoller Berather. Sein natürliches, volksthümliches, Alle mit
gleicher Liebe umfassendes Wesen zeigte sich am deutlichsten in dem
innigen Verkehre, welchem er in allen Kreisen der Gesellschaft zu¬
gänglich war. Er liebte eS nicht, den deutschen Professor zu spie¬
len , welcher sich auf seinem Katheder und in seiner Studierstube von
der gestimmten übrigen Welt abschließt. Jordan war jeder Zeit frei
von dem Wahne, als sei alle Fülle der Lebenserfahrung von dem
Stande der Gelehrten in "ausschließlichen Erbpacht genommen. Er
achtete es nicht unter des Professors Würde, zu den sogenannten
niederen Ständen herab zu steigen und sich mit gemüthlicher Unbe¬
fangenheit unter ihre geselligen Kreise zu mischen. Selbst ein Sohn
des Volkes hatte er durch die glänzenden Erfolge seines rastlosen
Strebens, durch die mit eigener Kraft errungene ehrenvolle Stellung
sich nicht zu dem Uebermuthe gemeiner Emporkömmlinge verleiten
lassen, welche es lieben, den vermeintlichen Makel ihrer niederen
Herkunft durch gänzliches Lossagen, durch geflissentliche Entziehung
von den Standesgenossen ihrer Wiege zu verwischen, und es dem Un¬
vorsichtigen oder Rückhaltlosen nie verzeihen, sie nur entfernt an ih¬
ren Ursprung erinnert zu haben; nicht sah er im Verkehre mit seinen
Umgebungen auf Stand und Rang; seine gediegene Herzensbildung
ließ ihn stets die Würde des Menschen in dem Geringsten anerken¬
nen, und befähigte ihn, alle Stellungen und Verhältnisse des gesell¬
schaftlichen Lebens aus dem angemessenen Gesichtspuncte aufzufassen, sich


Beharrlichkeit die Selbstständigkeit seiner Stellung gegenüber den
übergreifenden Ansprüchen der Staatsgewalt; doch fand seine Oppo¬
sition damals eine gerechte Würdigung bei dem churhesstschen Staats¬
ministerium und der Vorstand des Ministeriums des Innern schenkte
ihm ein Vertrauen, welches sich unter Anderem dadurch bethätigte,
daß Jordan im Jahre 18S7 den Auftrag zur Revision der akade¬
mischen Gesetze erhielt. Nicht minder bereitwillig, als er sie muth¬
voll vertheidigte, ließ Jordan als Prorector den Genuß der acade-
mischen Freiheit den academischen Bürgern zu Gute kommen Er
machte den Studenten seine Würde nicht als gestrenger Gebieter,
sein Amt nicht als willkürlicher Verwalter einer willkürlichen Diö-
ciplinargewalt oder als überall belästigender Aufseher fühlbar, sondern
bewies sich ihnen, wie schon früher in seiner gewöhnlichen Stellung
als Lehrer, so jetzt in erhöhetem Maße als väterlicher Freund und
liebevoller Berather. Sein natürliches, volksthümliches, Alle mit
gleicher Liebe umfassendes Wesen zeigte sich am deutlichsten in dem
innigen Verkehre, welchem er in allen Kreisen der Gesellschaft zu¬
gänglich war. Er liebte eS nicht, den deutschen Professor zu spie¬
len , welcher sich auf seinem Katheder und in seiner Studierstube von
der gestimmten übrigen Welt abschließt. Jordan war jeder Zeit frei
von dem Wahne, als sei alle Fülle der Lebenserfahrung von dem
Stande der Gelehrten in "ausschließlichen Erbpacht genommen. Er
achtete es nicht unter des Professors Würde, zu den sogenannten
niederen Ständen herab zu steigen und sich mit gemüthlicher Unbe¬
fangenheit unter ihre geselligen Kreise zu mischen. Selbst ein Sohn
des Volkes hatte er durch die glänzenden Erfolge seines rastlosen
Strebens, durch die mit eigener Kraft errungene ehrenvolle Stellung
