Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Sieh' Herr!" meinte meine Begleiterin, "die Bettler von Kra¬
kau wohnen in königlichen Zimmern; daS ist gewiß großartig -- wo
müssen nun erst die Könige von Polen wohnen?"

"Jedenfalls in himmlischen Zimmern," antwortete ich in halbem
Scherz.

"Ach ja!" stöhnte sie und ihr Bruder verzog die Mienen, als
erfasse ihn ein heftiger Schmerz.

Wir gingen über einen weiten, viereckten Platz nach der Schlo߬
kirche. Meine Gefährtin erzählte, daß auf diesem Platze einst zwei
kleine, recht schöne Kirchen gestanden haben, und mein Gefährte er¬
klärte, daß sie unter der Herrschaft Oesterreichs abgetragen worden
seien, um dem Militair, welches im Schlosse gelegen, einen bequemen
Erercirplatz zu verschaffen.

Da drei Kirchen im Schlosse sich befanden, so waren meiner
Meinung nach allerdings zwei zum Ueberfluß. Es ist gewiß nicht
gut, wenn die Kirche sich allzuweit und breit macht; die Menschheit
verliert dadurch draußen die Welt, und sticht sie in der Kirche; das
ist nicht gut -- auch verliert sie in dem allzuweiter Raume, und
namentlich wegen der hineingezogenen Welt, gar leicht die Spur zu
Gott. War freilich das Schloß als uraltes Denkmal ein Heilig-
thum, so konnten die beiden überflüssigen Kirchen nicht entfernt wer¬
den, ohne daß das Heiligthum verletzt wurde ....

Der Verlust wäre vielleicht weniger zu betrauern gewesen, wenn
die österreichische Regierung hundert Kirchen in der Stadt Krakall
hinweggeräumt hätte. Die beiden Kirchen im Schlosse waren heili¬
ger, als hundert in der Stadt. Ohnehin wären nach Entfernung
von hundert Kirchen der Stadt immer noch zwölf geblieben, die den
dreißig tausend christlichen Einwohnern einen gewiß genugsam breiten
Weg zum Himmel bildeten.

Die Leser werden darüber erstaunen, daß Krakau für seine drei¬
ßigtausend Christen (früher besaß eS freilich sechzigtausend) hundert
und zwölf Kirchen besitzt. Ich selbst staune diesen Kirchenreichthum
an, und würde ihn anstaunen, wenn selbst Krakau noch seine sechzig
tausend Christen besäße.

Wozu dieser Ueberfluß an Kirchen, ist mir nicht ganz begreiflich,
woher er kommt, etwas mehr. Mit Ausnahme einiger uralten stam¬
men die Kirchen sämmtlich aus dem Mittelalter, und dieses war nun


„Sieh' Herr!" meinte meine Begleiterin, „die Bettler von Kra¬
kau wohnen in königlichen Zimmern; daS ist gewiß großartig — wo
müssen nun erst die Könige von Polen wohnen?"

„Jedenfalls in himmlischen Zimmern," antwortete ich in halbem
Scherz.

„Ach ja!" stöhnte sie und ihr Bruder verzog die Mienen, als
erfasse ihn ein heftiger Schmerz.

Wir gingen über einen weiten, viereckten Platz nach der Schlo߬
kirche. Meine Gefährtin erzählte, daß auf diesem Platze einst zwei
kleine, recht schöne Kirchen gestanden haben, und mein Gefährte er¬
klärte, daß sie unter der Herrschaft Oesterreichs abgetragen worden
seien, um dem Militair, welches im Schlosse gelegen, einen bequemen
Erercirplatz zu verschaffen.

Da drei Kirchen im Schlosse sich befanden, so waren meiner
Meinung nach allerdings zwei zum Ueberfluß. Es ist gewiß nicht
gut, wenn die Kirche sich allzuweit und breit macht; die Menschheit
verliert dadurch draußen die Welt, und sticht sie in der Kirche; das
ist nicht gut — auch verliert sie in dem allzuweiter Raume, und
namentlich wegen der hineingezogenen Welt, gar leicht die Spur zu
Gott. War freilich das Schloß als uraltes Denkmal ein Heilig-
thum, so konnten die beiden überflüssigen Kirchen nicht entfernt wer¬
den, ohne daß das Heiligthum verletzt wurde ....

Der Verlust wäre vielleicht weniger zu betrauern gewesen, wenn
die österreichische Regierung hundert Kirchen in der Stadt Krakall
hinweggeräumt hätte. Die beiden Kirchen im Schlosse waren heili¬
ger, als hundert in der Stadt. Ohnehin wären nach Entfernung
von hundert Kirchen der Stadt immer noch zwölf geblieben, die den
dreißig tausend christlichen Einwohnern einen gewiß genugsam breiten
Weg zum Himmel bildeten.

Die Leser werden darüber erstaunen, daß Krakau für seine drei¬
ßigtausend Christen (früher besaß eS freilich sechzigtausend) hundert
und zwölf Kirchen besitzt. Ich selbst staune diesen Kirchenreichthum
an, und würde ihn anstaunen, wenn selbst Krakau noch seine sechzig
tausend Christen besäße.

