Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwei Lehrjahre waren kaum verflossen, als die Schüler des Abbe
Vogler schon ihre Laufbahn begannen. Der würdige Abb6 hatte
seine Schule geschlossen, und durchreiste Deutschland in Begleitung
Meyerbeer's, seines Licblingsschülerö. Dieser Letztere begann zu Mün¬
chen seine dramatische Laufbahn mit einem Erstlings-Versuche, wel¬
che" mißglückte; sein "Gelübde Jephta's", tragische Oper in drei Akten,
welche im Jahre 1812 aufgeführt wurde, befriedigte die Kenner nur
halb. Dieses Werk, welches eher den Charakter eines Oratoriums
als einer Oper trug, und dessen kalte und strenge Formen noch sehr
an die Pedanterie der Schule erinnerten, machte auf der Bühne eine
sehr schlechte Wirkung. Im folgenden Jahre begab sich der junge
Componist nach Wien, wo er als Klavierspieler große Erfolge sich
errang. In dieser letzteren Stadt ward er von dem Hofe mit der
Composttion einer komischen Oper beauftragt: die beiden Chalifen,
welche zuerst in Stuttgart und dann im Jahre 1814 in Wien auf¬
geführt wurde. Diese komische Oper, mit einem eisigen Ernste und
in demselben Style wie das Gelübde Jephta's geschrieben', roch auf
eine Meile weit nach Ubbo Vogler. Die Ohren der Wiener, fort¬
während durch italienische Musik geschmeichelt, vertrugen solche strenge
Formen nicht, und das Werk fiel vollkommen durch. Später jedoch,
als Meyerbeer seinen Ruf in Italien begründete, hielt ihm sein alter
Mitschüler Weber, welcher ihn tadelte, seine frühere Manier aufge¬
geben zu haben, eben diese Oper entgegen, die er sehr lobte und de¬
ren Wirkungslosigkeit er nur der erbärmlichen Darstellung und der
schlechten Stimmung eines Sonntags-Publicums zuschrieb.

Wie dem auch sei, Meyerbeer war über diese zwei auf einander
folgenden Nieverlagen trostlos, als der berühmte Salieri, welcher da¬
mals die italienische Oper zu Wien leitete, ihm wieder ein wenig
Muth machte, indem er ihm versicherte, daß eS ihm an Begabung
keineswegs fehle, und ihm riech nach Italien zu gehen, um mehr
Weichheit, mehr Geschmeidigkeit und jene Kenntniß des Gesanges zu
erlangen, welche ihm mangle. Meyerbeer war gesonnen, diesen Rath zu
befolgen. Es war dieß zu der Zeit, als die erste Manier Rossini's Auf¬
sehen machte; man sprach von nichts als von Tancred. Diese Partitur
wardie erste Rossinische die Mcyerbeerhörte, sie brachte ihn vor Enthusias¬
mus außer sich; sie war für ihn eine neue Auferstehung. Von diesem
Augenblicke an beginnt ein neuer Abschnitt für Meyerbeer's Talent,


Gr-nzbotcn. 1"is. IV. eg

Zwei Lehrjahre waren kaum verflossen, als die Schüler des Abbe
Vogler schon ihre Laufbahn begannen. Der würdige Abb6 hatte
seine Schule geschlossen, und durchreiste Deutschland in Begleitung
Meyerbeer's, seines Licblingsschülerö. Dieser Letztere begann zu Mün¬
chen seine dramatische Laufbahn mit einem Erstlings-Versuche, wel¬
che» mißglückte; sein „Gelübde Jephta's", tragische Oper in drei Akten,
welche im Jahre 1812 aufgeführt wurde, befriedigte die Kenner nur
halb. Dieses Werk, welches eher den Charakter eines Oratoriums
als einer Oper trug, und dessen kalte und strenge Formen noch sehr
an die Pedanterie der Schule erinnerten, machte auf der Bühne eine
sehr schlechte Wirkung. Im folgenden Jahre begab sich der junge
Componist nach Wien, wo er als Klavierspieler große Erfolge sich
errang. In dieser letzteren Stadt ward er von dem Hofe mit der
Composttion einer komischen Oper beauftragt: die beiden Chalifen,
welche zuerst in Stuttgart und dann im Jahre 1814 in Wien auf¬
geführt wurde. Diese komische Oper, mit einem eisigen Ernste und
in demselben Style wie das Gelübde Jephta's geschrieben', roch auf
eine Meile weit nach Ubbo Vogler. Die Ohren der Wiener, fort¬
während durch italienische Musik geschmeichelt, vertrugen solche strenge
Formen nicht, und das Werk fiel vollkommen durch. Später jedoch,
als Meyerbeer seinen Ruf in Italien begründete, hielt ihm sein alter
Mitschüler Weber, welcher ihn tadelte, seine frühere Manier aufge¬
geben zu haben, eben diese Oper entgegen, die er sehr lobte und de¬
ren Wirkungslosigkeit er nur der erbärmlichen Darstellung und der
schlechten Stimmung eines Sonntags-Publicums zuschrieb.

