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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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die Umstände erheischte". Zu spät, nur wenige Tage vor meiner
Abreise, fand ich einen solchen in einen" meiner frühern Lehrer
einem gelehrten, aufgeklärten Benedictiner. Dieser ließ mich
rufen, und sprach mit einer ernsten, durch tiefe Wehmuth ergriffenen
Miene: "Mein lieber Georg, wie viel lieber sähe ich Sie auf eine
deutsche Universität gehen, und wäre es auch eine protestantische!"
Darauf erzählte er mir seine eigne Lebensgeschichte, wie er in seiner
Jugend durch eine unglückliche Liebe bethört und wahnumfangen sich
die Mönchskutte habe über den Kops werfen lassen, und nun den
Schritt eines verzweifelten Momentes mit dem Unglück eines ganzen
Lebens büße! Der Mönch schloß seine Erzählung mit den gewich¬
tigen Worten: "Es ist ein schreckliches Erwachen, sich plötzlich durch
einen freiwilligen Eid als Sklave geopfert zu sehen. Junger Freund,
binden Sie sich nicht, ehe Sie nicht durch die äußerste Nothwendig¬
keit dazu gezwungen werden. Dieß ist eine goldene Lehre, die man¬
cher katholische Priester und manche Nonne mit dem Leben bezahlen!
Die Bande der Hierarchie haben eine hydraartige Natur: aus einer
einzigen zerrissenen Faser gebähren sich hundert neue Stricke. -- Und
dann noch eins, mein unerfahrner Jüngling! wissen Sie, wozu Sie
bestimmt sind? Sie sind noch viel schlimmer daran, als ein deut¬
scher Mönch. Das Institut, in welches man Sie sendet, ist die
Werkstätte des Jesuitismus für Deutschland, welche, in neuerer Zeit
wieder zu Kräften gekommen, zur Schande des Jahrhunderts den
verjährten Kampf für die Hierarchie erneuern will, an deren Wunden
das Herz deS Waterlandes seit mehr als dreißig Jahrzehenten ver¬
blutet!"

Dieß war das offene Wort eines klug gewordenen Mönches, und
eS ist um so höher anzuschlagen, weil der Mönch ein allgemein geach¬
teter, auch in der gelehrten Welt nicht unbekannter öffentlicher Lehrer
ist. Allein bei mir fand diese Warnung jetzt ein taubes Ohr. Theils
waren meine Ideale von Rom schon zu tief gewurzelt, als daß sie
das Unglück eines Einzelnen zertrümmern konnte; theils auch schämte
ich mich, so schnell von einem Vorhaben abzustehen, das bereits keinem
meiner Bekannten mehr ein Geheimniß war. Ein Besuch bei dem
Lieutenant zauberte mich bald wieder in die alte Schwärmerei zurück,
und ich trat mit hoffnungsvollen, doch auch manchmal bang klopfen¬
dem Herzen die Reise zur Werkstätte des deutschen Jesuitismus an.


die Umstände erheischte». Zu spät, nur wenige Tage vor meiner
Abreise, fand ich einen solchen in einen« meiner frühern Lehrer
einem gelehrten, aufgeklärten Benedictiner. Dieser ließ mich
rufen, und sprach mit einer ernsten, durch tiefe Wehmuth ergriffenen
Miene: „Mein lieber Georg, wie viel lieber sähe ich Sie auf eine
deutsche Universität gehen, und wäre es auch eine protestantische!"
Darauf erzählte er mir seine eigne Lebensgeschichte, wie er in seiner
Jugend durch eine unglückliche Liebe bethört und wahnumfangen sich
die Mönchskutte habe über den Kops werfen lassen, und nun den
Schritt eines verzweifelten Momentes mit dem Unglück eines ganzen
Lebens büße! Der Mönch schloß seine Erzählung mit den gewich¬
tigen Worten: „Es ist ein schreckliches Erwachen, sich plötzlich durch
einen freiwilligen Eid als Sklave geopfert zu sehen. Junger Freund,
binden Sie sich nicht, ehe Sie nicht durch die äußerste Nothwendig¬
keit dazu gezwungen werden. Dieß ist eine goldene Lehre, die man¬
cher katholische Priester und manche Nonne mit dem Leben bezahlen!
Die Bande der Hierarchie haben eine hydraartige Natur: aus einer
einzigen zerrissenen Faser gebähren sich hundert neue Stricke. — Und
dann noch eins, mein unerfahrner Jüngling! wissen Sie, wozu Sie
bestimmt sind? Sie sind noch viel schlimmer daran, als ein deut¬
scher Mönch. Das Institut, in welches man Sie sendet, ist die
Werkstätte des Jesuitismus für Deutschland, welche, in neuerer Zeit
wieder zu Kräften gekommen, zur Schande des Jahrhunderts den
verjährten Kampf für die Hierarchie erneuern will, an deren Wunden
das Herz deS Waterlandes seit mehr als dreißig Jahrzehenten ver¬
blutet!"

