Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

um mich des Ausdruckes eines Geschichtschreibers zu bedienen, zum
nationalem Centrum geworden war. Bei den Wahlen zu Ende des
Jahres 1827 konnte man sagen, daß Royer-Collard nicht allein die
sieben Wahlcollegieu, welche ihn wählten, sondern ganz Frankreich
vertrat, welches gegen das Ministerium Villele, aber noch nicht
gegen die Bourbonen feindlich gesinnt war. Zwei Jahre später ver¬
trat Royer-Collard, Dank sei es dem Ministerium Polignac, nichts
mehr, als sich selber.

Ich muß rasch über diese schone Periode in dem Leben Rvyer-
Collardö hinweggehen, sie ist übrigens bekannt genug, um jedes
Commentars zu entbehren. Seine Rede gegen das Recht der Erst¬
geburt, seine Rede gegen das lächerliche und grausame Gesetz über
den Kirchenraub, seine Rede gegen jenes Unterdrückungsgesetz der
freien Presse, welches dessen übelwollender Urheber das Gesetz der
Gerechtigkeit und Liebe nannte, diese und viele andere Reden wer¬
den als Muster parlamentarischer Beredsamkeit fortdauern. Die
Academie wollte in Royer-Collard die französische Rednerbühne ehren
und berief ihn im Jahre 1827 in ihre Mitte.

Das ehrliche aber schwache Ministerium Martignac konnte die
Dynastie nicht retten, das Ministerium Polignac vollendete ihren
Untergang. Der Abgrund öffnete sich gähnend, um sie zu verschlin¬
gen, als Royer-Collard, Präsident der Kammer und Organ jener
parlamentarischen Souveränität, welche seine Lehre überflügelte, zum
letzten Male die Schwelle der Tuillerien überschritt. Mit noch immer
ernster, aber jetzt tiefgerührter Stimme, sprach dieser alte Diener der
Legitimität ihr Todesurtheil aus. Royer-Collard erwartete eben so
wenig als Karl X. eine Revolution, er wünschte sie eben so wenig,
aber da der Rechtsgrundsatz von der Kammer einmal aufgestellt und
von dem Königthums zurückgewiesen war, so ergab sich die Revolution
als Consequenz daraus; sie berührte Royer-Collard aufs Schmerz¬
lichste. Auf dem Lande während der drei Tage zurückgezogen lebend,
zögerte er einige Zeit, nach Paris zurückzukommen. Zum Vice-Prä-
sidenten der Kammer ernannt, weigerte er sich der Thron-Sitzung
Ludwig Philipp's beizuwohnen und das Protocoll zu unterzeichnen.
Endlich als alles ^vollendet war, kehrte er in die Kammer zurück,
aber traurig, glnchgiltig, schweigend, wie ein Mann, dessen politi¬
sches Leben zu Ende ist. Als er die Pairie in ihrem Principe be-


um mich des Ausdruckes eines Geschichtschreibers zu bedienen, zum
nationalem Centrum geworden war. Bei den Wahlen zu Ende des
Jahres 1827 konnte man sagen, daß Royer-Collard nicht allein die
sieben Wahlcollegieu, welche ihn wählten, sondern ganz Frankreich
vertrat, welches gegen das Ministerium Villele, aber noch nicht
gegen die Bourbonen feindlich gesinnt war. Zwei Jahre später ver¬
trat Royer-Collard, Dank sei es dem Ministerium Polignac, nichts
mehr, als sich selber.

Ich muß rasch über diese schone Periode in dem Leben Rvyer-
Collardö hinweggehen, sie ist übrigens bekannt genug, um jedes
Commentars zu entbehren. Seine Rede gegen das Recht der Erst¬
geburt, seine Rede gegen das lächerliche und grausame Gesetz über
den Kirchenraub, seine Rede gegen jenes Unterdrückungsgesetz der
freien Presse, welches dessen übelwollender Urheber das Gesetz der
Gerechtigkeit und Liebe nannte, diese und viele andere Reden wer¬
den als Muster parlamentarischer Beredsamkeit fortdauern. Die
Academie wollte in Royer-Collard die französische Rednerbühne ehren
und berief ihn im Jahre 1827 in ihre Mitte.