Wie dem auch sei, Meyerbeer war über diese zwei auf einander
folgenden Nieverlagen trostlos, als der berühmte Salieri, welcher da¬
mals die italienische Oper zu Wien leitete, ihm wieder ein wenig
Muth machte, indem er ihm versicherte, daß eS ihm an Begabung
keineswegs fehle, und ihm riech nach Italien zu gehen, um mehr
Weichheit, mehr Geschmeidigkeit und jene Kenntniß des Gesanges zu
erlangen, welche ihm mangle. Meyerbeer war gesonnen, diesen Rath zu
befolgen. Es war dieß zu der Zeit, als die erste Manier Rossini's Auf¬
sehen machte; man sprach von nichts als von Tancred. Diese Partitur
wardie erste Rossinische die Mcyerbeerhörte, sie brachte ihn vor Enthusias¬
mus außer sich; sie war für ihn eine neue Auferstehung. Von diesem
Augenblicke an beginnt ein neuer Abschnitt für Meyerbeer's Talent,


Gr-nzbotcn. 1»is. IV. eg
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271390"/>
          <p xml:id="ID_302"> Zwei Lehrjahre waren kaum verflossen, als die Schüler des Abbe<lb/>
Vogler schon ihre Laufbahn begannen. Der würdige Abb6 hatte<lb/>
seine Schule geschlossen, und durchreiste Deutschland in Begleitung<lb/>
Meyerbeer's, seines Licblingsschülerö. Dieser Letztere begann zu Mün¬<lb/>
chen seine dramatische Laufbahn mit einem Erstlings-Versuche, wel¬<lb/>
che» mißglückte; sein &#x201E;Gelübde Jephta's", tragische Oper in drei Akten,<lb/>
welche im Jahre 1812 aufgeführt wurde, befriedigte die Kenner nur<lb/>
halb. Dieses Werk, welches eher den Charakter eines Oratoriums<lb/>
als einer Oper trug, und dessen kalte und strenge Formen noch sehr<lb/>
an die Pedanterie der Schule erinnerten, machte auf der Bühne eine<lb/>
sehr schlechte Wirkung. Im folgenden Jahre begab sich der junge<lb/>
Componist nach Wien, wo er als Klavierspieler große Erfolge sich<lb/>
errang. In dieser letzteren Stadt ward er von dem Hofe mit der<lb/>
Composttion einer komischen Oper beauftragt: die beiden Chalifen,<lb/>
welche zuerst in Stuttgart und dann im Jahre 1814 in Wien auf¬<lb/>
geführt wurde. Diese komische Oper, mit einem eisigen Ernste und<lb/>
in demselben Style wie das Gelübde Jephta's geschrieben', roch auf<lb/>
eine Meile weit nach Ubbo Vogler. Die Ohren der Wiener, fort¬<lb/>
während durch italienische Musik geschmeichelt, vertrugen solche strenge<lb/>
Formen nicht, und das Werk fiel vollkommen durch. Später jedoch,<lb/>
als Meyerbeer seinen Ruf in Italien begründete, hielt ihm sein alter<lb/>
Mitschüler Weber, welcher ihn tadelte, seine frühere Manier aufge¬<lb/>
geben zu haben, eben diese Oper entgegen, die er sehr lobte und de¬<lb/>
ren Wirkungslosigkeit er nur der erbärmlichen Darstellung und der<lb/>
schlechten Stimmung eines Sonntags-Publicums zuschrieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_303" next="#ID_304"> Wie dem auch sei, Meyerbeer war über diese zwei auf einander<lb/>
folgenden Nieverlagen trostlos, als der berühmte Salieri, welcher da¬<lb/>
mals die italienische Oper zu Wien leitete, ihm wieder ein wenig<lb/>
Muth machte, indem er ihm versicherte, daß eS ihm an Begabung<lb/>
keineswegs fehle, und ihm riech nach Italien zu gehen, um mehr<lb/>
Weichheit, mehr Geschmeidigkeit und jene Kenntniß des Gesanges zu<lb/>
