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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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hängt und die Pastete ist fertig. Ueber Tromlih und Blumenhagen
versteigt sich keins dieser Talente und leider bleiben die meisten noch
hinter diesen unsern Taschenbuchhelden vom vorigen Decennium
zurück.

Wo Lyrik, Novelle und Roman ohne Mark und Cultur sind,
da muß es mit dem Drama, der höchsten Gattung von Poesie, na¬
türlich noch schlechter bestellt sein. Auf diesem Felde fehlt den Bel¬
giern Alles, nicht nur Resultate, sondern sogar die Anläufe, die
Versuche. Ich zweifle, daß während der ganzen fünfzehn Jahre seit
1830 zehn Dramen von Belgiern auf der Bühne versucht wurden.
Durchgegriffcn aber hat nicht ein einziges. Uno doch hat fast jede
größere Stadt in Belgien ein prächtiges Theater; Brüssel hat ihrer
sogar vier bis fünf für alle Genres von Comödien, Vaudevilles:c.
Auch hier ist die Nachdrucksindustrie ein Druck für jeden einheimi¬
schen Versuch. Die belgischen Theater -- fast ausschließlich von
Franzosen geleitet -- greifen nach dem reichen Repertoire von Pa¬
ris. Da die französischen Autoren in Belgien auf keine Honorare
Anspruch machen können, so haben die belgischen Theater die freieste
und wohlfeilste Auswahl. Welche Direktion aber wird unter solchen
Umständen zu bewegen sein, an das Product eines einheimischen
Dichters ohne Namen und mit zweifelhaftem Erfolge Dekorationen,
Costüme und die Einnahme eines Abends zu wagen, wo die Fleisch¬
töpfe Aegyptens mit sicherem Erfolge in der Nähe stehen? Die Fla-
mänder -- wir müssen immer auf sie zurückkommen, da sie auf dem
schöngeistigen Gebiete in Belgien die rüstigsten sind -- versuchen
wenigstens durch Unterstützungen, durch Liebhabertheater ihre Auto¬
ren zu ermuntern. Die wallonisch-französischen Belgier aber entbeh¬
ren auch dieses Vortheils, da das Publikum gegen sie weniger Nach¬
sicht übt. Das flamändische Publikum weiß, daß es mit Anfän¬
gern zu thun hat und freut sich dieser Anfänge! Das französisch¬
sprechende Publikum aber fällt mit Sarkasmen und Parallelen über
den armen Autor her und schneidet ihm alle Zukunft gleich von
vorn herein ab. Denn der belgische Schriftsteller hat außer Er¬
findung und Gedankengang noch mit einem andern spröden Ding
zu kämpfen: mit dem Styl. Sei er Wallone oder gar Flamänder
immer werden gewisse Ausdrucksweisen in seine Darstellung sich ein¬
schleichen, die nach der Provinz, nach dem Localen riechen; keine


hängt und die Pastete ist fertig. Ueber Tromlih und Blumenhagen
versteigt sich keins dieser Talente und leider bleiben die meisten noch
hinter diesen unsern Taschenbuchhelden vom vorigen Decennium
zurück.