Das ehrliche aber schwache Ministerium Martignac konnte die
Dynastie nicht retten, das Ministerium Polignac vollendete ihren
Untergang. Der Abgrund öffnete sich gähnend, um sie zu verschlin¬
gen, als Royer-Collard, Präsident der Kammer und Organ jener
parlamentarischen Souveränität, welche seine Lehre überflügelte, zum
letzten Male die Schwelle der Tuillerien überschritt. Mit noch immer
ernster, aber jetzt tiefgerührter Stimme, sprach dieser alte Diener der
Legitimität ihr Todesurtheil aus. Royer-Collard erwartete eben so
wenig als Karl X. eine Revolution, er wünschte sie eben so wenig,
aber da der Rechtsgrundsatz von der Kammer einmal aufgestellt und
von dem Königthums zurückgewiesen war, so ergab sich die Revolution
als Consequenz daraus; sie berührte Royer-Collard aufs Schmerz¬
lichste. Auf dem Lande während der drei Tage zurückgezogen lebend,
zögerte er einige Zeit, nach Paris zurückzukommen. Zum Vice-Prä-
sidenten der Kammer ernannt, weigerte er sich der Thron-Sitzung
Ludwig Philipp's beizuwohnen und das Protocoll zu unterzeichnen.
Endlich als alles ^vollendet war, kehrte er in die Kammer zurück,
aber traurig, glnchgiltig, schweigend, wie ein Mann, dessen politi¬
sches Leben zu Ende ist. Als er die Pairie in ihrem Principe be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271295"/>
          <p xml:id="ID_83" prev="#ID_82"> um mich des Ausdruckes eines Geschichtschreibers zu bedienen, zum<lb/>
nationalem Centrum geworden war. Bei den Wahlen zu Ende des<lb/>
Jahres 1827 konnte man sagen, daß Royer-Collard nicht allein die<lb/>
sieben Wahlcollegieu, welche ihn wählten, sondern ganz Frankreich<lb/>
vertrat, welches gegen das Ministerium Villele, aber noch nicht<lb/>
gegen die Bourbonen feindlich gesinnt war. Zwei Jahre später ver¬<lb/>
trat Royer-Collard, Dank sei es dem Ministerium Polignac, nichts<lb/>
mehr, als sich selber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84"> Ich muß rasch über diese schone Periode in dem Leben Rvyer-<lb/>
Collardö hinweggehen, sie ist übrigens bekannt genug, um jedes<lb/>
Commentars zu entbehren. Seine Rede gegen das Recht der Erst¬<lb/>
geburt, seine Rede gegen das lächerliche und grausame Gesetz über<lb/>
den Kirchenraub, seine Rede gegen jenes Unterdrückungsgesetz der<lb/>
freien Presse, welches dessen übelwollender Urheber das Gesetz der<lb/>
Gerechtigkeit und Liebe nannte, diese und viele andere Reden wer¬<lb/>
den als Muster parlamentarischer Beredsamkeit fortdauern. Die<lb/>
Academie wollte in Royer-Collard die französische Rednerbühne ehren<lb/>
und berief ihn im Jahre 1827 in ihre Mitte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85" next="#ID_86"> Das ehrliche aber schwache Ministerium Martignac konnte die<lb/>
Dynastie nicht retten, das Ministerium Polignac vollendete ihren<lb/>
Untergang. Der Abgrund öffnete sich gähnend, um sie zu verschlin¬<lb/>
gen, als Royer-Collard, Präsident der Kammer und Organ jener<lb/>
parlamentarischen Souveränität, welche seine Lehre überflügelte, zum<lb/>
letzten Male die Schwelle der Tuillerien überschritt. Mit noch immer<lb/>
ernster, aber jetzt tiefgerührter Stimme, sprach dieser alte Diener der<lb/>
Legitimität ihr Todesurtheil aus. Royer-Collard erwartete eben so<lb/>
