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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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nates an die erbgesessene Bürgerschaft, worin einige neue Bestim¬
mungen wegen des Bürgenverdens getroffen wurden, eine Be¬
stätigung gefunden. Es heißt dort: "Nichts würde leichter sein als
die Erwerbung des Bürgerrechts durch Fremde so zu erschweren, daß
das bisherige Verhältniß sich bedeutend veränderte; allein die Leich¬
tigkeit der Erlangung desselben besteht seit Jahrhunderten und Ham¬
burg verdankt unt"r Andern, sehr wahrscheinlich auch dieser Einrich¬
tung einen Theil seiner Blüthe; wollte man hier jetzt hemmend ein¬
greifen, so ließen sich die Folgen schwer vorher sehen. Nur dringende.
Gründe würden eine solche Maßregel rechtfertigen und diese sind nicht
vorhanden."

Die Sturmfluth vom 21. Oktober ist als eine ganz unerwartete
Calamität in die Reihe der schon vorhandenen getreten und wird für
Viele von den nachtheiligsten Folgen sein. Assekuranzen wider den
von Wassersnoth angerichteten Schaden giebt es hier nicht, aus dem
Grunde, weil ein solches Unglück nie Einzelne trifft und keine Asse¬
kuranzgesellschaft bei der Schadloshaltung vieler Hunderte Vortheil
haben konnte. Die nasse Ueberra>chung war für viele Bewohner von
Kellern und niedrig gelegenen Lokalitäten eine furchtbare. Nicht nur
der sehr beträchtliche Verlust an Gütern, Waaren, Mobilien, Haus-
geräth u. s. w. ist zu tragen, auch die Gesundheit Derer, welche in
den Monate lang feucht bleibenden Wohnungen Hausen müssen, ist
beim Rückblick auf das Ereigniß nicht zu vergessen. Diese Sturm¬
fluth hatte eine Höhe von beinahe 2V Fuß und war jener verhäng-
nißvollen Februarfluth des Jahres 1825 gleich, welche wohl nie aus
dem Gedächtnisse der Hamburger schwinden wird. Nach der Mei¬
nung Vieler haben die siete, die mit so schweren Kosten hergestellt
sind und welche so viele widerstreitende Debatten veranlaßten, das
Unglück nur vergrößert, anstatt dagegen zu schützen. Das Wasser drang,
mittelst der Sielkanäle, na") Stadttheilen, welche bei allen frühern
Ueberfluthungen verschont geblieben waren. Die Aufregung wider
den Schöpfer unsers Sielsystems, Herrn Lindley aus London, war
am Tage des Ereignisses sehr groß. Freilich durfte weder hierüber
noch über die Rolle, welche die siete bei der Sturmflut überhaupt
gespielt, ein unzufriedenes Wort in unsern Blättern laut werden.
Hingegen hat man Aeußerungen der Sielbauvcrtheidiger, welche die
Wahrheit geradezu aus den Kopf stellten und sich sogar nicht entblö¬
deten, eine Ueberfluthung dieser Art als eine ganz gewöhnliche, durch¬
schnittlich jedes Jahr wiederkehrende, zu bezeichnen, -- -- mit gro¬
ßem Vergnügen das Imprimatur ertheilt. An demselben Orte, in
einem unserer verbreitetsten Volksblätter, wurde von den "grausenhaf¬
ten" Scenen gesprochen, welche die Sturmfluth veranlaßte und gleich
darauf von der eignen Schuld der Betroffenen, weil sie nicht früh
genug ihr Eigenthum zu retten versucht. Das Wasser kam aber


nates an die erbgesessene Bürgerschaft, worin einige neue Bestim¬
mungen wegen des Bürgenverdens getroffen wurden, eine Be¬
stätigung gefunden. Es heißt dort: „Nichts würde leichter sein als
die Erwerbung des Bürgerrechts durch Fremde so zu erschweren, daß
das bisherige Verhältniß sich bedeutend veränderte; allein die Leich¬
tigkeit der Erlangung desselben besteht seit Jahrhunderten und Ham¬
burg verdankt unt«r Andern, sehr wahrscheinlich auch dieser Einrich¬
tung einen Theil seiner Blüthe; wollte man hier jetzt hemmend ein¬
greifen, so ließen sich die Folgen schwer vorher sehen. Nur dringende.
Gründe würden eine solche Maßregel rechtfertigen und diese sind nicht
vorhanden."

