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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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C. arretirt und mit zwei Gensdarmen nach Hannover transportirt.
Die Polizei behandelte ihn auf dem ganzen Wege mit doppelter Un¬
freundlichkeit, weil sie ihn erstens für einen Dieb, und zweitens für
einen Juden hielt. Man kann sich denken, wie groß die Bestürzung
der Behörden war, als sich in Hannover herausstellte, daß der so
schmählich Mißhandelte nicht nur kein Dieb und kein Jude, sondern
erstens ein reicher und zweitens ein coursahiger Gentleman war, der
die Gewohnheit hatte, ohne Begleitung kleine Fußpartieen im Lande
zu machen. Was war die Schuld des ärgerlichen Vorfalles? Die
löbliche Polizei von Hannover hatte hinter einem Gauner einen Steck¬
brief erlassen, worin zur nähern Bezeichnung angegeben war, der
Verdächtige trage "nach jüdischer Manier" die Kappe auf dem Hin-
terkopfe. Bekanntlich aber ist dies nicht blos eine jüdische, sondern
eben so oft eine englische Manier. Wir wundern uns übrigens nicht,
daß der Styl der hannöverschen Polizei noch solche Kappen auf dem
Hinterkopfe tragt, da selbst manche Correspondenten deutscher Blatter
in dieser Beziehung nicht besser beschlagen sind. So lasen wir in ei¬
ner Zeitung, ebenfalls aus Hannover, daß ein "israelitischer Buch¬
halter bei einem hiesigen Banquier" mit so und so viel Schulden
durchgebrannt sei. Der Consequenz wegen hätte der Correspondent
doch auch die Konfession der andern Betheiligten in derselben Weise
angeben sollen; etwa so: Ein israelitischer Buchhalter bei einem ka¬
tholischen Banquier hat sich mit Hilfe eines lutherischen Wechsel-
agenten einige tausend Thaler ausgeborgt, worauf er mit einem re"
formirter Postillon zum Thor hinausgefahren ist.

-- Die Franzosen haben schöne Begriffe von Ehrlichkeit! In
allen Pariser Blättern liest man so eben folgende wichtige Nachricht:
Ein Herr B. trat vor Kurzem in das Magazin eines Kaufmanns
und vergaß daselbst seine Brieftasche, die mehre tausend Franken in
Bankbillets enthielt. Der ehrliche Kaufmann ließ alsogleich Herrn
B. aufsuchen und stellte ihm seine Brieftasche zurück. Der Name
des Mannes, der diese ehenvolle Handlung beging, ist Elliot, Rivoli-
straße Ur. 9. -- Ehrenvolle Handlung! Welch ein nichtssagender
Ausdruck! es müßte heißen: bewundernswerthe, außerordentliche, herr¬
liche, unglaubliche! Wie? Dieser tugendhafte Kaufmann findet in
seinem Laden eine Brieftasche, die man soeben bei ihm gelassen und
er stiehlt sie nicht? O Tugend! O Uneigennützigkeit! O Mann aus einem
andern Zeitalter! Erhabenes Beispiel der Beurtheilung deines Jahr¬
hunderts! Gerade so wie ich, der ich unlängst auf einem abgele¬
genen Wege spät Abends einherging und einem Manne da begegnete,
der vielleicht Geld in seiner Tasche hatte -- er war ohne Waffen und
ohne Argwohn, und ich ging hinter ihm; ich hätte ihm mit einem
dicken Stocke einen Schlag auf die Hirnschale geben, ihn zu Boden
strecken und ausplündern können. Und doch habe ich es nicht gethan.


C. arretirt und mit zwei Gensdarmen nach Hannover transportirt.
Die Polizei behandelte ihn auf dem ganzen Wege mit doppelter Un¬
freundlichkeit, weil sie ihn erstens für einen Dieb, und zweitens für
einen Juden hielt. Man kann sich denken, wie groß die Bestürzung
der Behörden war, als sich in Hannover herausstellte, daß der so
schmählich Mißhandelte nicht nur kein Dieb und kein Jude, sondern
erstens ein reicher und zweitens ein coursahiger Gentleman war, der
die Gewohnheit hatte, ohne Begleitung kleine Fußpartieen im Lande
zu machen. Was war die Schuld des ärgerlichen Vorfalles? Die
löbliche Polizei von Hannover hatte hinter einem Gauner einen Steck¬
brief erlassen, worin zur nähern Bezeichnung angegeben war, der
Verdächtige trage „nach jüdischer Manier" die Kappe auf dem Hin-
terkopfe. Bekanntlich aber ist dies nicht blos eine jüdische, sondern
eben so oft eine englische Manier. Wir wundern uns übrigens nicht,
daß der Styl der hannöverschen Polizei noch solche Kappen auf dem
Hinterkopfe tragt, da selbst manche Correspondenten deutscher Blatter
in dieser Beziehung nicht besser beschlagen sind. So lasen wir in ei¬
ner Zeitung, ebenfalls aus Hannover, daß ein „israelitischer Buch¬
halter bei einem hiesigen Banquier" mit so und so viel Schulden
durchgebrannt sei. Der Consequenz wegen hätte der Correspondent
doch auch die Konfession der andern Betheiligten in derselben Weise
angeben sollen; etwa so: Ein israelitischer Buchhalter bei einem ka¬
tholischen Banquier hat sich mit Hilfe eines lutherischen Wechsel-
agenten einige tausend Thaler ausgeborgt, worauf er mit einem re»
formirter Postillon zum Thor hinausgefahren ist.

— Die Franzosen haben schöne Begriffe von Ehrlichkeit! In
allen Pariser Blättern liest man so eben folgende wichtige Nachricht:
Ein Herr B. trat vor Kurzem in das Magazin eines Kaufmanns
und vergaß daselbst seine Brieftasche, die mehre tausend Franken in
Bankbillets enthielt. Der ehrliche Kaufmann ließ alsogleich Herrn
B. aufsuchen und stellte ihm seine Brieftasche zurück. Der Name
des Mannes, der diese ehenvolle Handlung beging, ist Elliot, Rivoli-
straße Ur. 9. — Ehrenvolle Handlung! Welch ein nichtssagender
Ausdruck! es müßte heißen: bewundernswerthe, außerordentliche, herr¬
liche, unglaubliche! Wie? Dieser tugendhafte Kaufmann findet in
seinem Laden eine Brieftasche, die man soeben bei ihm gelassen und
er stiehlt sie nicht? O Tugend! O Uneigennützigkeit! O Mann aus einem
andern Zeitalter! Erhabenes Beispiel der Beurtheilung deines Jahr¬
hunderts! Gerade so wie ich, der ich unlängst auf einem abgele¬
genen Wege spät Abends einherging und einem Manne da begegnete,
der vielleicht Geld in seiner Tasche hatte — er war ohne Waffen und
ohne Argwohn, und ich ging hinter ihm; ich hätte ihm mit einem
dicken Stocke einen Schlag auf die Hirnschale geben, ihn zu Boden
strecken und ausplündern können. Und doch habe ich es nicht gethan.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/291>, abgerufen am 05.02.2025.