wenig als Karl X. eine Revolution, er wünschte sie eben so wenig,<lb/>
aber da der Rechtsgrundsatz von der Kammer einmal aufgestellt und<lb/>
von dem Königthums zurückgewiesen war, so ergab sich die Revolution<lb/>
als Consequenz daraus; sie berührte Royer-Collard aufs Schmerz¬<lb/>
lichste. Auf dem Lande während der drei Tage zurückgezogen lebend,<lb/>
zögerte er einige Zeit, nach Paris zurückzukommen. Zum Vice-Prä-<lb/>
sidenten der Kammer ernannt, weigerte er sich der Thron-Sitzung<lb/>
Ludwig Philipp's beizuwohnen und das Protocoll zu unterzeichnen.<lb/>
Endlich als alles ^vollendet war, kehrte er in die Kammer zurück,<lb/>
aber traurig, glnchgiltig, schweigend, wie ein Mann, dessen politi¬<lb/>
sches Leben zu Ende ist. Als er die Pairie in ihrem Principe be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] um mich des Ausdruckes eines Geschichtschreibers zu bedienen, zum nationalem Centrum geworden war. Bei den Wahlen zu Ende des Jahres 1827 konnte man sagen, daß Royer-Collard nicht allein die sieben Wahlcollegieu, welche ihn wählten, sondern ganz Frankreich vertrat, welches gegen das Ministerium Villele, aber noch nicht gegen die Bourbonen feindlich gesinnt war. Zwei Jahre später ver¬ trat Royer-Collard, Dank sei es dem Ministerium Polignac, nichts mehr, als sich selber. Ich muß rasch über diese schone Periode in dem Leben Rvyer- Collardö hinweggehen, sie ist übrigens bekannt genug, um jedes Commentars zu entbehren. Seine Rede gegen das Recht der Erst¬ geburt, seine Rede gegen das lächerliche und grausame Gesetz über den Kirchenraub, seine Rede gegen jenes Unterdrückungsgesetz der freien Presse, welches dessen übelwollender Urheber das Gesetz der Gerechtigkeit und Liebe nannte, diese und viele andere Reden wer¬ den als Muster parlamentarischer Beredsamkeit fortdauern. Die Academie wollte in Royer-Collard die französische Rednerbühne ehren und berief ihn im Jahre 1827 in ihre Mitte. Das ehrliche aber schwache Ministerium Martignac konnte die Dynastie nicht retten, das Ministerium Polignac vollendete ihren Untergang. Der Abgrund öffnete sich gähnend, um sie zu verschlin¬ gen, als Royer-Collard, Präsident der Kammer und Organ jener parlamentarischen Souveränität, welche seine Lehre überflügelte, zum letzten Male die Schwelle der Tuillerien überschritt. Mit noch immer ernster, aber jetzt tiefgerührter Stimme, sprach dieser alte Diener der Legitimität ihr Todesurtheil aus. Royer-Collard erwartete eben so wenig als Karl X. eine Revolution, er wünschte sie eben so wenig, aber da der Rechtsgrundsatz von der Kammer einmal aufgestellt und von dem Königthums zurückgewiesen war, so ergab sich die Revolution als Consequenz daraus; sie berührte Royer-Collard aufs Schmerz¬ lichste. Auf dem Lande während der drei Tage zurückgezogen lebend, zögerte er einige Zeit, nach Paris zurückzukommen. Zum Vice-Prä- sidenten der Kammer ernannt, weigerte er sich der Thron-Sitzung Ludwig Philipp's beizuwohnen und das Protocoll zu unterzeichnen. Endlich als alles ^vollendet war, kehrte er in die Kammer zurück, aber traurig, glnchgiltig, schweigend, wie ein Mann, dessen politi¬ sches Leben zu Ende ist. Als er die Pairie in ihrem Principe be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/34>, abgerufen am 05.02.2025.