Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fuhr zum hundertsten Male -- wiewohl auch dießmal vergebens --
mit seinem Schwamm über den Tisch hin. Und im Grunde war
dieser Leser in seinem guten Recht, seit undenklichen Zeiten geht man
ins Eaffeehaus, um sein Journal zu lesen; es ist nicht die Schuld
der Gaste, wenn die Journale zu Leihbibliotheken anwachsen.

Wenn Sie in deutschen Zeitungen lesen, Heinrich Heine sei ge¬
lähmt auf der linken Seite, blind auf dem linken Auge, so müssen
Sie das nicht so buchstäblich nehmen. Heine ist ein Hypochonder,
der sich immer kränker glaubt, als er ist. Sein Arzt, der Dr.
W.......r aus Wien, hat mir oft Beruhigung gegeben, wenn ich
den Patienten wirklich gefährlich glaubte. -- Heine schickt des Tages
oft ein halbes Dutzendmal zu seinem Arzt, um ihn zu consultiren
und ihm am Ende doch nicht zu folgen. Aber leidend, sehr leidend
ist unser armer Dichter allerdings. Sein nervöser Kopfschmerz, den
er schon als junger Mensch in Berlin gehabt hat, nimmt immer
mehr und mehr überhand, und er ist allerdings von einem Schlag¬
flusse bedroht, wie auch sein ganzer Körperbau und der kurze Hals
es verräth. Leider fehlt einem der größten deutschen Dichter -- was
auch seine Feinde dagegen keifen mögen, er ist und bleibt einer un¬
serer größten Poeten -- die pflegende Hand eines deutschen Weibes.
Mad. Heine ist eine herzensgute, liebe Frau, aber die Hingebung,
die weiche Sorge einer deutschen Pflegerin ist ihr nicht verliehen.

Ich erwähnte so eben eines Wiener Arztes und kann nicht mit
Stillschweigen eine Auszeichnung übergehen, die einem andern deut¬
schen Arzte, dem Professor Hyrtl (aus Wien, wie ihn der "Moniteur"
bezeichnet, wenn ich nicht irre, muß es jedoch heißen: aus Prag), zu
Theil wurde, indem ihm das Kreuz der Ehrenlegion zugesendet wurde.
Professor Höret, der vielleicht in ganz Europa die besten anatomischen
Präparate macht, hat das neuerrichtete hiesige anatomische Museum
mit den besten Stücken versehen, und der Minister des Unterrichts
hat auf den Vorschlag der hiesigen Facultät dem hochverdienten Manne
die Anerkennung Frankreichs in einem besondern Schreiben ausge¬
drückt. Ein ähnliches Schreiben, aber ohne die Decoration, wurde
auch einem andern hier lebenden österreichischen Arzte, dem or. Gruby
aus Wien, zu Theil. Auch er sollte mit der Ehrenlegion bedacht
werden, doch hat man nicht zwei Fremde zugleich decoriren wollen,
was die französische Eitelkeit verletzt hätte. Im Ganzen haben die
deutschen Aerzte auch in ihrer Praxis hier seit einigen Jahren viel
Terrain gewonnen und in vielen höhern Familien werden sie mit be¬
sonderer Vorliebe den französischen vorgezogen. Wenn der Mensch
krank ist, hört alle Nationaleifersucht auf.--In den Kreisen der hie¬
sigen deutschen Schriftsteller macht das neuste Heft der "Revue des
Deux Mondes", welches einen Artikel über Dingelstedcs Gedichte (von
Taillandier) bringt, viel böses Blut, da Dingelstedr auf Kosten Heines


fuhr zum hundertsten Male — wiewohl auch dießmal vergebens —
mit seinem Schwamm über den Tisch hin. Und im Grunde war
dieser Leser in seinem guten Recht, seit undenklichen Zeiten geht man
ins Eaffeehaus, um sein Journal zu lesen; es ist nicht die Schuld
der Gaste, wenn die Journale zu Leihbibliotheken anwachsen.

Wenn Sie in deutschen Zeitungen lesen, Heinrich Heine sei ge¬
lähmt auf der linken Seite, blind auf dem linken Auge, so müssen
Sie das nicht so buchstäblich nehmen. Heine ist ein Hypochonder,
der sich immer kränker glaubt, als er ist. Sein Arzt, der Dr.
W.......r aus Wien, hat mir oft Beruhigung gegeben, wenn ich
den Patienten wirklich gefährlich glaubte. — Heine schickt des Tages
oft ein halbes Dutzendmal zu seinem Arzt, um ihn zu consultiren
und ihm am Ende doch nicht zu folgen. Aber leidend, sehr leidend
ist unser armer Dichter allerdings. Sein nervöser Kopfschmerz, den
er schon als junger Mensch in Berlin gehabt hat, nimmt immer
mehr und mehr überhand, und er ist allerdings von einem Schlag¬
flusse bedroht, wie auch sein ganzer Körperbau und der kurze Hals
es verräth. Leider fehlt einem der größten deutschen Dichter — was
auch seine Feinde dagegen keifen mögen, er ist und bleibt einer un¬
serer größten Poeten — die pflegende Hand eines deutschen Weibes.
Mad. Heine ist eine herzensgute, liebe Frau, aber die Hingebung,
die weiche Sorge einer deutschen Pflegerin ist ihr nicht verliehen.

