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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Kräfte aus allen Lebenskreisen. Vom Casino, das hier wie überall
florirt, kann für diesen Zweck nicht die Rede sein. Die Officiere der
Garnison haben zwar in regelmäßigen Zwischenräumen Zusammen¬
künfte mit wissenschaftlichen Vortragen, aber diese halten sich doch
nur auf Einem Gebiete, so sehr auch ihr Vorstand bemüht ist, Viel¬
seitigkeit hervorzurufen. Eine kleinere Gesellschaft, welche täglich bei
ihrer Tafelrunde zu finden ist, regt sich in Besprechung wenigstens
der Tagesinteressen durch eine vielseitigere Auffassung gegenseitig an,
da ihre Theilnehmer verschiedenen Berufskreisen angehören. Aber
ein Centralpunkt für die Interessen der Kunst und Wissenschaft, ein
freier Verkehr Aller, welche Sinn dafür haben, Unterhaltung, Dis¬
kussion und Vortrage wechselnd, das fehlt uns. Und gerade in einer
Mittelstadt wäre doch dieser Gedanke recht ausführbar. Dem litera¬
rischen Bedürfniß genügen drei Buchhandlungen, welche Nova zur
Ansicht schicken und nach geschehener Ansicht in der Regel zurück
empfangen, einige Lese- und Journalzirkel und mehrere Leihbibliothe¬
ken. Musik wird mit mehr oder mindern Erfolge gepflegt, ein sehr
freundlich gebautes Theater bringt uns die neuesten Erscheinungen
der dramatischen Poesie und der Oper. Würde es nur von Seiten
des Publicums nach Verdienst unterstützt! Der Director Leo hat
Alles gethan, um der Stadt eine Bühne zu schaffen, die ihr Ehre
macht. Unsere Oper namentlich ist recht gut. Konradin Kreutzer,
der seit einiger Zeit hier weilt, um seine jüngste Tochter, ein Mit¬
glied unserer Bühne, noch zu leiten, wird in nächster Woche sein
Nachtlager von Granada selbst dirigiren.

In der Stadt wogt jetzt eben das Treiben der Messe, welche
zwar nächsten Sonntag erst eingeläutet wird, dann aber in der Regel
wenigstens ihr Großhandel -- schon beendigt ist. Die Bethei¬
ligten zeigen sich im Allgemeinen zufrieden; das muß man anneh¬
men der Art der Klagen nach, die laut werden; denn bei Kaufleuten
wie bei Landleuten geht es ganz ohne Klagen niemals ab. Einige
haben in der That ernstlich zu klagen, und zwar aus sonderbarer
Veranlassung. Nämlich das Verbot der jüdischen Tracht in Nußland
hat große Verluste nach sich gezogen. Ich sah in einer Niederlage
ganze Stöße jener hochgelben Tücher, welche die Judensrauen dort
turbanartig um den Kopf trugen, nun völlig werthlos geworden trotz
des feinsten Stoffes, weil sie hier Niemand kaufen mag. Eine
andere Handlung hat für 50,000 Thaler seidene Binden, wie sie
zur jüdischen Männertracht gehörten, die nun zu Nichts zu gebrau¬
chen sind, liegen und möchte sie gerne für ein Zehntheil des Werthes
losschlagen.


Kräfte aus allen Lebenskreisen. Vom Casino, das hier wie überall
florirt, kann für diesen Zweck nicht die Rede sein. Die Officiere der
Garnison haben zwar in regelmäßigen Zwischenräumen Zusammen¬
künfte mit wissenschaftlichen Vortragen, aber diese halten sich doch
nur auf Einem Gebiete, so sehr auch ihr Vorstand bemüht ist, Viel¬
seitigkeit hervorzurufen. Eine kleinere Gesellschaft, welche täglich bei
ihrer Tafelrunde zu finden ist, regt sich in Besprechung wenigstens
der Tagesinteressen durch eine vielseitigere Auffassung gegenseitig an,
da ihre Theilnehmer verschiedenen Berufskreisen angehören. Aber
ein Centralpunkt für die Interessen der Kunst und Wissenschaft, ein
freier Verkehr Aller, welche Sinn dafür haben, Unterhaltung, Dis¬
kussion und Vortrage wechselnd, das fehlt uns. Und gerade in einer
Mittelstadt wäre doch dieser Gedanke recht ausführbar. Dem litera¬
rischen Bedürfniß genügen drei Buchhandlungen, welche Nova zur
Ansicht schicken und nach geschehener Ansicht in der Regel zurück
empfangen, einige Lese- und Journalzirkel und mehrere Leihbibliothe¬
ken. Musik wird mit mehr oder mindern Erfolge gepflegt, ein sehr
freundlich gebautes Theater bringt uns die neuesten Erscheinungen
der dramatischen Poesie und der Oper. Würde es nur von Seiten
des Publicums nach Verdienst unterstützt! Der Director Leo hat
Alles gethan, um der Stadt eine Bühne zu schaffen, die ihr Ehre
macht. Unsere Oper namentlich ist recht gut. Konradin Kreutzer,
der seit einiger Zeit hier weilt, um seine jüngste Tochter, ein Mit¬
glied unserer Bühne, noch zu leiten, wird in nächster Woche sein
Nachtlager von Granada selbst dirigiren.

