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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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und feierliches Ansehen, welches nur ihm eigenthümlich ist, und wes¬
wegen ihn Enthusiasten als den modernen musikalischen Genius be¬
trachten. Und doch giebt es in Deutschland noch Aesthetiker, welche
standhaft behaupten, daß die letzten Leistungen Meverbeers nur künst¬
lich und mühsam zusammengesetzte Arbeiten seien, und seine gegen¬
wärtige Methode eine Zusammensetzung, deren Bestandtheile mehr
neben einander gefügt als verschmolzen seien. -- -- Sollte man
nicht zwischen zwei Extremen einen vermittelnden Ausdruck finden?
Konnte man nicht selbst im Robert neben einer großen Fruchtbarkeit
an Harmonien, eine gewisse Unfruchtbarkeit an Melodien, einen zu
ausgesprochenen Geschmack an dissonirenden Accorden zugestehen?
Was vorzüglich aus der Musik des großen Meisters eine spröde
harte und für die Kehlen, welche sie unmäßig anstrengt, gefährliche
Aufgabe machte, was so viele berühmte Tenore heiser machte, und
mehr als Eine herrliche Sopranstimme zu Grunde richtete, das ist
die übertriebene Vorliebe Meyerbeer's für eine der schönsten Seiten
seines Talents: die Jnstrumentation. Ich habe schon im Anfange
von dem instinctmäßigen Widerwillen gesprochen, welche mir gewisse
Messing-Effecte der Instrumental-Harmonie in seinen Werken er¬
regen; ein junger hoffnungsvoller Komponist, den ich um die logi¬
sche Ursache desselben fragte, hat mir ihn folgendermaßen erklärt.

Es giebt in der Musik einen ganz materiellen Theil; das ist
die Klanglehre, auf welcher die Jnstrumentation beruht. Das Ohr
wird sehr verschieden von demselben musikalischen Gedanken berührt,
je nachdem er durch ein Messing-, Holz- oder Saiten-Instrument
ausgedrückt wird. Truppen mit Mölln-Begleitung in den Kauf zu
führen, würde lächerlich sein, und doch könnte man auf Violinen die¬
selbe Arie wie auf Blech-Instrumenten spielen. Woher kommt diese
Verschiedenheit in den Wirkungen derselben Ursachen, wenn nicht da¬
her, daß das Ohr, abgesehen von dem Gedanken, von dem Klänge
berührt wird, und daß der Eindruck um so lebhafter ist, als er sich
an einen rein physischen Theil unserer Organisation heftet? Aber
gerade diese, um mich richtig auszudrücken, materielle Empfindlichkeit
ist es, welche Meyerbeer nur zu oft aufzuregen sucht. Er scheint
zuweilen seinem Genie oder dem Geist seiner Zuhörer zu mißtrauen,
und es liegt ihm wenig daran, einen glücklichen Gedanken zu haben,
wenn er ihn nicht von dem klangvollsten und auf die Gehörwerk-


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und feierliches Ansehen, welches nur ihm eigenthümlich ist, und wes¬
wegen ihn Enthusiasten als den modernen musikalischen Genius be¬
trachten. Und doch giebt es in Deutschland noch Aesthetiker, welche
standhaft behaupten, daß die letzten Leistungen Meverbeers nur künst¬
lich und mühsam zusammengesetzte Arbeiten seien, und seine gegen¬
wärtige Methode eine Zusammensetzung, deren Bestandtheile mehr
neben einander gefügt als verschmolzen seien. — — Sollte man
nicht zwischen zwei Extremen einen vermittelnden Ausdruck finden?
Konnte man nicht selbst im Robert neben einer großen Fruchtbarkeit
an Harmonien, eine gewisse Unfruchtbarkeit an Melodien, einen zu
ausgesprochenen Geschmack an dissonirenden Accorden zugestehen?
Was vorzüglich aus der Musik des großen Meisters eine spröde
harte und für die Kehlen, welche sie unmäßig anstrengt, gefährliche
Aufgabe machte, was so viele berühmte Tenore heiser machte, und
mehr als Eine herrliche Sopranstimme zu Grunde richtete, das ist
die übertriebene Vorliebe Meyerbeer's für eine der schönsten Seiten
seines Talents: die Jnstrumentation. Ich habe schon im Anfange
von dem instinctmäßigen Widerwillen gesprochen, welche mir gewisse
Messing-Effecte der Instrumental-Harmonie in seinen Werken er¬
regen; ein junger hoffnungsvoller Komponist, den ich um die logi¬
sche Ursache desselben fragte, hat mir ihn folgendermaßen erklärt.