Dieß war das offene Wort eines klug gewordenen Mönches, und
eS ist um so höher anzuschlagen, weil der Mönch ein allgemein geach¬
teter, auch in der gelehrten Welt nicht unbekannter öffentlicher Lehrer
ist. Allein bei mir fand diese Warnung jetzt ein taubes Ohr. Theils
waren meine Ideale von Rom schon zu tief gewurzelt, als daß sie
das Unglück eines Einzelnen zertrümmern konnte; theils auch schämte
ich mich, so schnell von einem Vorhaben abzustehen, das bereits keinem
meiner Bekannten mehr ein Geheimniß war. Ein Besuch bei dem
Lieutenant zauberte mich bald wieder in die alte Schwärmerei zurück,
und ich trat mit hoffnungsvollen, doch auch manchmal bang klopfen¬
dem Herzen die Reise zur Werkstätte des deutschen Jesuitismus an.


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[0158] die Umstände erheischte». Zu spät, nur wenige Tage vor meiner Abreise, fand ich einen solchen in einen« meiner frühern Lehrer einem gelehrten, aufgeklärten Benedictiner. Dieser ließ mich rufen, und sprach mit einer ernsten, durch tiefe Wehmuth ergriffenen Miene: „Mein lieber Georg, wie viel lieber sähe ich Sie auf eine deutsche Universität gehen, und wäre es auch eine protestantische!" Darauf erzählte er mir seine eigne Lebensgeschichte, wie er in seiner Jugend durch eine unglückliche Liebe bethört und wahnumfangen sich die Mönchskutte habe über den Kops werfen lassen, und nun den Schritt eines verzweifelten Momentes mit dem Unglück eines ganzen Lebens büße! Der Mönch schloß seine Erzählung mit den gewich¬ tigen Worten: „Es ist ein schreckliches Erwachen, sich plötzlich durch einen freiwilligen Eid als Sklave geopfert zu sehen. Junger Freund, binden Sie sich nicht, ehe Sie nicht durch die äußerste Nothwendig¬ keit dazu gezwungen werden. Dieß ist eine goldene Lehre, die man¬ cher katholische Priester und manche Nonne mit dem Leben bezahlen! Die Bande der Hierarchie haben eine hydraartige Natur: aus einer einzigen zerrissenen Faser gebähren sich hundert neue Stricke. — Und dann noch eins, mein unerfahrner Jüngling! wissen Sie, wozu Sie bestimmt sind? Sie sind noch viel schlimmer daran, als ein deut¬ scher Mönch. Das Institut, in welches man Sie sendet, ist die Werkstätte des Jesuitismus für Deutschland, welche, in neuerer Zeit wieder zu Kräften gekommen, zur Schande des Jahrhunderts den verjährten Kampf für die Hierarchie erneuern will, an deren Wunden das Herz deS Waterlandes seit mehr als dreißig Jahrzehenten ver¬ blutet!" Dieß war das offene Wort eines klug gewordenen Mönches, und eS ist um so höher anzuschlagen, weil der Mönch ein allgemein geach¬ teter, auch in der gelehrten Welt nicht unbekannter öffentlicher Lehrer ist. Allein bei mir fand diese Warnung jetzt ein taubes Ohr. Theils waren meine Ideale von Rom schon zu tief gewurzelt, als daß sie das Unglück eines Einzelnen zertrümmern konnte; theils auch schämte ich mich, so schnell von einem Vorhaben abzustehen, das bereits keinem meiner Bekannten mehr ein Geheimniß war. Ein Besuch bei dem Lieutenant zauberte mich bald wieder in die alte Schwärmerei zurück, und ich trat mit hoffnungsvollen, doch auch manchmal bang klopfen¬ dem Herzen die Reise zur Werkstätte des deutschen Jesuitismus an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/158>, abgerufen am 05.02.2025.