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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Nachdem wir in der Höhle drei und sechzig Schritte gethan,
befanden wir uns am Ende derselben. Eine tiefe, fast an Nacht
grenzende Dämmerung umgab uns hier, bis mein Gefährte ein
Wachsstöcklein anzündete. Unter der ewigen Herrschaft des Natur¬
gesetzes trat die alte Erfahrung, die Rom gegenwärtig macht, ein:
vor dem Lichte floh die Finsterniß.

Ein kleiner Dom erschien mir die große Höhle. DaS Gewölbe
hing hoch über unseren Häuptern, die Seitenwände standen weit
von einander ab. Wunderliche Basreliefs hat die Hand des ewigen
Baumeisters hier in das Felsengewölbe gehauen, in seltsamer Fügung
die Felsenfteinchen und Steine, Blöckchen und Blöcke auf und
an einander gesellt zu ewigen Mauern für die Wohnung einer hei¬
ligen Stille.

Diese tiefe Höhle im Wawelberge bei Krakau wird, wie ich
schon erwähnte, die Drachenhöhle genannt. So vieles, was aus den
tiefen Jahrhunderten hervorgealtert, hat mit Drachen und andern
Wunderlichketten (den Geschenken deö Mittelalters) zu thun. Die
Menschen deö neunzehnten Jahrhunderts pflegen die Drachennamen
und Drachenbiographien dieser uralten Denkmäler zu belachen, als
ob von Drachen auf Gottes schönem Erdboden gar die Rede nicht
sein könnte, und als ob nicht in der That jene uralten Denkmäler
mit Drachen zu schaffen hätten I Ich möchte fast ärgerlich über die
lachenden Menschen unseres Jahrhunderts lachen und zu ihnen sagen:
ihr klugen Narren, lacht immerhin über die Drachen, die an den
Wurzeln, dem Ursprünge der uralten heiligen Denkmäler liegen, als
über Fabelthiere, aber sehet nur die Drachen, die an den Kronen
her uralten herrlichen Denkmäler vernichtend und entweihend nagen
-- schauet in die Spiegel: und ihr sehet diese Drachen; und wenn
ihr über jene uralten gelacht habt, so heult über diese neuen.

Die Drachenhöhle im Wawelberge bringt mich zwar nicht auf,
meinen Zorn gegen diese jungen Drachen auszurufen, denn sie hat
nicht unter ihren sünffingertgen Klauen gelitten, aber gleich über
dieser Höhle stehet ein uralt heiliges Denkmal, das schmählich genug
von diesen jungen Drachen zernagt ist; ich meine das alte königliche
Schloß -- ich komme sehr bald darauf. Wie viele alte köstliche
Denkmäler sind von diesen jungen Drachen zernichtet! Ihr Drachen,
denkt nur an die alten köstlichen Kirchen, Schlösser, Burgen :c., die


Nachdem wir in der Höhle drei und sechzig Schritte gethan,
befanden wir uns am Ende derselben. Eine tiefe, fast an Nacht
grenzende Dämmerung umgab uns hier, bis mein Gefährte ein
Wachsstöcklein anzündete. Unter der ewigen Herrschaft des Natur¬
gesetzes trat die alte Erfahrung, die Rom gegenwärtig macht, ein:
vor dem Lichte floh die Finsterniß.

Ein kleiner Dom erschien mir die große Höhle. DaS Gewölbe
hing hoch über unseren Häuptern, die Seitenwände standen weit
von einander ab. Wunderliche Basreliefs hat die Hand des ewigen
Baumeisters hier in das Felsengewölbe gehauen, in seltsamer Fügung
die Felsenfteinchen und Steine, Blöckchen und Blöcke auf und
an einander gesellt zu ewigen Mauern für die Wohnung einer hei¬
ligen Stille.

