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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Posen, noch im Königreiche hätte Polen diesem herrlichen, tugendvol¬
len Freiheitshelden sein ewiges Bett aufschlagen können; Krakau,
der Freistaat, war das einzige Stück Erde, was wenigstens zur Noth
sich eignete.

Kann Krakau sich nun auch gerade nicht allzusehr seiner in
seinem Titel hängenden Freiheit rühmen, so darf es doch wenigstens
glücklich darum sich fühlen, daß es die ganze lange Reihe seiner
Könige, Königinnen und der durch ihre Handlungen und Tugenden
historisch größten Polen in seinem Schooße zum jüngsten Tage trägt.
sinke Krakau hinab zum elendesten Hüttchen; es wird immer groß
und herrlich sein; die Todten, die es trägt, tragen es hoch vor der
Welt, und der Nimbus, der diese umschwebt, wird Krakau selbst zu
einem Nimbus.

Krakau ist das größte Denkmal des polnischen Reiches, denn
fast jeder Stein in ihm greift in die Geschichte dieses Reiches. Es
ist das Nuhmdenkmal, es ist das Grabdenkmal Polens. Jede Ge¬
schichtsperiode hat sich an ihm in tausend Einzelnheiten abgezeichnet,
und wer Krakau gesehen, hat gewissermaßen daS ganze alte Reich
der Polen, fast bis auf seinen Ursprung zurück kennen gelernt.

Mein gefälliges Begleiterpaar sprach vor den drei Särgen in
dem Grabgewölbe kein Wort; ich gab ihnen keine Veranlassung da¬
zu. Der Kirchendiener, welcher uns führte, recitirte wie ein
Staar die Beschreibung, und schien nichts von der Heiligkeit des
Ortes zu empfinden, welche auf unseren Herzen schwer lastete.

Als ich aus dem Grabgewölbe herausgestiegen war, ich gestehe
es, kam mir die Menschheit entsetzlich verächtlich vor. Der Kirchen¬
diener hatte gesagt, alle Fremde, die Krakau besuchen, drängen sich
in dieses Grabgewölbe, und stehen bewundernd und anbetend vor
den drei Männern, die hier Leichen seien, aber vorzugsweise vor
Kosciuszco.

Was bewundert, fragte ich mich, nun eigentlich die sich herzu-
drängcnde Menschheit in diesen drei Männern? Die Tugend be¬
wundert sie, vor der Tugend derselben fällt sie anbetend auf die
Knie nieder. "Elende Menschheit!" dachte ich, "wie selten muß dir
die Tugend sein, daß du sie bewunderst, wie wenig muß sie dir ein
gemeines Gut sein, daß du um ihretwillen Leichen, die lebendig sie
getragen, vergötterst!"


Grenzboten, I"is. IV. 27

Posen, noch im Königreiche hätte Polen diesem herrlichen, tugendvol¬
len Freiheitshelden sein ewiges Bett aufschlagen können; Krakau,
der Freistaat, war das einzige Stück Erde, was wenigstens zur Noth
sich eignete.

Kann Krakau sich nun auch gerade nicht allzusehr seiner in
seinem Titel hängenden Freiheit rühmen, so darf es doch wenigstens
glücklich darum sich fühlen, daß es die ganze lange Reihe seiner
Könige, Königinnen und der durch ihre Handlungen und Tugenden
historisch größten Polen in seinem Schooße zum jüngsten Tage trägt.
sinke Krakau hinab zum elendesten Hüttchen; es wird immer groß
und herrlich sein; die Todten, die es trägt, tragen es hoch vor der
Welt, und der Nimbus, der diese umschwebt, wird Krakau selbst zu
einem Nimbus.

Krakau ist das größte Denkmal des polnischen Reiches, denn
fast jeder Stein in ihm greift in die Geschichte dieses Reiches. Es
ist das Nuhmdenkmal, es ist das Grabdenkmal Polens. Jede Ge¬
schichtsperiode hat sich an ihm in tausend Einzelnheiten abgezeichnet,
und wer Krakau gesehen, hat gewissermaßen daS ganze alte Reich
der Polen, fast bis auf seinen Ursprung zurück kennen gelernt.

