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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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den Wawelberge verloren und die mit einem sibirischen Felsenblock
gewonnen.

Wir hatten den Berg erstiegen und standen auf dem mit dem
alten Schlosse, welches mehr als die Hälfte der Hochebene bedeckt,
bekrönten Gipfel. Unsere Füße hatten sich schwer gemühet zur Lust
unserer Augen. Kamen mir doch diese armen Unterthanen, die --
außer beim Tanzen -- stets für fremden Genuß arbeiten müssen,
nicht anders vor als andere Unterthanen; sie hatten sich ermüdet,
daß sie hätten einbrechen mögen: was hatten sie für sich erlangt
durch ihre Anstrengung? Hoch über ihnen das Augenpaar ergötzte
sich. Welche Aussicht!

Schaut man vom Wawelberg, nachdem man sich bei dessen
Besteigung nicht umgeblickt, plötzlich hernieder und umher, so dünkt
es Einem, in das Reich und unter die Herrschaft jenes berauschenden
Zaubers gekommen zu sein, den man im Weltall der alten Märchen
zu finden pflegt. Ein ungeheuerer bunter Teppich, hingeworfen über
sanfte Höhen und Tiefen, lag rings unter uns. Ungrunde Land¬
häuser und Klöster waren die eingestickten Blumen, Krakau mit sei¬
nen prahlenden Palästen, Kirchen und Thürmen der große, schöne
Strauß in der Mitte, die Weichsel ein silbernes Band, das den
Strauß gebunden hielt, und ferne Wälder und das siebzehn Stunden
weit liegende Tahagebirge die Kante, der der Strahl der Sonne die
wiederblitzenden Schneemassen der Tahagipfel zu blanken Perlen
machte. Dunklen sich hier die alten Könige Polens nicht mehr denn
irdische Könige, nämlich Könige einer Feenwelt, so bedauere ich ihre
Phantasie. Vielleicht aber dünkten sie sich gar noch mehr als Feen-
weltkönige; -- wer mag wissen, wie groß das Dünken in gekrönten
Häuptern ist. --

Meine Gefährten führten mich um das Schloß halb herum: da
standen wir plötzlich vor der in Polen berühmten sogenannten Dra¬
chenhöhle. Sie bildet den Mund deS uralten Berges. Derselbe ist
offen, aber stumm, wie der Mund der Völker, die von ihren Fürsten
geliebt werden. Wie vieles hätte uns dieser alte Mund aus den
abgestorbenen Jahrhunderten erzählen können! Er wehete uns aber
nur schweigend mit seinem kalten Odem an, als ob er meine: "die
Vergangenheit ist kalt; horcht in euer Jahrhundert, das wird euch
Wärmen."


den Wawelberge verloren und die mit einem sibirischen Felsenblock
gewonnen.

Wir hatten den Berg erstiegen und standen auf dem mit dem
alten Schlosse, welches mehr als die Hälfte der Hochebene bedeckt,
bekrönten Gipfel. Unsere Füße hatten sich schwer gemühet zur Lust
unserer Augen. Kamen mir doch diese armen Unterthanen, die —
außer beim Tanzen — stets für fremden Genuß arbeiten müssen,
nicht anders vor als andere Unterthanen; sie hatten sich ermüdet,
daß sie hätten einbrechen mögen: was hatten sie für sich erlangt
durch ihre Anstrengung? Hoch über ihnen das Augenpaar ergötzte
sich. Welche Aussicht!