Ich erwähnte so eben eines Wiener Arztes und kann nicht mit
Stillschweigen eine Auszeichnung übergehen, die einem andern deut¬
schen Arzte, dem Professor Hyrtl (aus Wien, wie ihn der „Moniteur"
bezeichnet, wenn ich nicht irre, muß es jedoch heißen: aus Prag), zu
Theil wurde, indem ihm das Kreuz der Ehrenlegion zugesendet wurde.
Professor Höret, der vielleicht in ganz Europa die besten anatomischen
Präparate macht, hat das neuerrichtete hiesige anatomische Museum
mit den besten Stücken versehen, und der Minister des Unterrichts
hat auf den Vorschlag der hiesigen Facultät dem hochverdienten Manne
die Anerkennung Frankreichs in einem besondern Schreiben ausge¬
drückt. Ein ähnliches Schreiben, aber ohne die Decoration, wurde
auch einem andern hier lebenden österreichischen Arzte, dem or. Gruby
aus Wien, zu Theil. Auch er sollte mit der Ehrenlegion bedacht
werden, doch hat man nicht zwei Fremde zugleich decoriren wollen,
was die französische Eitelkeit verletzt hätte. Im Ganzen haben die
deutschen Aerzte auch in ihrer Praxis hier seit einigen Jahren viel
Terrain gewonnen und in vielen höhern Familien werden sie mit be¬
sonderer Vorliebe den französischen vorgezogen. Wenn der Mensch
krank ist, hört alle Nationaleifersucht auf.—In den Kreisen der hie¬
sigen deutschen Schriftsteller macht das neuste Heft der „Revue des
Deux Mondes", welches einen Artikel über Dingelstedcs Gedichte (von
Taillandier) bringt, viel böses Blut, da Dingelstedr auf Kosten Heines