In der Stadt wogt jetzt eben das Treiben der Messe, welche
zwar nächsten Sonntag erst eingeläutet wird, dann aber in der Regel
wenigstens ihr Großhandel — schon beendigt ist. Die Bethei¬
ligten zeigen sich im Allgemeinen zufrieden; das muß man anneh¬
men der Art der Klagen nach, die laut werden; denn bei Kaufleuten
wie bei Landleuten geht es ganz ohne Klagen niemals ab. Einige
haben in der That ernstlich zu klagen, und zwar aus sonderbarer
Veranlassung. Nämlich das Verbot der jüdischen Tracht in Nußland
hat große Verluste nach sich gezogen. Ich sah in einer Niederlage
ganze Stöße jener hochgelben Tücher, welche die Judensrauen dort
turbanartig um den Kopf trugen, nun völlig werthlos geworden trotz
des feinsten Stoffes, weil sie hier Niemand kaufen mag. Eine
andere Handlung hat für 50,000 Thaler seidene Binden, wie sie
zur jüdischen Männertracht gehörten, die nun zu Nichts zu gebrau¬
chen sind, liegen und möchte sie gerne für ein Zehntheil des Werthes
losschlagen.


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[0330] Kräfte aus allen Lebenskreisen. Vom Casino, das hier wie überall florirt, kann für diesen Zweck nicht die Rede sein. Die Officiere der Garnison haben zwar in regelmäßigen Zwischenräumen Zusammen¬ künfte mit wissenschaftlichen Vortragen, aber diese halten sich doch nur auf Einem Gebiete, so sehr auch ihr Vorstand bemüht ist, Viel¬ seitigkeit hervorzurufen. Eine kleinere Gesellschaft, welche täglich bei ihrer Tafelrunde zu finden ist, regt sich in Besprechung wenigstens der Tagesinteressen durch eine vielseitigere Auffassung gegenseitig an, da ihre Theilnehmer verschiedenen Berufskreisen angehören. Aber ein Centralpunkt für die Interessen der Kunst und Wissenschaft, ein freier Verkehr Aller, welche Sinn dafür haben, Unterhaltung, Dis¬ kussion und Vortrage wechselnd, das fehlt uns. Und gerade in einer Mittelstadt wäre doch dieser Gedanke recht ausführbar. Dem litera¬ rischen Bedürfniß genügen drei Buchhandlungen, welche Nova zur Ansicht schicken und nach geschehener Ansicht in der Regel zurück empfangen, einige Lese- und Journalzirkel und mehrere Leihbibliothe¬ ken. Musik wird mit mehr oder mindern Erfolge gepflegt, ein sehr freundlich gebautes Theater bringt uns die neuesten Erscheinungen der dramatischen Poesie und der Oper. Würde es nur von Seiten des Publicums nach Verdienst unterstützt! Der Director Leo hat Alles gethan, um der Stadt eine Bühne zu schaffen, die ihr Ehre macht. Unsere Oper namentlich ist recht gut. Konradin Kreutzer, der seit einiger Zeit hier weilt, um seine jüngste Tochter, ein Mit¬ glied unserer Bühne, noch zu leiten, wird in nächster Woche sein Nachtlager von Granada selbst dirigiren. In der Stadt wogt jetzt eben das Treiben der Messe, welche zwar nächsten Sonntag erst eingeläutet wird, dann aber in der Regel wenigstens ihr Großhandel — schon beendigt ist. Die Bethei¬ ligten zeigen sich im Allgemeinen zufrieden; das muß man anneh¬ men der Art der Klagen nach, die laut werden; denn bei Kaufleuten wie bei Landleuten geht es ganz ohne Klagen niemals ab. Einige haben in der That ernstlich zu klagen, und zwar aus sonderbarer Veranlassung. Nämlich das Verbot der jüdischen Tracht in Nußland hat große Verluste nach sich gezogen. Ich sah in einer Niederlage ganze Stöße jener hochgelben Tücher, welche die Judensrauen dort turbanartig um den Kopf trugen, nun völlig werthlos geworden trotz des feinsten Stoffes, weil sie hier Niemand kaufen mag. Eine andere Handlung hat für 50,000 Thaler seidene Binden, wie sie zur jüdischen Männertracht gehörten, die nun zu Nichts zu gebrau¬ chen sind, liegen und möchte sie gerne für ein Zehntheil des Werthes losschlagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/330>, abgerufen am 05.02.2025.