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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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hatte, Lectionen zu geben. Von dieser Zeit an componirte das Kind
mehrere Gesangsstücke mit Piano Begleitung, und schon seine ersten
Versuche wurden von dem Publicum gut aufgenommen. -- Auf
Clementi folgte als Compositions-Lehrer Bernhard Anselmus Vogler,
der Bruder des Ubbo. Dieser neue Lehrer, ein großer Bewunderer
Gluck's, aber schwach in der Harmonielehre, bildete die Fähigkeiten
seines Schülers nach besten Kräften aus, und weihte ihn in die An¬
fangsgründe der höhern Musik-Wissenschaft ein; aber der Schüler
wußte schon eben so viel als der Lehrer, als der gelehrte Ubbo von
den Fortschritten des jungen Mannes in Kenntniß gesetzt, ihn zu sich
nach Darmstadt einlud, und endlich einwilligte, ihn in jenes musica¬
lische Seminarium aufzunehmen, in welches er nur die ausgezeichnet¬
sten Zöglinge zuließ.

Meyerbeer fand dort als seine Mitschüler Ritter, Knecht, Win¬
ter, welche später gelehrte Kritiker wurden, Gänsbacher, der als Ka¬
pellmeister nach Wien ging, den unsterblichen Karl Maria von Weber
und Gottfried von Weber.

Das Leben in der Schule des Abb"> Vogler war ein fleißiges
und geregeltes; man betrieb da die Kunst mit einer Art Fanatismus,
sie war die einzige Beschäftigung zu allen Stunden. Täglich nach
der Messe, welcher Karl Maria als Katholik beiwohnte, kehrte der
Ubbo in seine Wohnung zurück, um mit seinen Schülern zu arbeiten.
Der Lehrer begann mit dem Unterricht im Contra-Punkte, dann gab
er eine Csmpositionö-Aufgabe, eine Hymne, oder einen Psalm, welche
man im Laufe des Tages lösen mußte, und der Abend war dem
Vortrage und der Kritik der componirter Stücke gewidmet. Diese
Methode hatte den doppelten Vortheil, zugleich ernst und durch den
Wetteifer, welchen sie erregte, anziehend zu sein. Und in der That,
wenn man sich den künstigen Komponisten Roberts des Teufels mit
dem künftigen Componisten des Freischütz wetteifern denkt, welcher
von ihnen das beste Kyrie Eleysvn, Sanctus oder Gloria schreiben
würde, so wird man einsehen, wie dieser Kampf so glückliche Fähig¬
keiten entwickeln mußte, und wie Meyerbeer später dieser reichen und
kräftigen Erziehung eine gewisse Erhabenheit seines Styles und
die Mittel verdankte, durch' welche er eine Art von Revolution zu
Stande brachte, indem er eine Menge Gewohnheiten und eigenthüm¬
licher Formen der Kirchenmusik in die Oper hinüberpflanzte.


hatte, Lectionen zu geben. Von dieser Zeit an componirte das Kind
mehrere Gesangsstücke mit Piano Begleitung, und schon seine ersten
Versuche wurden von dem Publicum gut aufgenommen. — Auf
Clementi folgte als Compositions-Lehrer Bernhard Anselmus Vogler,
der Bruder des Ubbo. Dieser neue Lehrer, ein großer Bewunderer
Gluck's, aber schwach in der Harmonielehre, bildete die Fähigkeiten
seines Schülers nach besten Kräften aus, und weihte ihn in die An¬
fangsgründe der höhern Musik-Wissenschaft ein; aber der Schüler
wußte schon eben so viel als der Lehrer, als der gelehrte Ubbo von
den Fortschritten des jungen Mannes in Kenntniß gesetzt, ihn zu sich
nach Darmstadt einlud, und endlich einwilligte, ihn in jenes musica¬
lische Seminarium aufzunehmen, in welches er nur die ausgezeichnet¬
sten Zöglinge zuließ.

Meyerbeer fand dort als seine Mitschüler Ritter, Knecht, Win¬
ter, welche später gelehrte Kritiker wurden, Gänsbacher, der als Ka¬
pellmeister nach Wien ging, den unsterblichen Karl Maria von Weber
und Gottfried von Weber.

