Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.mitten in der Nacht und stieg mit entsetzlicher Schnelle. Uebrigens Wenn man aus dem Wasser schnell auf das Trockene kommen 29*
mitten in der Nacht und stieg mit entsetzlicher Schnelle. Uebrigens Wenn man aus dem Wasser schnell auf das Trockene kommen 29*
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mitten in der Nacht und stieg mit entsetzlicher Schnelle. Uebrigens
werden hier bei jedem Fuß, den die Fluch steigt, Kanonenschüsse ab¬
gefeuert. — Die anfangs verbreitete Nachricht vom Verlust mehrerer
Menschenleben hat sich nicht bestätigt; hingegen ist viel Vieh in der
Umgegend ertrunken, in einer unserer Straßen sogar ein Pferd, wel¬
ches mit der Droschke umschlug und sich nicht mehr aufrichten konnte.
Die Blatter erzählen viele spaßhafte und ergötzliche Vorfälle neben den
sehr ernsten Scenen, die sich überall ereigneten. Die Verwirrung
spielte ihre tausend Instrumente, die Habsucht machte sich breit, der
rohe Egoismus erschien in seiner widerlichsten Nacktheit, der freche
Uebermuth, welcher keinen Richter zu finden glaubte, wurde mitunter
von einer plötzlichen Volksjustiz bestraft, und was denn mehr der¬
artiges in Begleitung eines solchen Naturereignisses vorfallen kann.
Wenn man aus dem Wasser schnell auf das Trockene kommen
will, braucht man sich nur zum Theater zu wenden. — Dort hat
die Veteranin Sophie Schröder als Declamatrice jede Erwartung
übertroffen und selbst unsern besten Redner, namentlich durch den
wunderbar-charakteristischen Vortrag der Schillerschen „Glocke," in
dunkeln Schatten gestellt. In der Durchführung einer so anstrengen¬
den Rolle wie die Jsabella in der „Braut von Messina," wurden die
Schwachen des vorgerückten Alters (die Schröder ist bald 65 Jahre)
bedeutend merklicher; dennoch war sie auch an diesem Abend, bei
billiger Berücksichtigung der Umstände, vortrefflich, und neben den ge¬
nialen Blitzmomenten, welche nicht fehlten, war auch das Ganze der
Leistung in hohem Grade interessant. Der Beifall war groß, ob aber
die Hamburger der alten Frau ein gleiches Maß von Anerkennung
geschenkt hatten, wäre sie nicht als Sophie Schröder gekommen,
ist eine Frage,, die ich nicht bejahen kann. — Ein berühmter künst¬
lerischer Gast, der jedoch nicht Spielens halber kam, auch einer Auf¬
forderung dazu nicht entsprechen konnte, war Döring von Berlin,
der jetzt in Hannover zwei Monate hindurch wirken muß. Döring
scheint die zahlreichen und theilweise ziemlich hämischen Anfechtungen,
welche er in Berlin von einer gewissen Sorte Kritik erfährt, mit gro¬
ßer Gelassenheit und sehr würdig zu ertragen. Er hat freilich zwei
mächtige Verehrer und Freunde — das Publikum und den König.
Im Uebrigen wird er doch auch von manchem gewichtigen Beur¬
theiler noch immer auf das Wärmste anerkannt. Bei dem Hohn¬
geschrei wegen der Aeußerungen des verstorbenen Sevdelmann über
Döring hätten die Aufspürer und Verbreiter zur Wahrung der Ehre
ihres eignen Verstandes doch bedenken sollen, daß der Reflerions-
schauspiclkunst Sevdelmanns in dem unbestreitbaren Naturgenie Dö-
rings eine Rivalität erwachsen war, welche Jener mit Grund fürch¬
tete. Mit Grund, sag' ich, denn es ist z. B. in Hamburg Anno
1835 vorgekommen, daß der berühmte Seydelmcmn das Publikum
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