Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.Sprache aber ist so fein geschliffen und kriegt durch eine einzige Wichtiger als alle poetische und schöngeistige Versuche der bel¬ Sprache aber ist so fein geschliffen und kriegt durch eine einzige Wichtiger als alle poetische und schöngeistige Versuche der bel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271378"/> <p xml:id="ID_275" prev="#ID_274"> Sprache aber ist so fein geschliffen und kriegt durch eine einzige<lb/> Plumpheit sogleich eine Scharte wie die französische. Es spricht<lb/> sehr für die Selbstständigkeit und Charaltereigenthümlichkeit der Bel¬<lb/> gier, daß trotz aller Mühe, es doch nur sehr wenige dahin bringen<lb/> können, ein tadelloses, klassisches Französisch zu schreiben. Ist es<lb/> doch mit dem Geist wie mir dem Körper, und wie der Körperbau<lb/> der Flamänder und Wallonen von dem des Franzosen sich unterscheidet,<lb/> so hat auch die geistige Construction ihre Unbeugsamkeit und Eigen¬<lb/> heit. Bei wissenschaftlichen Arbeiten, wo es weniger auf den ge-<lb/> spitzten und polirten Ausdruck ankommt, da reicht der Styl der bel¬<lb/> gischen Schriftsteller allerdings aus, aber das ästhetische Produkt<lb/> sällt unter ein anderes Kriterium ^ und die Pariser Presse stürzt<lb/> über die Belgische in der Regel mit solchen Sarkasmen her, daß<lb/> wir es bewundern, wie diese nicht längst allen Muth verloren hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_276" next="#ID_277"> Wichtiger als alle poetische und schöngeistige Versuche der bel¬<lb/> gischen Schriftsteller sind ihre mannigfachen Arbeiten und Material¬<lb/> anhäufungen zur Kenntniß der Landesgeschichte. Auch hier zwar<lb/> macht sich der Dilettantismus breit, noch fehlt die philosophische Kri¬<lb/> tik, der höhere wissenschaftliche Standpunkt bei den Meisten, aber<lb/> der Stoff ist so reichhaltig, lag lange Zeit so brach, die vollen Ar¬<lb/> chive sind noch so wenig gesichtet, die deutsche Gesichtsforschung kann<lb/> da noch so viel Material holen, die Vergangenheit des Landes ist<lb/> so innig mit der deutschen verwebt, daß Alles uns hoch willkommen<lb/> sein muß, in welcher Form eS auch geboten wird, wenn es nur<lb/> Thatsachen an's Licht bringt, wenn es nur die Spuren anzeigt, de¬<lb/> nen der ächte Forscher dann nach seiner Weise folgen kann. Das<lb/> Bewußtsein der Wichtigkeit seiner Landesgeschichte wohnt jedem Bel¬<lb/> gier von einiger Bildung inne und die Negierung manches alters¬<lb/> grauen Staates hat in hundert Jahren nicht so viel zur Erforschung<lb/> und Lichtung der nationalen Vergangenheit gethan, als hier inner¬<lb/> halb fünfzehn Jahren geschehen ist. Die Akademie der Wissenschaf¬<lb/> ten, das Generalarchiv des Landes, die Stadtarchive, die königliche<lb/> Geschichtskommission haben den Staub von ungeheuren Massen von<lb/> Urkunden, Manuskripten und Aufzeichnungen aller Arten und Zeit¬<lb/> alter gelüftet. Und doch stellte man sich mit den Schätzen nicht zu¬<lb/> frieden, welche das Land in seinen Städten, Schlössern und Klöstern<lb/> bereits besitzt, sondern die Regierung schickte auf Kosten des Staates</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
Sprache aber ist so fein geschliffen und kriegt durch eine einzige
Plumpheit sogleich eine Scharte wie die französische. Es spricht
sehr für die Selbstständigkeit und Charaltereigenthümlichkeit der Bel¬
gier, daß trotz aller Mühe, es doch nur sehr wenige dahin bringen
können, ein tadelloses, klassisches Französisch zu schreiben. Ist es
doch mit dem Geist wie mir dem Körper, und wie der Körperbau
der Flamänder und Wallonen von dem des Franzosen sich unterscheidet,
so hat auch die geistige Construction ihre Unbeugsamkeit und Eigen¬
heit. Bei wissenschaftlichen Arbeiten, wo es weniger auf den ge-
spitzten und polirten Ausdruck ankommt, da reicht der Styl der bel¬
gischen Schriftsteller allerdings aus, aber das ästhetische Produkt
sällt unter ein anderes Kriterium ^ und die Pariser Presse stürzt
über die Belgische in der Regel mit solchen Sarkasmen her, daß
wir es bewundern, wie diese nicht längst allen Muth verloren hat.
Wichtiger als alle poetische und schöngeistige Versuche der bel¬
gischen Schriftsteller sind ihre mannigfachen Arbeiten und Material¬
anhäufungen zur Kenntniß der Landesgeschichte. Auch hier zwar
macht sich der Dilettantismus breit, noch fehlt die philosophische Kri¬
tik, der höhere wissenschaftliche Standpunkt bei den Meisten, aber
der Stoff ist so reichhaltig, lag lange Zeit so brach, die vollen Ar¬
chive sind noch so wenig gesichtet, die deutsche Gesichtsforschung kann
da noch so viel Material holen, die Vergangenheit des Landes ist
so innig mit der deutschen verwebt, daß Alles uns hoch willkommen
sein muß, in welcher Form eS auch geboten wird, wenn es nur
Thatsachen an's Licht bringt, wenn es nur die Spuren anzeigt, de¬
nen der ächte Forscher dann nach seiner Weise folgen kann. Das
Bewußtsein der Wichtigkeit seiner Landesgeschichte wohnt jedem Bel¬
gier von einiger Bildung inne und die Negierung manches alters¬
grauen Staates hat in hundert Jahren nicht so viel zur Erforschung
und Lichtung der nationalen Vergangenheit gethan, als hier inner¬
halb fünfzehn Jahren geschehen ist. Die Akademie der Wissenschaf¬
ten, das Generalarchiv des Landes, die Stadtarchive, die königliche
Geschichtskommission haben den Staub von ungeheuren Massen von
Urkunden, Manuskripten und Aufzeichnungen aller Arten und Zeit¬
alter gelüftet. Und doch stellte man sich mit den Schätzen nicht zu¬
frieden, welche das Land in seinen Städten, Schlössern und Klöstern
bereits besitzt, sondern die Regierung schickte auf Kosten des Staates
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