Das Leben in der Schule des Abb«> Vogler war ein fleißiges
und geregeltes; man betrieb da die Kunst mit einer Art Fanatismus,
sie war die einzige Beschäftigung zu allen Stunden. Täglich nach
der Messe, welcher Karl Maria als Katholik beiwohnte, kehrte der
Ubbo in seine Wohnung zurück, um mit seinen Schülern zu arbeiten.
Der Lehrer begann mit dem Unterricht im Contra-Punkte, dann gab
er eine Csmpositionö-Aufgabe, eine Hymne, oder einen Psalm, welche
man im Laufe des Tages lösen mußte, und der Abend war dem
Vortrage und der Kritik der componirter Stücke gewidmet. Diese
Methode hatte den doppelten Vortheil, zugleich ernst und durch den
Wetteifer, welchen sie erregte, anziehend zu sein. Und in der That,
wenn man sich den künstigen Komponisten Roberts des Teufels mit
dem künftigen Componisten des Freischütz wetteifern denkt, welcher
von ihnen das beste Kyrie Eleysvn, Sanctus oder Gloria schreiben
würde, so wird man einsehen, wie dieser Kampf so glückliche Fähig¬
keiten entwickeln mußte, und wie Meyerbeer später dieser reichen und
kräftigen Erziehung eine gewisse Erhabenheit seines Styles und
die Mittel verdankte, durch' welche er eine Art von Revolution zu
Stande brachte, indem er eine Menge Gewohnheiten und eigenthüm¬
licher Formen der Kirchenmusik in die Oper hinüberpflanzte.


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[0128] hatte, Lectionen zu geben. Von dieser Zeit an componirte das Kind mehrere Gesangsstücke mit Piano Begleitung, und schon seine ersten Versuche wurden von dem Publicum gut aufgenommen. — Auf Clementi folgte als Compositions-Lehrer Bernhard Anselmus Vogler, der Bruder des Ubbo. Dieser neue Lehrer, ein großer Bewunderer Gluck's, aber schwach in der Harmonielehre, bildete die Fähigkeiten seines Schülers nach besten Kräften aus, und weihte ihn in die An¬ fangsgründe der höhern Musik-Wissenschaft ein; aber der Schüler wußte schon eben so viel als der Lehrer, als der gelehrte Ubbo von den Fortschritten des jungen Mannes in Kenntniß gesetzt, ihn zu sich nach Darmstadt einlud, und endlich einwilligte, ihn in jenes musica¬ lische Seminarium aufzunehmen, in welches er nur die ausgezeichnet¬ sten Zöglinge zuließ. Meyerbeer fand dort als seine Mitschüler Ritter, Knecht, Win¬ ter, welche später gelehrte Kritiker wurden, Gänsbacher, der als Ka¬ pellmeister nach Wien ging, den unsterblichen Karl Maria von Weber und Gottfried von Weber. Das Leben in der Schule des Abb«> Vogler war ein fleißiges und geregeltes; man betrieb da die Kunst mit einer Art Fanatismus, sie war die einzige Beschäftigung zu allen Stunden. Täglich nach der Messe, welcher Karl Maria als Katholik beiwohnte, kehrte der Ubbo in seine Wohnung zurück, um mit seinen Schülern zu arbeiten. Der Lehrer begann mit dem Unterricht im Contra-Punkte, dann gab er eine Csmpositionö-Aufgabe, eine Hymne, oder einen Psalm, welche man im Laufe des Tages lösen mußte, und der Abend war dem Vortrage und der Kritik der componirter Stücke gewidmet. Diese Methode hatte den doppelten Vortheil, zugleich ernst und durch den Wetteifer, welchen sie erregte, anziehend zu sein. Und in der That, wenn man sich den künstigen Komponisten Roberts des Teufels mit dem künftigen Componisten des Freischütz wetteifern denkt, welcher von ihnen das beste Kyrie Eleysvn, Sanctus oder Gloria schreiben würde, so wird man einsehen, wie dieser Kampf so glückliche Fähig¬ keiten entwickeln mußte, und wie Meyerbeer später dieser reichen und kräftigen Erziehung eine gewisse Erhabenheit seines Styles und die Mittel verdankte, durch' welche er eine Art von Revolution zu Stande brachte, indem er eine Menge Gewohnheiten und eigenthüm¬ licher Formen der Kirchenmusik in die Oper hinüberpflanzte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/128>, abgerufen am 05.02.2025.