sich nicht zu dem Uebermuthe gemeiner Emporkömmlinge verleiten
lassen, welche es lieben, den vermeintlichen Makel ihrer niederen
Herkunft durch gänzliches Lossagen, durch geflissentliche Entziehung
von den Standesgenossen ihrer Wiege zu verwischen, und es dem Un¬
vorsichtigen oder Rückhaltlosen nie verzeihen, sie nur entfernt an ih¬
ren Ursprung erinnert zu haben; nicht sah er im Verkehre mit seinen
Umgebungen auf Stand und Rang; seine gediegene Herzensbildung
ließ ihn stets die Würde des Menschen in dem Geringsten anerken¬
nen, und befähigte ihn, alle Stellungen und Verhältnisse des gesell¬
schaftlichen Lebens aus dem angemessenen Gesichtspuncte aufzufassen, sich


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[0350] Beharrlichkeit die Selbstständigkeit seiner Stellung gegenüber den übergreifenden Ansprüchen der Staatsgewalt; doch fand seine Oppo¬ sition damals eine gerechte Würdigung bei dem churhesstschen Staats¬ ministerium und der Vorstand des Ministeriums des Innern schenkte ihm ein Vertrauen, welches sich unter Anderem dadurch bethätigte, daß Jordan im Jahre 18S7 den Auftrag zur Revision der akade¬ mischen Gesetze erhielt. Nicht minder bereitwillig, als er sie muth¬ voll vertheidigte, ließ Jordan als Prorector den Genuß der acade- mischen Freiheit den academischen Bürgern zu Gute kommen Er machte den Studenten seine Würde nicht als gestrenger Gebieter, sein Amt nicht als willkürlicher Verwalter einer willkürlichen Diö- ciplinargewalt oder als überall belästigender Aufseher fühlbar, sondern bewies sich ihnen, wie schon früher in seiner gewöhnlichen Stellung als Lehrer, so jetzt in erhöhetem Maße als väterlicher Freund und liebevoller Berather. Sein natürliches, volksthümliches, Alle mit gleicher Liebe umfassendes Wesen zeigte sich am deutlichsten in dem innigen Verkehre, welchem er in allen Kreisen der Gesellschaft zu¬ gänglich war. Er liebte eS nicht, den deutschen Professor zu spie¬ len , welcher sich auf seinem Katheder und in seiner Studierstube von der gestimmten übrigen Welt abschließt. Jordan war jeder Zeit frei von dem Wahne, als sei alle Fülle der Lebenserfahrung von dem Stande der Gelehrten in "ausschließlichen Erbpacht genommen. Er achtete es nicht unter des Professors Würde, zu den sogenannten niederen Ständen herab zu steigen und sich mit gemüthlicher Unbe¬ fangenheit unter ihre geselligen Kreise zu mischen. Selbst ein Sohn des Volkes hatte er durch die glänzenden Erfolge seines rastlosen Strebens, durch die mit eigener Kraft errungene ehrenvolle Stellung sich nicht zu dem Uebermuthe gemeiner Emporkömmlinge verleiten lassen, welche es lieben, den vermeintlichen Makel ihrer niederen Herkunft durch gänzliches Lossagen, durch geflissentliche Entziehung von den Standesgenossen ihrer Wiege zu verwischen, und es dem Un¬ vorsichtigen oder Rückhaltlosen nie verzeihen, sie nur entfernt an ih¬ ren Ursprung erinnert zu haben; nicht sah er im Verkehre mit seinen Umgebungen auf Stand und Rang; seine gediegene Herzensbildung ließ ihn stets die Würde des Menschen in dem Geringsten anerken¬ nen, und befähigte ihn, alle Stellungen und Verhältnisse des gesell¬ schaftlichen Lebens aus dem angemessenen Gesichtspuncte aufzufassen, sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/350>, abgerufen am 05.02.2025.