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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Wegs zu todten beabsichtigt, da er ihn in diesem Falle wohl durch
die Brust gestoßen haben würde; vielmehr sei es nur seine Absicht
gewesen, ihn zu verwunden und so seine verletzte Standesehre zu
retten. Der Degen aber halte eine Röhre zerschmettert, und Paul
starb unter großen Schmerzen und gefoltert von dem Gedanken an
Frau und Kinder, noch in der folgenden Nacht.

Den Eindruck schildern zu wollen, den diese Nachricht auf The-
resen machte, ist mir nicht möglich. Als sie aus ihrem besinnungs¬
loser Zustand erwachte, erfuhr sie, daß sie fast zwei Monate krank,
in fremder Pflege, darniedergelegen hatte. Die Erinnerung an die
Veranlassung hätte sie beinahe von Neuem in Krankheit geworfen;
aber ihre Auszehrung nahm seitdem einen schnelleren Gang an.
Nur der Gedanke an die Kinder hielt sie soweit noch aufrecht, daß
sie sich mühsam in ihrem Hauswesen dahin schleppen konnte. All-
mählig ging der kleine Nest ihres Vermögens, der durch die Krank¬
heit schon geschmälert war, gänzlich zur Neige. Therese zögerte eine
Zeit lang, als sie aber keinen andern Ausweg sah, wendete sie sich
an die Armendirektion um Unterstützung. Hier stieß sie auf neue
Schwierigkeiten. Der Gemeindevorstand bestritt ihre Heimathrechte
am Ort, da sie nach den Gesetzen durch Verheirathung mit einem
Ausländer derselben verlustig gegangen sei. Es wurde daher erst
mit den Heimathbehörden ihres verstorbenen Mannes eine lange
Korrespondenz eröffnet. Während dessen nahmen sich einige frühere
Freunde Pauls der Frau an, und brachten durch eine Collekte eine
kleine Summe für sie zusammen. Zum augenblicklichen Nothbehelf
war das Geschenk ansehnlich, aber zur Sicherung eines bessern Loo-
ses reichte es nicht aus, und nach einigen Wochen mußte die Lage
der Unglücklichen wieder dieselbe sein. Das ist das ewige Geschick
der Armen, und die Wohlthätigkeit ist nur eine Grausamkeit, die sie
im Elend erhält.




Einige Zeit später treffen wir jene beiden Weiber wieder, deren
Gespräch wir schon oben einmal belauschten. Sie stehen vor einer
Hausthür und schauen dem Leichenwagen nach, der einfach und
ohne Geleit die Straße hinabsährt.

"Gott habe sie selig!" sagt die Eine. "Es war doch eine


Grenzbotc", i"is. IV. 2H

Wegs zu todten beabsichtigt, da er ihn in diesem Falle wohl durch
die Brust gestoßen haben würde; vielmehr sei es nur seine Absicht
gewesen, ihn zu verwunden und so seine verletzte Standesehre zu
retten. Der Degen aber halte eine Röhre zerschmettert, und Paul
starb unter großen Schmerzen und gefoltert von dem Gedanken an
Frau und Kinder, noch in der folgenden Nacht.