erlangen, welche ihm mangle. Meyerbeer war gesonnen, diesen Rath zu<lb/>
befolgen. Es war dieß zu der Zeit, als die erste Manier Rossini's Auf¬<lb/>
sehen machte; man sprach von nichts als von Tancred. Diese Partitur<lb/>
wardie erste Rossinische die Mcyerbeerhörte, sie brachte ihn vor Enthusias¬<lb/>
mus außer sich; sie war für ihn eine neue Auferstehung. Von diesem<lb/>
Augenblicke an beginnt ein neuer Abschnitt für Meyerbeer's Talent,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzbotcn. 1»is. IV. eg</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Zwei Lehrjahre waren kaum verflossen, als die Schüler des Abbe Vogler schon ihre Laufbahn begannen. Der würdige Abb6 hatte seine Schule geschlossen, und durchreiste Deutschland in Begleitung Meyerbeer's, seines Licblingsschülerö. Dieser Letztere begann zu Mün¬ chen seine dramatische Laufbahn mit einem Erstlings-Versuche, wel¬ che» mißglückte; sein „Gelübde Jephta's", tragische Oper in drei Akten, welche im Jahre 1812 aufgeführt wurde, befriedigte die Kenner nur halb. Dieses Werk, welches eher den Charakter eines Oratoriums als einer Oper trug, und dessen kalte und strenge Formen noch sehr an die Pedanterie der Schule erinnerten, machte auf der Bühne eine sehr schlechte Wirkung. Im folgenden Jahre begab sich der junge Componist nach Wien, wo er als Klavierspieler große Erfolge sich errang. In dieser letzteren Stadt ward er von dem Hofe mit der Composttion einer komischen Oper beauftragt: die beiden Chalifen, welche zuerst in Stuttgart und dann im Jahre 1814 in Wien auf¬ geführt wurde. Diese komische Oper, mit einem eisigen Ernste und in demselben Style wie das Gelübde Jephta's geschrieben', roch auf eine Meile weit nach Ubbo Vogler. Die Ohren der Wiener, fort¬ während durch italienische Musik geschmeichelt, vertrugen solche strenge Formen nicht, und das Werk fiel vollkommen durch. Später jedoch, als Meyerbeer seinen Ruf in Italien begründete, hielt ihm sein alter Mitschüler Weber, welcher ihn tadelte, seine frühere Manier aufge¬ geben zu haben, eben diese Oper entgegen, die er sehr lobte und de¬ ren Wirkungslosigkeit er nur der erbärmlichen Darstellung und der schlechten Stimmung eines Sonntags-Publicums zuschrieb. Wie dem auch sei, Meyerbeer war über diese zwei auf einander folgenden Nieverlagen trostlos, als der berühmte Salieri, welcher da¬ mals die italienische Oper zu Wien leitete, ihm wieder ein wenig Muth machte, indem er ihm versicherte, daß eS ihm an Begabung keineswegs fehle, und ihm riech nach Italien zu gehen, um mehr Weichheit, mehr Geschmeidigkeit und jene Kenntniß des Gesanges zu erlangen, welche ihm mangle. Meyerbeer war gesonnen, diesen Rath zu befolgen. Es war dieß zu der Zeit, als die erste Manier Rossini's Auf¬ sehen machte; man sprach von nichts als von Tancred. Diese Partitur wardie erste Rossinische die Mcyerbeerhörte, sie brachte ihn vor Enthusias¬ mus außer sich; sie war für ihn eine neue Auferstehung. Von diesem Augenblicke an beginnt ein neuer Abschnitt für Meyerbeer's Talent, Gr-nzbotcn. 1»is. IV. eg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/129>, abgerufen am 05.02.2025.