Diese tiefe Höhle im Wawelberge bei Krakau wird, wie ich
schon erwähnte, die Drachenhöhle genannt. So vieles, was aus den
tiefen Jahrhunderten hervorgealtert, hat mit Drachen und andern
Wunderlichketten (den Geschenken deö Mittelalters) zu thun. Die
Menschen deö neunzehnten Jahrhunderts pflegen die Drachennamen
und Drachenbiographien dieser uralten Denkmäler zu belachen, als
ob von Drachen auf Gottes schönem Erdboden gar die Rede nicht
sein könnte, und als ob nicht in der That jene uralten Denkmäler
mit Drachen zu schaffen hätten I Ich möchte fast ärgerlich über die
lachenden Menschen unseres Jahrhunderts lachen und zu ihnen sagen:
ihr klugen Narren, lacht immerhin über die Drachen, die an den
Wurzeln, dem Ursprünge der uralten heiligen Denkmäler liegen, als
über Fabelthiere, aber sehet nur die Drachen, die an den Kronen
her uralten herrlichen Denkmäler vernichtend und entweihend nagen
— schauet in die Spiegel: und ihr sehet diese Drachen; und wenn
ihr über jene uralten gelacht habt, so heult über diese neuen.

Die Drachenhöhle im Wawelberge bringt mich zwar nicht auf,
meinen Zorn gegen diese jungen Drachen auszurufen, denn sie hat
nicht unter ihren sünffingertgen Klauen gelitten, aber gleich über
dieser Höhle stehet ein uralt heiliges Denkmal, das schmählich genug
von diesen jungen Drachen zernagt ist; ich meine das alte königliche
Schloß — ich komme sehr bald darauf. Wie viele alte köstliche
Denkmäler sind von diesen jungen Drachen zernichtet! Ihr Drachen,
denkt nur an die alten köstlichen Kirchen, Schlösser, Burgen :c., die


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[0174] Nachdem wir in der Höhle drei und sechzig Schritte gethan, befanden wir uns am Ende derselben. Eine tiefe, fast an Nacht grenzende Dämmerung umgab uns hier, bis mein Gefährte ein Wachsstöcklein anzündete. Unter der ewigen Herrschaft des Natur¬ gesetzes trat die alte Erfahrung, die Rom gegenwärtig macht, ein: vor dem Lichte floh die Finsterniß. Ein kleiner Dom erschien mir die große Höhle. DaS Gewölbe hing hoch über unseren Häuptern, die Seitenwände standen weit von einander ab. Wunderliche Basreliefs hat die Hand des ewigen Baumeisters hier in das Felsengewölbe gehauen, in seltsamer Fügung die Felsenfteinchen und Steine, Blöckchen und Blöcke auf und an einander gesellt zu ewigen Mauern für die Wohnung einer hei¬ ligen Stille. Diese tiefe Höhle im Wawelberge bei Krakau wird, wie ich schon erwähnte, die Drachenhöhle genannt. So vieles, was aus den tiefen Jahrhunderten hervorgealtert, hat mit Drachen und andern Wunderlichketten (den Geschenken deö Mittelalters) zu thun. Die Menschen deö neunzehnten Jahrhunderts pflegen die Drachennamen und Drachenbiographien dieser uralten Denkmäler zu belachen, als ob von Drachen auf Gottes schönem Erdboden gar die Rede nicht sein könnte, und als ob nicht in der That jene uralten Denkmäler mit Drachen zu schaffen hätten I Ich möchte fast ärgerlich über die lachenden Menschen unseres Jahrhunderts lachen und zu ihnen sagen: ihr klugen Narren, lacht immerhin über die Drachen, die an den Wurzeln, dem Ursprünge der uralten heiligen Denkmäler liegen, als über Fabelthiere, aber sehet nur die Drachen, die an den Kronen her uralten herrlichen Denkmäler vernichtend und entweihend nagen — schauet in die Spiegel: und ihr sehet diese Drachen; und wenn ihr über jene uralten gelacht habt, so heult über diese neuen. Die Drachenhöhle im Wawelberge bringt mich zwar nicht auf, meinen Zorn gegen diese jungen Drachen auszurufen, denn sie hat nicht unter ihren sünffingertgen Klauen gelitten, aber gleich über dieser Höhle stehet ein uralt heiliges Denkmal, das schmählich genug von diesen jungen Drachen zernagt ist; ich meine das alte königliche Schloß — ich komme sehr bald darauf. Wie viele alte köstliche Denkmäler sind von diesen jungen Drachen zernichtet! Ihr Drachen, denkt nur an die alten köstlichen Kirchen, Schlösser, Burgen :c., die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/174>, abgerufen am 05.02.2025.