Schaut man vom Wawelberg, nachdem man sich bei dessen
Besteigung nicht umgeblickt, plötzlich hernieder und umher, so dünkt
es Einem, in das Reich und unter die Herrschaft jenes berauschenden
Zaubers gekommen zu sein, den man im Weltall der alten Märchen
zu finden pflegt. Ein ungeheuerer bunter Teppich, hingeworfen über
sanfte Höhen und Tiefen, lag rings unter uns. Ungrunde Land¬
häuser und Klöster waren die eingestickten Blumen, Krakau mit sei¬
nen prahlenden Palästen, Kirchen und Thürmen der große, schöne
Strauß in der Mitte, die Weichsel ein silbernes Band, das den
Strauß gebunden hielt, und ferne Wälder und das siebzehn Stunden
weit liegende Tahagebirge die Kante, der der Strahl der Sonne die
wiederblitzenden Schneemassen der Tahagipfel zu blanken Perlen
machte. Dunklen sich hier die alten Könige Polens nicht mehr denn
irdische Könige, nämlich Könige einer Feenwelt, so bedauere ich ihre
Phantasie. Vielleicht aber dünkten sie sich gar noch mehr als Feen-
weltkönige; — wer mag wissen, wie groß das Dünken in gekrönten
Häuptern ist. —

Meine Gefährten führten mich um das Schloß halb herum: da
standen wir plötzlich vor der in Polen berühmten sogenannten Dra¬
chenhöhle. Sie bildet den Mund deS uralten Berges. Derselbe ist
offen, aber stumm, wie der Mund der Völker, die von ihren Fürsten
geliebt werden. Wie vieles hätte uns dieser alte Mund aus den
abgestorbenen Jahrhunderten erzählen können! Er wehete uns aber
nur schweigend mit seinem kalten Odem an, als ob er meine: „die
Vergangenheit ist kalt; horcht in euer Jahrhundert, das wird euch
Wärmen."


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[0173] den Wawelberge verloren und die mit einem sibirischen Felsenblock gewonnen. Wir hatten den Berg erstiegen und standen auf dem mit dem alten Schlosse, welches mehr als die Hälfte der Hochebene bedeckt, bekrönten Gipfel. Unsere Füße hatten sich schwer gemühet zur Lust unserer Augen. Kamen mir doch diese armen Unterthanen, die — außer beim Tanzen — stets für fremden Genuß arbeiten müssen, nicht anders vor als andere Unterthanen; sie hatten sich ermüdet, daß sie hätten einbrechen mögen: was hatten sie für sich erlangt durch ihre Anstrengung? Hoch über ihnen das Augenpaar ergötzte sich. Welche Aussicht! Schaut man vom Wawelberg, nachdem man sich bei dessen Besteigung nicht umgeblickt, plötzlich hernieder und umher, so dünkt es Einem, in das Reich und unter die Herrschaft jenes berauschenden Zaubers gekommen zu sein, den man im Weltall der alten Märchen zu finden pflegt. Ein ungeheuerer bunter Teppich, hingeworfen über sanfte Höhen und Tiefen, lag rings unter uns. Ungrunde Land¬ häuser und Klöster waren die eingestickten Blumen, Krakau mit sei¬ nen prahlenden Palästen, Kirchen und Thürmen der große, schöne Strauß in der Mitte, die Weichsel ein silbernes Band, das den Strauß gebunden hielt, und ferne Wälder und das siebzehn Stunden weit liegende Tahagebirge die Kante, der der Strahl der Sonne die wiederblitzenden Schneemassen der Tahagipfel zu blanken Perlen machte. Dunklen sich hier die alten Könige Polens nicht mehr denn irdische Könige, nämlich Könige einer Feenwelt, so bedauere ich ihre Phantasie. Vielleicht aber dünkten sie sich gar noch mehr als Feen- weltkönige; — wer mag wissen, wie groß das Dünken in gekrönten Häuptern ist. — Meine Gefährten führten mich um das Schloß halb herum: da standen wir plötzlich vor der in Polen berühmten sogenannten Dra¬ chenhöhle. Sie bildet den Mund deS uralten Berges. Derselbe ist offen, aber stumm, wie der Mund der Völker, die von ihren Fürsten geliebt werden. Wie vieles hätte uns dieser alte Mund aus den abgestorbenen Jahrhunderten erzählen können! Er wehete uns aber nur schweigend mit seinem kalten Odem an, als ob er meine: „die Vergangenheit ist kalt; horcht in euer Jahrhundert, das wird euch Wärmen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/173>, abgerufen am 05.02.2025.