Wozu dieser Ueberfluß an Kirchen, ist mir nicht ganz begreiflich,
woher er kommt, etwas mehr. Mit Ausnahme einiger uralten stam¬
men die Kirchen sämmtlich aus dem Mittelalter, und dieses war nun


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271475"/>
            <p xml:id="ID_582"> &#x201E;Sieh' Herr!" meinte meine Begleiterin, &#x201E;die Bettler von Kra¬<lb/>
kau wohnen in königlichen Zimmern; daS ist gewiß großartig &#x2014; wo<lb/>
müssen nun erst die Könige von Polen wohnen?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_583"> &#x201E;Jedenfalls in himmlischen Zimmern," antwortete ich in halbem<lb/>
Scherz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_584"> &#x201E;Ach ja!" stöhnte sie und ihr Bruder verzog die Mienen, als<lb/>
erfasse ihn ein heftiger Schmerz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_585"> Wir gingen über einen weiten, viereckten Platz nach der Schlo߬<lb/>
kirche. Meine Gefährtin erzählte, daß auf diesem Platze einst zwei<lb/>
kleine, recht schöne Kirchen gestanden haben, und mein Gefährte er¬<lb/>
klärte, daß sie unter der Herrschaft Oesterreichs abgetragen worden<lb/>
seien, um dem Militair, welches im Schlosse gelegen, einen bequemen<lb/>
Erercirplatz zu verschaffen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_586"> Da drei Kirchen im Schlosse sich befanden, so waren meiner<lb/>
Meinung nach allerdings zwei zum Ueberfluß. Es ist gewiß nicht<lb/>
gut, wenn die Kirche sich allzuweit und breit macht; die Menschheit<lb/>
verliert dadurch draußen die Welt, und sticht sie in der Kirche; das<lb/>
ist nicht gut &#x2014; auch verliert sie in dem allzuweiter Raume, und<lb/>
namentlich wegen der hineingezogenen Welt, gar leicht die Spur zu<lb/>
Gott. War freilich das Schloß als uraltes Denkmal ein Heilig-<lb/>
thum, so konnten die beiden überflüssigen Kirchen nicht entfernt wer¬<lb/>
den, ohne daß das Heiligthum verletzt wurde ....</p><lb/>
            <p xml:id="ID_587"> Der Verlust wäre vielleicht weniger zu betrauern gewesen, wenn<lb/>
die österreichische Regierung hundert Kirchen in der Stadt Krakall<lb/>
hinweggeräumt hätte. Die beiden Kirchen im Schlosse waren heili¬<lb/>
ger, als hundert in der Stadt. Ohnehin wären nach Entfernung<lb/>
von hundert Kirchen der Stadt immer noch zwölf geblieben, die den<lb/>
dreißig tausend christlichen Einwohnern einen gewiß genugsam breiten<lb/>
Weg zum Himmel bildeten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_588"> Die Leser werden darüber erstaunen, daß Krakau für seine drei¬<lb/>
ßigtausend Christen (früher besaß eS freilich sechzigtausend) hundert<lb/>
und zwölf Kirchen besitzt. Ich selbst staune diesen Kirchenreichthum<lb/>
an, und würde ihn anstaunen, wenn selbst Krakau noch seine sechzig<lb/>
tausend Christen besäße.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_589" next="#ID_590"> Wozu dieser Ueberfluß an Kirchen, ist mir nicht ganz begreiflich,<lb/>
woher er kommt, etwas mehr. Mit Ausnahme einiger uralten stam¬<lb/>
men die Kirchen sämmtlich aus dem Mittelalter, und dieses war nun</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] „Sieh' Herr!" meinte meine Begleiterin, „die Bettler von Kra¬ kau wohnen in königlichen Zimmern; daS ist gewiß großartig — wo müssen nun erst die Könige von Polen wohnen?" „Jedenfalls in himmlischen Zimmern," antwortete ich in halbem Scherz. „Ach ja!" stöhnte sie und ihr Bruder verzog die Mienen, als erfasse ihn ein heftiger Schmerz. Wir gingen über einen weiten, viereckten Platz nach der Schlo߬ kirche. Meine Gefährtin erzählte, daß auf diesem Platze einst zwei kleine, recht schöne Kirchen gestanden haben, und mein Gefährte er¬ klärte, daß sie unter der Herrschaft Oesterreichs abgetragen worden seien, um dem Militair, welches im Schlosse gelegen, einen bequemen Erercirplatz zu verschaffen. Da drei Kirchen im Schlosse sich befanden, so waren meiner Meinung nach allerdings zwei zum Ueberfluß. Es ist gewiß nicht gut, wenn die Kirche sich allzuweit und breit macht; die Menschheit verliert dadurch draußen die Welt, und sticht sie in der Kirche; das ist nicht gut — auch verliert sie in dem allzuweiter Raume, und namentlich wegen der hineingezogenen Welt, gar leicht die Spur zu Gott. War freilich das Schloß als uraltes Denkmal ein Heilig- thum, so konnten die beiden überflüssigen Kirchen nicht entfernt wer¬ den, ohne daß das Heiligthum verletzt wurde .... Der Verlust wäre vielleicht weniger zu betrauern gewesen, wenn die österreichische Regierung hundert Kirchen in der Stadt Krakall hinweggeräumt hätte. Die beiden Kirchen im Schlosse waren heili¬ ger, als hundert in der Stadt. Ohnehin wären nach Entfernung von hundert Kirchen der Stadt immer noch zwölf geblieben, die den dreißig tausend christlichen Einwohnern einen gewiß genugsam breiten Weg zum Himmel bildeten. Die Leser werden darüber erstaunen, daß Krakau für seine drei¬ ßigtausend Christen (früher besaß eS freilich sechzigtausend) hundert und zwölf Kirchen besitzt. Ich selbst staune diesen Kirchenreichthum an, und würde ihn anstaunen, wenn selbst Krakau noch seine sechzig tausend Christen besäße. Wozu dieser Ueberfluß an Kirchen, ist mir nicht ganz begreiflich, woher er kommt, etwas mehr. Mit Ausnahme einiger uralten stam¬ men die Kirchen sämmtlich aus dem Mittelalter, und dieses war nun

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/214>, abgerufen am 05.02.2025.