Die Sturmfluth vom 21. Oktober ist als eine ganz unerwartete
Calamität in die Reihe der schon vorhandenen getreten und wird für
Viele von den nachtheiligsten Folgen sein. Assekuranzen wider den
von Wassersnoth angerichteten Schaden giebt es hier nicht, aus dem
Grunde, weil ein solches Unglück nie Einzelne trifft und keine Asse¬
kuranzgesellschaft bei der Schadloshaltung vieler Hunderte Vortheil
haben konnte. Die nasse Ueberra>chung war für viele Bewohner von
Kellern und niedrig gelegenen Lokalitäten eine furchtbare. Nicht nur
der sehr beträchtliche Verlust an Gütern, Waaren, Mobilien, Haus-
geräth u. s. w. ist zu tragen, auch die Gesundheit Derer, welche in
den Monate lang feucht bleibenden Wohnungen Hausen müssen, ist
beim Rückblick auf das Ereigniß nicht zu vergessen. Diese Sturm¬
fluth hatte eine Höhe von beinahe 2V Fuß und war jener verhäng-
nißvollen Februarfluth des Jahres 1825 gleich, welche wohl nie aus
dem Gedächtnisse der Hamburger schwinden wird. Nach der Mei¬
nung Vieler haben die siete, die mit so schweren Kosten hergestellt
sind und welche so viele widerstreitende Debatten veranlaßten, das
Unglück nur vergrößert, anstatt dagegen zu schützen. Das Wasser drang,
mittelst der Sielkanäle, na») Stadttheilen, welche bei allen frühern
Ueberfluthungen verschont geblieben waren. Die Aufregung wider
den Schöpfer unsers Sielsystems, Herrn Lindley aus London, war
am Tage des Ereignisses sehr groß. Freilich durfte weder hierüber
noch über die Rolle, welche die siete bei der Sturmflut überhaupt
gespielt, ein unzufriedenes Wort in unsern Blättern laut werden.
Hingegen hat man Aeußerungen der Sielbauvcrtheidiger, welche die
Wahrheit geradezu aus den Kopf stellten und sich sogar nicht entblö¬
deten, eine Ueberfluthung dieser Art als eine ganz gewöhnliche, durch¬
schnittlich jedes Jahr wiederkehrende, zu bezeichnen, — — mit gro¬
ßem Vergnügen das Imprimatur ertheilt. An demselben Orte, in
einem unserer verbreitetsten Volksblätter, wurde von den „grausenhaf¬
ten" Scenen gesprochen, welche die Sturmfluth veranlaßte und gleich
darauf von der eignen Schuld der Betroffenen, weil sie nicht früh
genug ihr Eigenthum zu retten versucht. Das Wasser kam aber


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[0234] nates an die erbgesessene Bürgerschaft, worin einige neue Bestim¬ mungen wegen des Bürgenverdens getroffen wurden, eine Be¬ stätigung gefunden. Es heißt dort: „Nichts würde leichter sein als die Erwerbung des Bürgerrechts durch Fremde so zu erschweren, daß das bisherige Verhältniß sich bedeutend veränderte; allein die Leich¬ tigkeit der Erlangung desselben besteht seit Jahrhunderten und Ham¬ burg verdankt unt«r Andern, sehr wahrscheinlich auch dieser Einrich¬ tung einen Theil seiner Blüthe; wollte man hier jetzt hemmend ein¬ greifen, so ließen sich die Folgen schwer vorher sehen. Nur dringende. Gründe würden eine solche Maßregel rechtfertigen und diese sind nicht vorhanden." Die Sturmfluth vom 21. Oktober ist als eine ganz unerwartete Calamität in die Reihe der schon vorhandenen getreten und wird für Viele von den nachtheiligsten Folgen sein. Assekuranzen wider den von Wassersnoth angerichteten Schaden giebt es hier nicht, aus dem Grunde, weil ein solches Unglück nie Einzelne trifft und keine Asse¬ kuranzgesellschaft bei der Schadloshaltung vieler Hunderte Vortheil haben konnte. Die nasse Ueberra>chung war für viele Bewohner von Kellern und niedrig gelegenen Lokalitäten eine furchtbare. Nicht nur der sehr beträchtliche Verlust an Gütern, Waaren, Mobilien, Haus- geräth u. s. w. ist zu tragen, auch die Gesundheit Derer, welche in den Monate lang feucht bleibenden Wohnungen Hausen müssen, ist beim Rückblick auf das Ereigniß nicht zu vergessen. Diese Sturm¬ fluth hatte eine Höhe von beinahe 2V Fuß und war jener verhäng- nißvollen Februarfluth des Jahres 1825 gleich, welche wohl nie aus dem Gedächtnisse der Hamburger schwinden wird. Nach der Mei¬ nung Vieler haben die siete, die mit so schweren Kosten hergestellt sind und welche so viele widerstreitende Debatten veranlaßten, das Unglück nur vergrößert, anstatt dagegen zu schützen. Das Wasser drang, mittelst der Sielkanäle, na») Stadttheilen, welche bei allen frühern Ueberfluthungen verschont geblieben waren. Die Aufregung wider den Schöpfer unsers Sielsystems, Herrn Lindley aus London, war am Tage des Ereignisses sehr groß. Freilich durfte weder hierüber noch über die Rolle, welche die siete bei der Sturmflut überhaupt gespielt, ein unzufriedenes Wort in unsern Blättern laut werden. Hingegen hat man Aeußerungen der Sielbauvcrtheidiger, welche die Wahrheit geradezu aus den Kopf stellten und sich sogar nicht entblö¬ deten, eine Ueberfluthung dieser Art als eine ganz gewöhnliche, durch¬ schnittlich jedes Jahr wiederkehrende, zu bezeichnen, — — mit gro¬ ßem Vergnügen das Imprimatur ertheilt. An demselben Orte, in einem unserer verbreitetsten Volksblätter, wurde von den „grausenhaf¬ ten" Scenen gesprochen, welche die Sturmfluth veranlaßte und gleich darauf von der eignen Schuld der Betroffenen, weil sie nicht früh genug ihr Eigenthum zu retten versucht. Das Wasser kam aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/234>, abgerufen am 05.02.2025.