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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Die Studenten sind sämmtlich aus dem Freistaate Krakau, denn
seit 1832 ist den Polen des Königreiches, so wie Galiziens und
des Großherzogthums Posen der Besuch dieser Universität streng verbo¬
ten, was ohne Frage endlich die Auflösung derselben herbeiführen müßte,
würde diese nicht auch noch auf andere Weise von außen her bezweckt.

Als wir über den Marktplatz fuhren, begegnete uns eine Ab¬
theilung krakauischen Militairs. Ich sah den Leuten augenblicklich
an ihren Gesichtern an, daß sie Polen nicht waren. Hätte ich die
österreichische Uniformirung gekannt, so hätte ichfreilich daran gesehen,
daß sie Oesterreicher waren. Der Freistaat Krakau hält 50l) Sol¬
daten, und diese muß er aus der österreichischen Armee nehmen.
Das ist ein Umstand, der dem Titel Freistaat eigenthümlich Hohn
spricht. In diesem Freistaate herrschen die drei Consuln der drei
Schutzmächte, Oesterreich, Preußen und Nußland, sind die drei Kö¬
nige dieses zwanzig Quadratmeilen enthaltenden polnischen Ländchens
mit seiner uralten herrlichen Stadt. Der österreichische Einfluß ist
aber stets der vorherrschende, und dies ist ganz in der Ordnung.
Ihm steht Krakau am nächsten; es hat es bereits besessen, und
Krakau hat ihm unendlich viel zu verdanken- Als in der Mitte
des vorigen Jahrzehends durch einen an einem russischen Spione
verübten Mord der Stadt Krakau ein anarchisches Ansehen gege¬
ben worden, rückte zuerst die österreichische Besatzung hinein;
das höchste Entscheidungsgericht Krakau's, welches aus den
Gesandten der drei Schutzmächte bestehet, befindet sich zu Wien;
und so zeigt sich noch in mancher anderen Beziehung, daß
Oesterreich bedeutend Rußland und Preußen vorantritt. Dies ist
vielleicht ein Glück. Wenigstens wäre es gewiß ein Unglück, wenn
Nußland die überwiegende Rolle spielte, wie es denn schon Un¬
glücks für Krakau ist, daß es nur in ihm eine Rolle spielt.

Die höchste Behörde deö Freistaates ist ein Senat, welcher aus
einem Präsidenten und acht Senatoren bestehet: den Präsidenten so¬
wohl, als die Senatoren wählen nicht das Volk, sondern die drei
Schutzmächte. Der Senat verleiht die Aemter; aber von einem ge¬
wissen Grade an bedarf er dazu der Zustimmung der Schutzmächte
oder doch der Consuln. Die Gesetze werden von einer Repräsen¬
tantenkammer festgestellt; diese aber bestehet nicht für die Dauer, son¬
dern wird zu gewisser Zeit einberufen; d. h. wenn die Schutzmächte


Die Studenten sind sämmtlich aus dem Freistaate Krakau, denn
seit 1832 ist den Polen des Königreiches, so wie Galiziens und
des Großherzogthums Posen der Besuch dieser Universität streng verbo¬
ten, was ohne Frage endlich die Auflösung derselben herbeiführen müßte,
würde diese nicht auch noch auf andere Weise von außen her bezweckt.

Als wir über den Marktplatz fuhren, begegnete uns eine Ab¬
theilung krakauischen Militairs. Ich sah den Leuten augenblicklich
an ihren Gesichtern an, daß sie Polen nicht waren. Hätte ich die
österreichische Uniformirung gekannt, so hätte ichfreilich daran gesehen,
daß sie Oesterreicher waren. Der Freistaat Krakau hält 50l) Sol¬
daten, und diese muß er aus der österreichischen Armee nehmen.
Das ist ein Umstand, der dem Titel Freistaat eigenthümlich Hohn
spricht. In diesem Freistaate herrschen die drei Consuln der drei
Schutzmächte, Oesterreich, Preußen und Nußland, sind die drei Kö¬
nige dieses zwanzig Quadratmeilen enthaltenden polnischen Ländchens
mit seiner uralten herrlichen Stadt. Der österreichische Einfluß ist
aber stets der vorherrschende, und dies ist ganz in der Ordnung.
Ihm steht Krakau am nächsten; es hat es bereits besessen, und
Krakau hat ihm unendlich viel zu verdanken- Als in der Mitte
des vorigen Jahrzehends durch einen an einem russischen Spione
verübten Mord der Stadt Krakau ein anarchisches Ansehen gege¬
ben worden, rückte zuerst die österreichische Besatzung hinein;
das höchste Entscheidungsgericht Krakau's, welches aus den
Gesandten der drei Schutzmächte bestehet, befindet sich zu Wien;
und so zeigt sich noch in mancher anderen Beziehung, daß
Oesterreich bedeutend Rußland und Preußen vorantritt. Dies ist
vielleicht ein Glück. Wenigstens wäre es gewiß ein Unglück, wenn
Nußland die überwiegende Rolle spielte, wie es denn schon Un¬
glücks für Krakau ist, daß es nur in ihm eine Rolle spielt.

