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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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dauerte", waren keine verlorenen; angeekelt von den Swapgeschäften
wandte sich Royer-Collard der Philosophie zu und fand in derselben
den Schwerpunkt seines Talents und den Beginn seines Ruhmes.
Nach acht Jahren einsamer Studien ward er plötzlich von Herrn von
Fontanes zu", Decan der lacnltv des lottres ernannt und auf den
Lehrstuhl der Philosophie berufen, zum großen Erstaunen der dama¬
ligen Berühmtheiten, welche noch nichts von ihm wußten. Zwei
Jahre später verließ Royer-Collard diesen Lehrstuhl, jedoch nicht ohne
in der Wissenschaft eine unverlöschliche Spur zurückgelassen zu haben.
Royer-Collard hat nichts Philosophisches geschrieben, außer einer im
Jahre 1813 gesprochenen und veröffentlichten Rede, welche seine Lehre
zusammenfaßt, und einigen Bruchstücken, welche einer seiner ausge¬
zeichnetsten Schüler, Jouffroy, gesammelt und seiner herrlichen Ueber¬
setzung von Reid's Werken beigefügt hat. Das Lehramt Noycr-
Collard's dauerte nur zwei Jahre, er richtete seine Wirksamkeit nur
auf einen Punkt! die Zergliederung der menschlichen Geistesfähigkei¬
ten und des menschliche", Willens, und doch wird Royer-Collard,
und zwar vollkommen mit Recht, als der Großvater der gegenwär¬
tigen Schule betrachtet; sein philosophischer Ruf ist fast eben so groß
als sein politischer, oder vielmehr seine Politik ist nur seine auf
Staatsgeschäfte angewandte Philosophie. Wir müssen nur Vor Allein
ein Paar Worte über die Philosophie Rover. Collard'S sagen.

Als er allein, unbekannt, ohne Vorgänger, ohne Schüler seinen
Lehrstuhl bestieg, war Condillac's Schule überall die vorherrschende
und die Abhandlung über die Empstndungen bildete die Grundlage
jeder Philosophie. Der Sensualismus hatte als ausgezeichneter He¬
bel der Zerstörung, so lange es sich blos um's Umstürzen handelte,
in den Händen der Encyclopädisten Wunder gethan. Als die Um¬
wälzung vor sich gegangen' war, lebte diese Lehre noch fort, aber ein
künstliches, ohnmächtiges, unfruchtbares Dasein, als Royer-Collard
die Ehre genoß, die ersten Streiche gegen dieselbe zu führen, indem
er sie zu gleicher Zeit in ihrem Principe und in ihren Consequenzen
angriff. Auf damals in Frankreich noch ganz unbekannte Arbeiten
der schottischen Schule von Reid und Dugald-Stewart gestützt, be¬
kämpfte er den Condillacismus auf dessen eigenem Felde, der Psy¬
chologie; er bewies demselben, daß von dem Augenblicke, in welchem
er die Empfindung für den einzigen Sinn des Menschen erkläre, er


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dauerte», waren keine verlorenen; angeekelt von den Swapgeschäften
wandte sich Royer-Collard der Philosophie zu und fand in derselben
den Schwerpunkt seines Talents und den Beginn seines Ruhmes.
Nach acht Jahren einsamer Studien ward er plötzlich von Herrn von
Fontanes zu», Decan der lacnltv des lottres ernannt und auf den
Lehrstuhl der Philosophie berufen, zum großen Erstaunen der dama¬
ligen Berühmtheiten, welche noch nichts von ihm wußten. Zwei
Jahre später verließ Royer-Collard diesen Lehrstuhl, jedoch nicht ohne
in der Wissenschaft eine unverlöschliche Spur zurückgelassen zu haben.
Royer-Collard hat nichts Philosophisches geschrieben, außer einer im
Jahre 1813 gesprochenen und veröffentlichten Rede, welche seine Lehre
zusammenfaßt, und einigen Bruchstücken, welche einer seiner ausge¬
zeichnetsten Schüler, Jouffroy, gesammelt und seiner herrlichen Ueber¬
setzung von Reid's Werken beigefügt hat. Das Lehramt Noycr-
Collard's dauerte nur zwei Jahre, er richtete seine Wirksamkeit nur
auf einen Punkt! die Zergliederung der menschlichen Geistesfähigkei¬
ten und des menschliche«, Willens, und doch wird Royer-Collard,
und zwar vollkommen mit Recht, als der Großvater der gegenwär¬
tigen Schule betrachtet; sein philosophischer Ruf ist fast eben so groß
als sein politischer, oder vielmehr seine Politik ist nur seine auf
Staatsgeschäfte angewandte Philosophie. Wir müssen nur Vor Allein
ein Paar Worte über die Philosophie Rover. Collard'S sagen.

Als er allein, unbekannt, ohne Vorgänger, ohne Schüler seinen
Lehrstuhl bestieg, war Condillac's Schule überall die vorherrschende
und die Abhandlung über die Empstndungen bildete die Grundlage
jeder Philosophie. Der Sensualismus hatte als ausgezeichneter He¬
bel der Zerstörung, so lange es sich blos um's Umstürzen handelte,
in den Händen der Encyclopädisten Wunder gethan. Als die Um¬
wälzung vor sich gegangen' war, lebte diese Lehre noch fort, aber ein
künstliches, ohnmächtiges, unfruchtbares Dasein, als Royer-Collard
die Ehre genoß, die ersten Streiche gegen dieselbe zu führen, indem
er sie zu gleicher Zeit in ihrem Principe und in ihren Consequenzen
angriff. Auf damals in Frankreich noch ganz unbekannte Arbeiten
der schottischen Schule von Reid und Dugald-Stewart gestützt, be¬
kämpfte er den Condillacismus auf dessen eigenem Felde, der Psy¬
chologie; er bewies demselben, daß von dem Augenblicke, in welchem
er die Empfindung für den einzigen Sinn des Menschen erkläre, er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/27>, abgerufen am 05.02.2025.