Mein gefälliges Begleiterpaar sprach vor den drei Särgen in
dem Grabgewölbe kein Wort; ich gab ihnen keine Veranlassung da¬
zu. Der Kirchendiener, welcher uns führte, recitirte wie ein
Staar die Beschreibung, und schien nichts von der Heiligkeit des
Ortes zu empfinden, welche auf unseren Herzen schwer lastete.

Als ich aus dem Grabgewölbe herausgestiegen war, ich gestehe
es, kam mir die Menschheit entsetzlich verächtlich vor. Der Kirchen¬
diener hatte gesagt, alle Fremde, die Krakau besuchen, drängen sich
in dieses Grabgewölbe, und stehen bewundernd und anbetend vor
den drei Männern, die hier Leichen seien, aber vorzugsweise vor
Kosciuszco.

Was bewundert, fragte ich mich, nun eigentlich die sich herzu-
drängcnde Menschheit in diesen drei Männern? Die Tugend be¬
wundert sie, vor der Tugend derselben fällt sie anbetend auf die
Knie nieder. „Elende Menschheit!" dachte ich, „wie selten muß dir
die Tugend sein, daß du sie bewunderst, wie wenig muß sie dir ein
gemeines Gut sein, daß du um ihretwillen Leichen, die lebendig sie
getragen, vergötterst!"


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[0217] Posen, noch im Königreiche hätte Polen diesem herrlichen, tugendvol¬ len Freiheitshelden sein ewiges Bett aufschlagen können; Krakau, der Freistaat, war das einzige Stück Erde, was wenigstens zur Noth sich eignete. Kann Krakau sich nun auch gerade nicht allzusehr seiner in seinem Titel hängenden Freiheit rühmen, so darf es doch wenigstens glücklich darum sich fühlen, daß es die ganze lange Reihe seiner Könige, Königinnen und der durch ihre Handlungen und Tugenden historisch größten Polen in seinem Schooße zum jüngsten Tage trägt. sinke Krakau hinab zum elendesten Hüttchen; es wird immer groß und herrlich sein; die Todten, die es trägt, tragen es hoch vor der Welt, und der Nimbus, der diese umschwebt, wird Krakau selbst zu einem Nimbus. Krakau ist das größte Denkmal des polnischen Reiches, denn fast jeder Stein in ihm greift in die Geschichte dieses Reiches. Es ist das Nuhmdenkmal, es ist das Grabdenkmal Polens. Jede Ge¬ schichtsperiode hat sich an ihm in tausend Einzelnheiten abgezeichnet, und wer Krakau gesehen, hat gewissermaßen daS ganze alte Reich der Polen, fast bis auf seinen Ursprung zurück kennen gelernt. Mein gefälliges Begleiterpaar sprach vor den drei Särgen in dem Grabgewölbe kein Wort; ich gab ihnen keine Veranlassung da¬ zu. Der Kirchendiener, welcher uns führte, recitirte wie ein Staar die Beschreibung, und schien nichts von der Heiligkeit des Ortes zu empfinden, welche auf unseren Herzen schwer lastete. Als ich aus dem Grabgewölbe herausgestiegen war, ich gestehe es, kam mir die Menschheit entsetzlich verächtlich vor. Der Kirchen¬ diener hatte gesagt, alle Fremde, die Krakau besuchen, drängen sich in dieses Grabgewölbe, und stehen bewundernd und anbetend vor den drei Männern, die hier Leichen seien, aber vorzugsweise vor Kosciuszco. Was bewundert, fragte ich mich, nun eigentlich die sich herzu- drängcnde Menschheit in diesen drei Männern? Die Tugend be¬ wundert sie, vor der Tugend derselben fällt sie anbetend auf die Knie nieder. „Elende Menschheit!" dachte ich, „wie selten muß dir die Tugend sein, daß du sie bewunderst, wie wenig muß sie dir ein gemeines Gut sein, daß du um ihretwillen Leichen, die lebendig sie getragen, vergötterst!" Grenzboten, I«is. IV. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/217>, abgerufen am 05.02.2025.