Die höchste Behörde deö Freistaates ist ein Senat, welcher aus
einem Präsidenten und acht Senatoren bestehet: den Präsidenten so¬
wohl, als die Senatoren wählen nicht das Volk, sondern die drei
Schutzmächte. Der Senat verleiht die Aemter; aber von einem ge¬
wissen Grade an bedarf er dazu der Zustimmung der Schutzmächte
oder doch der Consuln. Die Gesetze werden von einer Repräsen¬
tantenkammer festgestellt; diese aber bestehet nicht für die Dauer, son¬
dern wird zu gewisser Zeit einberufen; d. h. wenn die Schutzmächte


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[0308] Die Studenten sind sämmtlich aus dem Freistaate Krakau, denn seit 1832 ist den Polen des Königreiches, so wie Galiziens und des Großherzogthums Posen der Besuch dieser Universität streng verbo¬ ten, was ohne Frage endlich die Auflösung derselben herbeiführen müßte, würde diese nicht auch noch auf andere Weise von außen her bezweckt. Als wir über den Marktplatz fuhren, begegnete uns eine Ab¬ theilung krakauischen Militairs. Ich sah den Leuten augenblicklich an ihren Gesichtern an, daß sie Polen nicht waren. Hätte ich die österreichische Uniformirung gekannt, so hätte ichfreilich daran gesehen, daß sie Oesterreicher waren. Der Freistaat Krakau hält 50l) Sol¬ daten, und diese muß er aus der österreichischen Armee nehmen. Das ist ein Umstand, der dem Titel Freistaat eigenthümlich Hohn spricht. In diesem Freistaate herrschen die drei Consuln der drei Schutzmächte, Oesterreich, Preußen und Nußland, sind die drei Kö¬ nige dieses zwanzig Quadratmeilen enthaltenden polnischen Ländchens mit seiner uralten herrlichen Stadt. Der österreichische Einfluß ist aber stets der vorherrschende, und dies ist ganz in der Ordnung. Ihm steht Krakau am nächsten; es hat es bereits besessen, und Krakau hat ihm unendlich viel zu verdanken- Als in der Mitte des vorigen Jahrzehends durch einen an einem russischen Spione verübten Mord der Stadt Krakau ein anarchisches Ansehen gege¬ ben worden, rückte zuerst die österreichische Besatzung hinein; das höchste Entscheidungsgericht Krakau's, welches aus den Gesandten der drei Schutzmächte bestehet, befindet sich zu Wien; und so zeigt sich noch in mancher anderen Beziehung, daß Oesterreich bedeutend Rußland und Preußen vorantritt. Dies ist vielleicht ein Glück. Wenigstens wäre es gewiß ein Unglück, wenn Nußland die überwiegende Rolle spielte, wie es denn schon Un¬ glücks für Krakau ist, daß es nur in ihm eine Rolle spielt. Die höchste Behörde deö Freistaates ist ein Senat, welcher aus einem Präsidenten und acht Senatoren bestehet: den Präsidenten so¬ wohl, als die Senatoren wählen nicht das Volk, sondern die drei Schutzmächte. Der Senat verleiht die Aemter; aber von einem ge¬ wissen Grade an bedarf er dazu der Zustimmung der Schutzmächte oder doch der Consuln. Die Gesetze werden von einer Repräsen¬ tantenkammer festgestellt; diese aber bestehet nicht für die Dauer, son¬ dern wird zu gewisser Zeit einberufen; d. h. wenn die Schutzmächte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/308>, abgerufen am 05.02.2025.