Es giebt in der Musik einen ganz materiellen Theil; das ist
die Klanglehre, auf welcher die Jnstrumentation beruht. Das Ohr
wird sehr verschieden von demselben musikalischen Gedanken berührt,
je nachdem er durch ein Messing-, Holz- oder Saiten-Instrument
ausgedrückt wird. Truppen mit Mölln-Begleitung in den Kauf zu
führen, würde lächerlich sein, und doch könnte man auf Violinen die¬
selbe Arie wie auf Blech-Instrumenten spielen. Woher kommt diese
Verschiedenheit in den Wirkungen derselben Ursachen, wenn nicht da¬
her, daß das Ohr, abgesehen von dem Gedanken, von dem Klänge
berührt wird, und daß der Eindruck um so lebhafter ist, als er sich
an einen rein physischen Theil unserer Organisation heftet? Aber
gerade diese, um mich richtig auszudrücken, materielle Empfindlichkeit
ist es, welche Meyerbeer nur zu oft aufzuregen sucht. Er scheint
zuweilen seinem Genie oder dem Geist seiner Zuhörer zu mißtrauen,
und es liegt ihm wenig daran, einen glücklichen Gedanken zu haben,
wenn er ihn nicht von dem klangvollsten und auf die Gehörwerk-


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[0137] und feierliches Ansehen, welches nur ihm eigenthümlich ist, und wes¬ wegen ihn Enthusiasten als den modernen musikalischen Genius be¬ trachten. Und doch giebt es in Deutschland noch Aesthetiker, welche standhaft behaupten, daß die letzten Leistungen Meverbeers nur künst¬ lich und mühsam zusammengesetzte Arbeiten seien, und seine gegen¬ wärtige Methode eine Zusammensetzung, deren Bestandtheile mehr neben einander gefügt als verschmolzen seien. — — Sollte man nicht zwischen zwei Extremen einen vermittelnden Ausdruck finden? Konnte man nicht selbst im Robert neben einer großen Fruchtbarkeit an Harmonien, eine gewisse Unfruchtbarkeit an Melodien, einen zu ausgesprochenen Geschmack an dissonirenden Accorden zugestehen? Was vorzüglich aus der Musik des großen Meisters eine spröde harte und für die Kehlen, welche sie unmäßig anstrengt, gefährliche Aufgabe machte, was so viele berühmte Tenore heiser machte, und mehr als Eine herrliche Sopranstimme zu Grunde richtete, das ist die übertriebene Vorliebe Meyerbeer's für eine der schönsten Seiten seines Talents: die Jnstrumentation. Ich habe schon im Anfange von dem instinctmäßigen Widerwillen gesprochen, welche mir gewisse Messing-Effecte der Instrumental-Harmonie in seinen Werken er¬ regen; ein junger hoffnungsvoller Komponist, den ich um die logi¬ sche Ursache desselben fragte, hat mir ihn folgendermaßen erklärt. Es giebt in der Musik einen ganz materiellen Theil; das ist die Klanglehre, auf welcher die Jnstrumentation beruht. Das Ohr wird sehr verschieden von demselben musikalischen Gedanken berührt, je nachdem er durch ein Messing-, Holz- oder Saiten-Instrument ausgedrückt wird. Truppen mit Mölln-Begleitung in den Kauf zu führen, würde lächerlich sein, und doch könnte man auf Violinen die¬ selbe Arie wie auf Blech-Instrumenten spielen. Woher kommt diese Verschiedenheit in den Wirkungen derselben Ursachen, wenn nicht da¬ her, daß das Ohr, abgesehen von dem Gedanken, von dem Klänge berührt wird, und daß der Eindruck um so lebhafter ist, als er sich an einen rein physischen Theil unserer Organisation heftet? Aber gerade diese, um mich richtig auszudrücken, materielle Empfindlichkeit ist es, welche Meyerbeer nur zu oft aufzuregen sucht. Er scheint zuweilen seinem Genie oder dem Geist seiner Zuhörer zu mißtrauen, und es liegt ihm wenig daran, einen glücklichen Gedanken zu haben, wenn er ihn nicht von dem klangvollsten und auf die Gehörwerk- GrenMen I8is. IV. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/137>, abgerufen am 05.02.2025.