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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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wards strebt, das zeigt sich in der Entwickelung ihres ganzen städti¬
schen Lebens. Es ist gewiß ein erfreuliches Zeichen, wenn die Theil¬
nahme an den schwebenden Fragen nicht abgeschlossenen Organen über¬
wiesen bleibt, sondern allgemein wird. Die Stadtverordneten ermun¬
tern diese Theilnahme durch Veröffentlichung ihrer Beschlüsse, welche
nach jeder Sitzung im hiesigen Wochenblatte erscheint und mit gro¬
ßem Interesse gelesen wird. Frankfurt ging mit dem besten Beispiele
voran, denjenigen Stand, der um den kärgsten Lohn am edelsten
Werke, am Fundament eines sittlichen Volkes arbeitet, den Lehrer¬
stand, angemessener zu dotiren. Schöne Vertröstungen, daß man sich
mit seinem Loose beschäftige, können ihm nichts helfen, wenn ihm
fortwährend sein schönster Lohn: das eigne Bewußtsein gesegneten
Wirkens, als Geld veranschlagt und angerechnet wird! Auch die
politischen und religiösen Bewegungen der Zeit finden hier eine leb¬
haft besuchte Arena. Wie gleichgültig war noch vor wenig Decen-
nien eine gewisse Klasse der Gesellschaft gegen diese Fragen, welche
in den Salons förmlich geächtet waren, wenigstens die religiösen In¬
teressen! Heut gilt aber auch darin kein Neutralsein mehr, es heißt:
"hie Wels! hie Waldung!" Vor Kurzem sahen wir hier einen
Versuch zur persönlichen Verständigung: viele Prediger von fern und
nah waren deshalb zusammengekommen. Es soll, wie ein Ohren¬
zeuge mir gesagt, dabei harte Kämpfe gegeben haben, besonders we¬
gen der bekannten Erklärung vom August, welche die Schleiermacher-
sehe Richtung repräsentirt ^- indessen sei doch endlich die Frage der
Tagesordnung: ob die religiösen Bewegungen der Zeit zu Kanzelvor-
trägen geeignet seien ? mit Nein erledigt worden. Erwartet aber das
Volk nicht, da die Gewissen überall beunruhigt wurden, von seinen
Lehrern Trost und Aufschluß? Nach denen freilich Viele nichts fra¬
gen. Man kann das Heilige ungescheut in Kaffeehäusern und Taver¬
nen verspotten hören. In einer kleinen Stadt wohnte ich derartigen
Gesprächen bei; als einer der Anwesenden nicht ernstlich, sondern witzelnd
Einspruch that, mit dem Jörne des Caplans drohend, wurde ihm
zur Antwort: "Das wird mir jetzt Niemand mehr wehren; bis jetzt
durfte man nur nicht reden, wie Einem um's Herz war."

Unser sociales Leben bieten wenig Eigenthümlichkeiten, es bewegt
sich in überall anzutreffenden Bahnen. Doch das muß man rüh¬
mend sagen, ein herzlicher Geist durchweht im Ganzen unsere Gesel¬
ligkeit, die Stände sondern sich wenig ab, ja, wenn es geschieht, so
erscheint das als Ausnahme. Kunst und Wissenschaft haben hier
Freunde genug, wir besitzen Gelehrte von Fach, tüchtige Schul¬
männer, künstlerisch und literarisch Gebildete in hinlänglicher Zahl,
aber es fehlt an einem Institut, wo die geistigen Interessen durch
Austausch gefördert würden, sei es ein literarischer Verein oder auch
nur ein Ort zur Zusammenkunft und Annäherung der intellectuellen


wards strebt, das zeigt sich in der Entwickelung ihres ganzen städti¬
schen Lebens. Es ist gewiß ein erfreuliches Zeichen, wenn die Theil¬
nahme an den schwebenden Fragen nicht abgeschlossenen Organen über¬
wiesen bleibt, sondern allgemein wird. Die Stadtverordneten ermun¬
tern diese Theilnahme durch Veröffentlichung ihrer Beschlüsse, welche
nach jeder Sitzung im hiesigen Wochenblatte erscheint und mit gro¬
ßem Interesse gelesen wird. Frankfurt ging mit dem besten Beispiele
voran, denjenigen Stand, der um den kärgsten Lohn am edelsten
Werke, am Fundament eines sittlichen Volkes arbeitet, den Lehrer¬
stand, angemessener zu dotiren. Schöne Vertröstungen, daß man sich
mit seinem Loose beschäftige, können ihm nichts helfen, wenn ihm
fortwährend sein schönster Lohn: das eigne Bewußtsein gesegneten
Wirkens, als Geld veranschlagt und angerechnet wird! Auch die
politischen und religiösen Bewegungen der Zeit finden hier eine leb¬
haft besuchte Arena. Wie gleichgültig war noch vor wenig Decen-
nien eine gewisse Klasse der Gesellschaft gegen diese Fragen, welche
in den Salons förmlich geächtet waren, wenigstens die religiösen In¬
teressen! Heut gilt aber auch darin kein Neutralsein mehr, es heißt:
„hie Wels! hie Waldung!" Vor Kurzem sahen wir hier einen
Versuch zur persönlichen Verständigung: viele Prediger von fern und
nah waren deshalb zusammengekommen. Es soll, wie ein Ohren¬
zeuge mir gesagt, dabei harte Kämpfe gegeben haben, besonders we¬
gen der bekannten Erklärung vom August, welche die Schleiermacher-
sehe Richtung repräsentirt ^- indessen sei doch endlich die Frage der
Tagesordnung: ob die religiösen Bewegungen der Zeit zu Kanzelvor-
trägen geeignet seien ? mit Nein erledigt worden. Erwartet aber das
Volk nicht, da die Gewissen überall beunruhigt wurden, von seinen
Lehrern Trost und Aufschluß? Nach denen freilich Viele nichts fra¬
gen. Man kann das Heilige ungescheut in Kaffeehäusern und Taver¬
nen verspotten hören. In einer kleinen Stadt wohnte ich derartigen
Gesprächen bei; als einer der Anwesenden nicht ernstlich, sondern witzelnd
Einspruch that, mit dem Jörne des Caplans drohend, wurde ihm
zur Antwort: „Das wird mir jetzt Niemand mehr wehren; bis jetzt
durfte man nur nicht reden, wie Einem um's Herz war."

Unser sociales Leben bieten wenig Eigenthümlichkeiten, es bewegt
sich in überall anzutreffenden Bahnen. Doch das muß man rüh¬
mend sagen, ein herzlicher Geist durchweht im Ganzen unsere Gesel¬
ligkeit, die Stände sondern sich wenig ab, ja, wenn es geschieht, so
erscheint das als Ausnahme. Kunst und Wissenschaft haben hier
Freunde genug, wir besitzen Gelehrte von Fach, tüchtige Schul¬
männer, künstlerisch und literarisch Gebildete in hinlänglicher Zahl,
aber es fehlt an einem Institut, wo die geistigen Interessen durch
Austausch gefördert würden, sei es ein literarischer Verein oder auch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/329>, abgerufen am 05.02.2025.