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271584"/>
            <p xml:id="ID_898" prev="#ID_897"> fuhr zum hundertsten Male &#x2014; wiewohl auch dießmal vergebens &#x2014;<lb/>
mit seinem Schwamm über den Tisch hin. Und im Grunde war<lb/>
dieser Leser in seinem guten Recht, seit undenklichen Zeiten geht man<lb/>
ins Eaffeehaus, um sein Journal zu lesen; es ist nicht die Schuld<lb/>
der Gaste, wenn die Journale zu Leihbibliotheken anwachsen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_899"> Wenn Sie in deutschen Zeitungen lesen, Heinrich Heine sei ge¬<lb/>
lähmt auf der linken Seite, blind auf dem linken Auge, so müssen<lb/>
Sie das nicht so buchstäblich nehmen. Heine ist ein Hypochonder,<lb/>
der sich immer kränker glaubt, als er ist.  Sein Arzt, der Dr.<lb/>
W.......r aus Wien, hat mir oft Beruhigung gegeben, wenn ich<lb/>
den Patienten wirklich gefährlich glaubte. &#x2014; Heine schickt des Tages<lb/>
oft ein halbes Dutzendmal zu seinem Arzt, um ihn zu consultiren<lb/>
und ihm am Ende doch nicht zu folgen. Aber leidend, sehr leidend<lb/>
ist unser armer Dichter allerdings. Sein nervöser Kopfschmerz, den<lb/>
er schon als junger Mensch in Berlin gehabt hat, nimmt immer<lb/>
mehr und mehr überhand, und er ist allerdings von einem Schlag¬<lb/>
flusse bedroht, wie auch sein ganzer Körperbau und der kurze Hals<lb/>
es verräth. Leider fehlt einem der größten deutschen Dichter &#x2014; was<lb/>
auch seine Feinde dagegen keifen mögen, er ist und bleibt einer un¬<lb/>
serer größten Poeten &#x2014; die pflegende Hand eines deutschen Weibes.<lb/>
Mad. Heine ist eine herzensgute, liebe Frau, aber die Hingebung,<lb/>
die weiche Sorge einer deutschen Pflegerin ist ihr nicht verliehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_900" next="#ID_901"> Ich erwähnte so eben eines Wiener Arztes und kann nicht mit<lb/>
Stillschweigen eine Auszeichnung übergehen, die einem andern deut¬<lb/>
schen Arzte, dem Professor Hyrtl (aus Wien, wie ihn der &#x201E;Moniteur"<lb/>
bezeichnet, wenn ich nicht irre, muß es jedoch heißen: aus Prag), zu<lb/>
Theil wurde, indem ihm das Kreuz der Ehrenlegion zugesendet wurde.<lb/>
Professor Höret, der vielleicht in ganz Europa die besten anatomischen<lb/>
Präparate macht, hat das neuerrichtete hiesige anatomische Museum<lb/>
mit den besten Stücken versehen, und der Minister des Unterrichts<lb/>
hat auf den Vorschlag der hiesigen Facultät dem hochverdienten Manne<lb/>
die Anerkennung Frankreichs in einem besondern Schreiben ausge¬<lb/>
drückt. Ein ähnliches Schreiben, aber ohne die Decoration, wurde<lb/>
auch einem andern hier lebenden österreichischen Arzte, dem or. Gruby<lb/>
aus Wien, zu Theil. Auch er sollte mit der Ehrenlegion bedacht<lb/>
werden, doch hat man nicht zwei Fremde zugleich decoriren wollen,<lb/>
was die französische Eitelkeit verletzt hätte. Im Ganzen haben die<lb/>
deutschen Aerzte auch in ihrer Praxis hier seit einigen Jahren viel<lb/>
Terrain gewonnen und in vielen höhern Familien werden sie mit be¬<lb/>
sonderer Vorliebe den französischen vorgezogen. Wenn der Mensch<lb/>
krank ist, hört alle Nationaleifersucht auf.&#x2014;In den Kreisen der hie¬<lb/>
sigen deutschen Schriftsteller macht das neuste Heft der &#x201E;Revue des<lb/>
Deux Mondes", welches einen Artikel über Dingelstedcs Gedichte (von<lb/>
Taillandier) bringt, viel böses Blut, da Dingelstedr auf Kosten Heines</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] fuhr zum hundertsten Male — wiewohl auch dießmal vergebens — mit seinem Schwamm über den Tisch hin. Und im Grunde war dieser Leser in seinem guten Recht, seit undenklichen Zeiten geht man ins Eaffeehaus, um sein Journal zu lesen; es ist nicht die Schuld der Gaste, wenn die Journale zu Leihbibliotheken anwachsen. Wenn Sie in deutschen Zeitungen lesen, Heinrich Heine sei ge¬ lähmt auf der linken Seite, blind auf dem linken Auge, so müssen Sie das nicht so buchstäblich nehmen. Heine ist ein Hypochonder, der sich immer kränker glaubt, als er ist. Sein Arzt, der Dr. W.......r aus Wien, hat mir oft Beruhigung gegeben, wenn ich den Patienten wirklich gefährlich glaubte. — Heine schickt des Tages oft ein halbes Dutzendmal zu seinem Arzt, um ihn zu consultiren und ihm am Ende doch nicht zu folgen. Aber leidend, sehr leidend ist unser armer Dichter allerdings. Sein nervöser Kopfschmerz, den er schon als junger Mensch in Berlin gehabt hat, nimmt immer mehr und mehr überhand, und er ist allerdings von einem Schlag¬ flusse bedroht, wie auch sein ganzer Körperbau und der kurze Hals es verräth. Leider fehlt einem der größten deutschen Dichter — was auch seine Feinde dagegen keifen mögen, er ist und bleibt einer un¬ serer größten Poeten — die pflegende Hand eines deutschen Weibes. Mad. Heine ist eine herzensgute, liebe Frau, aber die Hingebung, die weiche Sorge einer deutschen Pflegerin ist ihr nicht verliehen. Ich erwähnte so eben eines Wiener Arztes und kann nicht mit Stillschweigen eine Auszeichnung übergehen, die einem andern deut¬ schen Arzte, dem Professor Hyrtl (aus Wien, wie ihn der „Moniteur" bezeichnet, wenn ich nicht irre, muß es jedoch heißen: aus Prag), zu Theil wurde, indem ihm das Kreuz der Ehrenlegion zugesendet wurde. Professor Höret, der vielleicht in ganz Europa die besten anatomischen Präparate macht, hat das neuerrichtete hiesige anatomische Museum mit den besten Stücken versehen, und der Minister des Unterrichts hat auf den Vorschlag der hiesigen Facultät dem hochverdienten Manne die Anerkennung Frankreichs in einem besondern Schreiben ausge¬ drückt. Ein ähnliches Schreiben, aber ohne die Decoration, wurde auch einem andern hier lebenden österreichischen Arzte, dem or. Gruby aus Wien, zu Theil. Auch er sollte mit der Ehrenlegion bedacht werden, doch hat man nicht zwei Fremde zugleich decoriren wollen, was die französische Eitelkeit verletzt hätte. Im Ganzen haben die deutschen Aerzte auch in ihrer Praxis hier seit einigen Jahren viel Terrain gewonnen und in vielen höhern Familien werden sie mit be¬ sonderer Vorliebe den französischen vorgezogen. Wenn der Mensch krank ist, hört alle Nationaleifersucht auf.—In den Kreisen der hie¬ sigen deutschen Schriftsteller macht das neuste Heft der „Revue des Deux Mondes", welches einen Artikel über Dingelstedcs Gedichte (von Taillandier) bringt, viel böses Blut, da Dingelstedr auf Kosten Heines

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/323>, abgerufen am 05.02.2025.