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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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nach an die mephitischen Dünste der Sumpfluft von Jugend an ge¬
wöhnt sind.

Vor einigen Tagen starb der ehemalige russische Botschafter am
hiesigen Hofe, Graf BaiUi von Tatischeff, welcher seit Jahren hier als
Privatmann lebte und welcher bei den bedeutenden Verbindungen, die
er aus früherer Zeit unterhielt, ohne Zweifel der russischen Regierung
und dem jetzigen Gesandten, Grasen Medem von großem Nutzen ^war.
Man erinnert sich des Vorfalls mit dem kleinen Negerknaben, den
der Graf einst unter der hiesigen Aristokratie ausspielen wollte, doch die
Sache wurde ruchbar und die Lotterieliste wurde mit Beschlag belegt, in¬
deß der Graf die Weisung erhielt, daß auf österreichischem Boden keine
Menschen verlooft werden dürfen. Ueberhaupt gerathen die hier ver¬
weilenden vornehmen Russen, an die Sitten und Gesetze ihres Landes
gewöhnt, nicht selten mit den Paragraphen des österreichischen bürgerlichen
Gesetzbuches in sehr unangenehme (Konflikte, wozu vorzüglich das Ver¬
hältniß ihrer leibeigenen Diener Veranlassung gibt, indem die hiesigen
Gesetze dieses Verhältniß nicht anerkennen und mithin auch nicht be¬
schützen. Darum gebrauchen die meisten Russen vor ihrem Eintritt
in Oesterreich die Vorsicht mit ihrer leibeigenen Dienerschaft, wenn
sie schon solche mitnehmen wollen, einen für die Dauer ihrer Abwe¬
senheit aus Nußland giltigen Vertrag abzuschließen, wodurch dieselbe
an ihre Person gefesselt bleibt, bis zur Rückkehr in die Heimat. Ich
erinnere mich vor einiger Zeit in einer der hiesigen Zeitschriften für
Rechtsgelehrsamkeit einen Fall besprochen gelesen zu haben, wo ein
solcher Leibeigener in Folge schlechterBehandlung in Wien, den Dienst
seines Herrn verließ, ohne daß ihn dieser auf diesen Grund hin
reclamiren konnte. Doch da sich der Verlassene der Landessprache un¬
kundig, ohne Beschäftigung herumtrieb und in den Gasthöfen Schul¬
den machte, so ward er von Seiten der Polizei als Vagabund in
seine Heimat mittelst Schub zurück befördert, wo ihn freilich kein
freundlicher Empfang erwarten mochte.

Die Graphik beginnt sich bei uns in der jüngsten Periode sehr
lebhaft zu regen und das k. k. Hauptmünzamt besitzt eine beträcht¬
liche Anzahl junger Talente, denen es auch nicht mehr an Gelegen¬
heit zu mangeln scheint, um ihre Kunst öffentlich zu erproben. So
haben eben wieder die Graveure Roth und Ekhard zwei Denkmün¬
zen verfertigt, welche ein rühmliches Zeugniß ablegen von der Streb¬
samkeit dieses Kunstzweiges. Beide vrrherrlichen Momente des in¬
dustriell-politischen Fortschrittes, indem die eine dieser Medaillen die
große österreichische Industrieausstellung im Mui und die andere die
Eröffnung der nördlichen Staatseisenbahn im August dieses Jahres
zum Vorwurfe hat. Die materiellen Interessen sind gegenwartig leider
die einzigen, welche solche Momente des Fortschrittes auszuweisen haben,
deren sich die illustrirende Kunst mit Erfolg bemächtigen kann. Einer


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nach an die mephitischen Dünste der Sumpfluft von Jugend an ge¬
wöhnt sind.

Vor einigen Tagen starb der ehemalige russische Botschafter am
hiesigen Hofe, Graf BaiUi von Tatischeff, welcher seit Jahren hier als
Privatmann lebte und welcher bei den bedeutenden Verbindungen, die
er aus früherer Zeit unterhielt, ohne Zweifel der russischen Regierung
und dem jetzigen Gesandten, Grasen Medem von großem Nutzen ^war.
Man erinnert sich des Vorfalls mit dem kleinen Negerknaben, den
der Graf einst unter der hiesigen Aristokratie ausspielen wollte, doch die
Sache wurde ruchbar und die Lotterieliste wurde mit Beschlag belegt, in¬
deß der Graf die Weisung erhielt, daß auf österreichischem Boden keine
Menschen verlooft werden dürfen. Ueberhaupt gerathen die hier ver¬
weilenden vornehmen Russen, an die Sitten und Gesetze ihres Landes
gewöhnt, nicht selten mit den Paragraphen des österreichischen bürgerlichen
Gesetzbuches in sehr unangenehme (Konflikte, wozu vorzüglich das Ver¬
hältniß ihrer leibeigenen Diener Veranlassung gibt, indem die hiesigen
Gesetze dieses Verhältniß nicht anerkennen und mithin auch nicht be¬
schützen. Darum gebrauchen die meisten Russen vor ihrem Eintritt
in Oesterreich die Vorsicht mit ihrer leibeigenen Dienerschaft, wenn
sie schon solche mitnehmen wollen, einen für die Dauer ihrer Abwe¬
senheit aus Nußland giltigen Vertrag abzuschließen, wodurch dieselbe
an ihre Person gefesselt bleibt, bis zur Rückkehr in die Heimat. Ich
erinnere mich vor einiger Zeit in einer der hiesigen Zeitschriften für
Rechtsgelehrsamkeit einen Fall besprochen gelesen zu haben, wo ein
solcher Leibeigener in Folge schlechterBehandlung in Wien, den Dienst
seines Herrn verließ, ohne daß ihn dieser auf diesen Grund hin
reclamiren konnte. Doch da sich der Verlassene der Landessprache un¬
kundig, ohne Beschäftigung herumtrieb und in den Gasthöfen Schul¬
den machte, so ward er von Seiten der Polizei als Vagabund in
seine Heimat mittelst Schub zurück befördert, wo ihn freilich kein
freundlicher Empfang erwarten mochte.

Die Graphik beginnt sich bei uns in der jüngsten Periode sehr
lebhaft zu regen und das k. k. Hauptmünzamt besitzt eine beträcht¬
liche Anzahl junger Talente, denen es auch nicht mehr an Gelegen¬
heit zu mangeln scheint, um ihre Kunst öffentlich zu erproben. So
haben eben wieder die Graveure Roth und Ekhard zwei Denkmün¬
zen verfertigt, welche ein rühmliches Zeugniß ablegen von der Streb¬
samkeit dieses Kunstzweiges. Beide vrrherrlichen Momente des in¬
dustriell-politischen Fortschrittes, indem die eine dieser Medaillen die
große österreichische Industrieausstellung im Mui und die andere die
Eröffnung der nördlichen Staatseisenbahn im August dieses Jahres
zum Vorwurfe hat. Die materiellen Interessen sind gegenwartig leider
die einzigen, welche solche Momente des Fortschrittes auszuweisen haben,
deren sich die illustrirende Kunst mit Erfolg bemächtigen kann. Einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/145>, abgerufen am 05.02.2025.