Wo Lyrik, Novelle und Roman ohne Mark und Cultur sind,
da muß es mit dem Drama, der höchsten Gattung von Poesie, na¬
türlich noch schlechter bestellt sein. Auf diesem Felde fehlt den Bel¬
giern Alles, nicht nur Resultate, sondern sogar die Anläufe, die
Versuche. Ich zweifle, daß während der ganzen fünfzehn Jahre seit
1830 zehn Dramen von Belgiern auf der Bühne versucht wurden.
Durchgegriffcn aber hat nicht ein einziges. Uno doch hat fast jede
größere Stadt in Belgien ein prächtiges Theater; Brüssel hat ihrer
sogar vier bis fünf für alle Genres von Comödien, Vaudevilles:c.
Auch hier ist die Nachdrucksindustrie ein Druck für jeden einheimi¬
schen Versuch. Die belgischen Theater — fast ausschließlich von
Franzosen geleitet — greifen nach dem reichen Repertoire von Pa¬
ris. Da die französischen Autoren in Belgien auf keine Honorare
Anspruch machen können, so haben die belgischen Theater die freieste
und wohlfeilste Auswahl. Welche Direktion aber wird unter solchen
Umständen zu bewegen sein, an das Product eines einheimischen
Dichters ohne Namen und mit zweifelhaftem Erfolge Dekorationen,
Costüme und die Einnahme eines Abends zu wagen, wo die Fleisch¬
töpfe Aegyptens mit sicherem Erfolge in der Nähe stehen? Die Fla-
mänder — wir müssen immer auf sie zurückkommen, da sie auf dem
schöngeistigen Gebiete in Belgien die rüstigsten sind — versuchen
wenigstens durch Unterstützungen, durch Liebhabertheater ihre Auto¬
ren zu ermuntern. Die wallonisch-französischen Belgier aber entbeh¬
ren auch dieses Vortheils, da das Publikum gegen sie weniger Nach¬
sicht übt. Das flamändische Publikum weiß, daß es mit Anfän¬
gern zu thun hat und freut sich dieser Anfänge! Das französisch¬
sprechende Publikum aber fällt mit Sarkasmen und Parallelen über
den armen Autor her und schneidet ihm alle Zukunft gleich von
vorn herein ab. Denn der belgische Schriftsteller hat außer Er¬
findung und Gedankengang noch mit einem andern spröden Ding
zu kämpfen: mit dem Styl. Sei er Wallone oder gar Flamänder
immer werden gewisse Ausdrucksweisen in seine Darstellung sich ein¬
schleichen, die nach der Provinz, nach dem Localen riechen; keine


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[0116] hängt und die Pastete ist fertig. Ueber Tromlih und Blumenhagen versteigt sich keins dieser Talente und leider bleiben die meisten noch hinter diesen unsern Taschenbuchhelden vom vorigen Decennium zurück. Wo Lyrik, Novelle und Roman ohne Mark und Cultur sind, da muß es mit dem Drama, der höchsten Gattung von Poesie, na¬ türlich noch schlechter bestellt sein. Auf diesem Felde fehlt den Bel¬ giern Alles, nicht nur Resultate, sondern sogar die Anläufe, die Versuche. Ich zweifle, daß während der ganzen fünfzehn Jahre seit 1830 zehn Dramen von Belgiern auf der Bühne versucht wurden. Durchgegriffcn aber hat nicht ein einziges. Uno doch hat fast jede größere Stadt in Belgien ein prächtiges Theater; Brüssel hat ihrer sogar vier bis fünf für alle Genres von Comödien, Vaudevilles:c. Auch hier ist die Nachdrucksindustrie ein Druck für jeden einheimi¬ schen Versuch. Die belgischen Theater — fast ausschließlich von Franzosen geleitet — greifen nach dem reichen Repertoire von Pa¬ ris. Da die französischen Autoren in Belgien auf keine Honorare Anspruch machen können, so haben die belgischen Theater die freieste und wohlfeilste Auswahl. Welche Direktion aber wird unter solchen Umständen zu bewegen sein, an das Product eines einheimischen Dichters ohne Namen und mit zweifelhaftem Erfolge Dekorationen, Costüme und die Einnahme eines Abends zu wagen, wo die Fleisch¬ töpfe Aegyptens mit sicherem Erfolge in der Nähe stehen? Die Fla- mänder — wir müssen immer auf sie zurückkommen, da sie auf dem schöngeistigen Gebiete in Belgien die rüstigsten sind — versuchen wenigstens durch Unterstützungen, durch Liebhabertheater ihre Auto¬ ren zu ermuntern. Die wallonisch-französischen Belgier aber entbeh¬ ren auch dieses Vortheils, da das Publikum gegen sie weniger Nach¬ sicht übt. Das flamändische Publikum weiß, daß es mit Anfän¬ gern zu thun hat und freut sich dieser Anfänge! Das französisch¬ sprechende Publikum aber fällt mit Sarkasmen und Parallelen über den armen Autor her und schneidet ihm alle Zukunft gleich von vorn herein ab. Denn der belgische Schriftsteller hat außer Er¬ findung und Gedankengang noch mit einem andern spröden Ding zu kämpfen: mit dem Styl. Sei er Wallone oder gar Flamänder immer werden gewisse Ausdrucksweisen in seine Darstellung sich ein¬ schleichen, die nach der Provinz, nach dem Localen riechen; keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/116>, abgerufen am 05.02.2025.