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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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schaut die Maske; er sieht durch alle Einkleidungen und Umhüllungen
durch und durch bis auf den Grund. Er erkennt die Tendenz trotz
aller Verwahrungen und Verklausulirungen. Er steht den Pferdefuß
selbst aus dem Gewände des deutschen Pedanten herauSgucken.

Insofern also sollte ein armer Journalist sich nie einen geist¬
reichen Censor wünschen. Doch hat es auch seine großen und viel¬
leicht überwiegenden Vortheile. Ein geistreicher Censor hat Respect
vor dem Geiste; er kennt die Macht desselben, er kennt die Macht
der Wahrheit. Er wird nicht jede ihm mißfällige Aeußerung unter¬
drücken, sondern es der Presse selbst überlassen, den Irrthum zu
überwinden. Ein geistreicher Censor weiß, daß die Wahrheit am
kräftigsten durch die Unwahrheit gefördert wird. Jeder Irrthum,
sobald er öffentlich auftritt, erzeugt eine Reaction, durch die er am
Ende überwunden wird. Ein Irrthum, der durch äußere Gewalt
verhindert wird, sich zu äußern, wird nicht von Grund aus geheilt,
sondern er zieht sich in sich selbst zurück und wuchert dort fort. Ein
geistreicher Censor gleicht einem geistreichen Arzte, der auch nicht
jedes äußere Symptom mit plumper Hand zu stören sucht, sondern
der die Naturkraft wirken läßt. Ein geistreicher Censor hat Vertrauen
auf den Organismus des geistigen Nationallebens; er weiß, daß die
Kräfte der Wahrheit sich an der Ueberwindung der Unwahrheit üben
müssen, und daß erstere ohne Kampf mit ihrem Gegensatze nicht
erstarken kam. Eben die Freunde der Wahrheit werden am meisten
durch die gewaltsame Unterdrückung der Unwahrheit benachtheiligt;
ihr Anrecht auf freien Gebrauch ihrer Kräfte , auf Uebung und sieg¬
reiche Bildung ihrer sittlichen Anlagen alt den Mängeln der Zeit
wird ihnen durch willkürliche Entziehung des Gegenstandes entzogen.
Das Alles weiß ein geistreicher Censor, und er ist daher immer
geneigt, auch dem Irrthum freien Lauf zu lassen, nicht damit er sich
festsetze, sondern damit er gründlich ausgerottet werde. Das Alles
weiß ein geistreicher Censor.

Eilt geistreicher Censor wird wenigstens eine bestimmte Ueber¬
zeugung, ein bestimmtes System haben. Der Journalist wird sich
wenigstens bet seinen Arbeiten darnach richten kammer. Wiewohl
ungern, wird er doch im Stande sein, das zu vermeiden, was sein
Censor nicht will. Alles dieses fällt bei einem beschränkten Censor
weg. Dem Journalisten gelingt es freilich, bei einem beschränkten


schaut die Maske; er sieht durch alle Einkleidungen und Umhüllungen
durch und durch bis auf den Grund. Er erkennt die Tendenz trotz
aller Verwahrungen und Verklausulirungen. Er steht den Pferdefuß
selbst aus dem Gewände des deutschen Pedanten herauSgucken.

Insofern also sollte ein armer Journalist sich nie einen geist¬
reichen Censor wünschen. Doch hat es auch seine großen und viel¬
leicht überwiegenden Vortheile. Ein geistreicher Censor hat Respect
vor dem Geiste; er kennt die Macht desselben, er kennt die Macht
der Wahrheit. Er wird nicht jede ihm mißfällige Aeußerung unter¬
drücken, sondern es der Presse selbst überlassen, den Irrthum zu
überwinden. Ein geistreicher Censor weiß, daß die Wahrheit am
kräftigsten durch die Unwahrheit gefördert wird. Jeder Irrthum,
sobald er öffentlich auftritt, erzeugt eine Reaction, durch die er am
Ende überwunden wird. Ein Irrthum, der durch äußere Gewalt
verhindert wird, sich zu äußern, wird nicht von Grund aus geheilt,
sondern er zieht sich in sich selbst zurück und wuchert dort fort. Ein
geistreicher Censor gleicht einem geistreichen Arzte, der auch nicht
jedes äußere Symptom mit plumper Hand zu stören sucht, sondern
der die Naturkraft wirken läßt. Ein geistreicher Censor hat Vertrauen
auf den Organismus des geistigen Nationallebens; er weiß, daß die
Kräfte der Wahrheit sich an der Ueberwindung der Unwahrheit üben
müssen, und daß erstere ohne Kampf mit ihrem Gegensatze nicht
erstarken kam. Eben die Freunde der Wahrheit werden am meisten
durch die gewaltsame Unterdrückung der Unwahrheit benachtheiligt;
ihr Anrecht auf freien Gebrauch ihrer Kräfte , auf Uebung und sieg¬
reiche Bildung ihrer sittlichen Anlagen alt den Mängeln der Zeit
wird ihnen durch willkürliche Entziehung des Gegenstandes entzogen.
Das Alles weiß ein geistreicher Censor, und er ist daher immer
geneigt, auch dem Irrthum freien Lauf zu lassen, nicht damit er sich
festsetze, sondern damit er gründlich ausgerottet werde. Das Alles
weiß ein geistreicher Censor.

Eilt geistreicher Censor wird wenigstens eine bestimmte Ueber¬
zeugung, ein bestimmtes System haben. Der Journalist wird sich
wenigstens bet seinen Arbeiten darnach richten kammer. Wiewohl
ungern, wird er doch im Stande sein, das zu vermeiden, was sein
Censor nicht will. Alles dieses fällt bei einem beschränkten Censor
weg. Dem Journalisten gelingt es freilich, bei einem beschränkten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/11>, abgerufen am 05.02.2025.