Den Eindruck schildern zu wollen, den diese Nachricht auf The-
resen machte, ist mir nicht möglich. Als sie aus ihrem besinnungs¬
loser Zustand erwachte, erfuhr sie, daß sie fast zwei Monate krank,
in fremder Pflege, darniedergelegen hatte. Die Erinnerung an die
Veranlassung hätte sie beinahe von Neuem in Krankheit geworfen;
aber ihre Auszehrung nahm seitdem einen schnelleren Gang an.
Nur der Gedanke an die Kinder hielt sie soweit noch aufrecht, daß
sie sich mühsam in ihrem Hauswesen dahin schleppen konnte. All-
mählig ging der kleine Nest ihres Vermögens, der durch die Krank¬
heit schon geschmälert war, gänzlich zur Neige. Therese zögerte eine
Zeit lang, als sie aber keinen andern Ausweg sah, wendete sie sich
an die Armendirektion um Unterstützung. Hier stieß sie auf neue
Schwierigkeiten. Der Gemeindevorstand bestritt ihre Heimathrechte
am Ort, da sie nach den Gesetzen durch Verheirathung mit einem
Ausländer derselben verlustig gegangen sei. Es wurde daher erst
mit den Heimathbehörden ihres verstorbenen Mannes eine lange
Korrespondenz eröffnet. Während dessen nahmen sich einige frühere
Freunde Pauls der Frau an, und brachten durch eine Collekte eine
kleine Summe für sie zusammen. Zum augenblicklichen Nothbehelf
war das Geschenk ansehnlich, aber zur Sicherung eines bessern Loo-
ses reichte es nicht aus, und nach einigen Wochen mußte die Lage
der Unglücklichen wieder dieselbe sein. Das ist das ewige Geschick
der Armen, und die Wohlthätigkeit ist nur eine Grausamkeit, die sie
im Elend erhält.




Einige Zeit später treffen wir jene beiden Weiber wieder, deren
Gespräch wir schon oben einmal belauschten. Sie stehen vor einer
Hausthür und schauen dem Leichenwagen nach, der einfach und
ohne Geleit die Straße hinabsährt.

„Gott habe sie selig!" sagt die Eine. „Es war doch eine


Grenzbotc«, i»is. IV. 2H
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[0225] Wegs zu todten beabsichtigt, da er ihn in diesem Falle wohl durch die Brust gestoßen haben würde; vielmehr sei es nur seine Absicht gewesen, ihn zu verwunden und so seine verletzte Standesehre zu retten. Der Degen aber halte eine Röhre zerschmettert, und Paul starb unter großen Schmerzen und gefoltert von dem Gedanken an Frau und Kinder, noch in der folgenden Nacht. Den Eindruck schildern zu wollen, den diese Nachricht auf The- resen machte, ist mir nicht möglich. Als sie aus ihrem besinnungs¬ loser Zustand erwachte, erfuhr sie, daß sie fast zwei Monate krank, in fremder Pflege, darniedergelegen hatte. Die Erinnerung an die Veranlassung hätte sie beinahe von Neuem in Krankheit geworfen; aber ihre Auszehrung nahm seitdem einen schnelleren Gang an. Nur der Gedanke an die Kinder hielt sie soweit noch aufrecht, daß sie sich mühsam in ihrem Hauswesen dahin schleppen konnte. All- mählig ging der kleine Nest ihres Vermögens, der durch die Krank¬ heit schon geschmälert war, gänzlich zur Neige. Therese zögerte eine Zeit lang, als sie aber keinen andern Ausweg sah, wendete sie sich an die Armendirektion um Unterstützung. Hier stieß sie auf neue Schwierigkeiten. Der Gemeindevorstand bestritt ihre Heimathrechte am Ort, da sie nach den Gesetzen durch Verheirathung mit einem Ausländer derselben verlustig gegangen sei. Es wurde daher erst mit den Heimathbehörden ihres verstorbenen Mannes eine lange Korrespondenz eröffnet. Während dessen nahmen sich einige frühere Freunde Pauls der Frau an, und brachten durch eine Collekte eine kleine Summe für sie zusammen. Zum augenblicklichen Nothbehelf war das Geschenk ansehnlich, aber zur Sicherung eines bessern Loo- ses reichte es nicht aus, und nach einigen Wochen mußte die Lage der Unglücklichen wieder dieselbe sein. Das ist das ewige Geschick der Armen, und die Wohlthätigkeit ist nur eine Grausamkeit, die sie im Elend erhält. Einige Zeit später treffen wir jene beiden Weiber wieder, deren Gespräch wir schon oben einmal belauschten. Sie stehen vor einer Hausthür und schauen dem Leichenwagen nach, der einfach und ohne Geleit die Straße hinabsährt. „Gott habe sie selig!" sagt die Eine. „Es war doch eine Grenzbotc«, i»is. IV. 2H

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/225>, abgerufen am 05.02.2025.