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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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liebster Vollständigkeit gestellt, drum wollen wir nun gemeinsam eine
Heilmethode ersinnen. Hier, Herr Gcnialio, ein junger Dichter, ist
bereit, die Pläne auszuführen, welche Sie angeben werden.

Fräulein. Ach, Sie sind Bühnendichter? Das ist charmant!
Ich gratulire Ihnen dazu!

Dichter. Weshalb, mein Fräulein? Kann ich etwas Anderes
erwarten, als traurige, dornige Pfade? Das Publicum goutirt nur
Romane und französische obendrein; man findet es bequemer, sich
alle Gestalten von außen hinein, als von innen heraus vorma¬
len zu lassen. Die Hoffnung, daß meinen Stücken einmal das Licht
der Theaterlampen strahlen konnte, hege ich kaum ....

Redacteur. So gehören auch Sie zu jenen Vorurtheilsvol-
len, welche die Bühne für ein großes Findelhaus halten und zu stolz
sind, ihre dramatischen Kindlein in den Korb zu legen und dabei
von Beengung der genialischer Kraft, vom Coulissenzwang und der¬
gleichen Dingen sprechen.

Professor. Mir aus der Seele gesprochen, Verehrter! Vü'le
jener Herren wollen die Auswüchse ihrer Erzeugnisse durch eine ge¬
wisse Schrankenlostgkeit legitimirt sehen. Schrankenlostgkeit ist aber
immer Uncultur, in der Poesie, wie im Leben. Bildung und Kunst
Verlangen Gesetze und streben stets darnach, sich deren Forderungen
geistig nahe zu rücken. Freilich gibt es auch poetische Giganten,
unbezwingliche Sturmnaturen; aber wie selten sind diese. Auch muß
man von der Bühne nicht zu viel verlangen. Auf dem Rheinfall
können keine Schiffe fahren.

Dichter. Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Ihre geist¬
reichen Perorationen unterbreche, denn sie passen nicht auf mich. Ich
rechne die Darstellbarkeit zu des Dramas wesentlichsten Eigenschaf¬
ten und habe sie mir, bei meinen derartigen Schöpfungen, als feste
Regel aufgestellt. Obgleich ich überzeugt bin, daß mir die Hallen
der Bühne verschlossen bleiben, werde ich doch dem rein theatralischen
Interesse jedes mögliche Opfer bringen, denn lieber will ich die Krän¬
kung ertragen, daß die Bühne mich verschmäht, als den Vorwurf,
ich hätte sie verachtet.

Redacteur (für sich). Kriecher!

Fräulein. Wenn Sie nun aber im Voraus wissen, die Lese-


liebster Vollständigkeit gestellt, drum wollen wir nun gemeinsam eine
Heilmethode ersinnen. Hier, Herr Gcnialio, ein junger Dichter, ist
bereit, die Pläne auszuführen, welche Sie angeben werden.

Fräulein. Ach, Sie sind Bühnendichter? Das ist charmant!
Ich gratulire Ihnen dazu!

Dichter. Weshalb, mein Fräulein? Kann ich etwas Anderes
erwarten, als traurige, dornige Pfade? Das Publicum goutirt nur
Romane und französische obendrein; man findet es bequemer, sich
alle Gestalten von außen hinein, als von innen heraus vorma¬
len zu lassen. Die Hoffnung, daß meinen Stücken einmal das Licht
der Theaterlampen strahlen konnte, hege ich kaum ....

Redacteur. So gehören auch Sie zu jenen Vorurtheilsvol-
len, welche die Bühne für ein großes Findelhaus halten und zu stolz
sind, ihre dramatischen Kindlein in den Korb zu legen und dabei
von Beengung der genialischer Kraft, vom Coulissenzwang und der¬
gleichen Dingen sprechen.

Professor. Mir aus der Seele gesprochen, Verehrter! Vü'le
jener Herren wollen die Auswüchse ihrer Erzeugnisse durch eine ge¬
wisse Schrankenlostgkeit legitimirt sehen. Schrankenlostgkeit ist aber
immer Uncultur, in der Poesie, wie im Leben. Bildung und Kunst
Verlangen Gesetze und streben stets darnach, sich deren Forderungen
geistig nahe zu rücken. Freilich gibt es auch poetische Giganten,
unbezwingliche Sturmnaturen; aber wie selten sind diese. Auch muß
man von der Bühne nicht zu viel verlangen. Auf dem Rheinfall
können keine Schiffe fahren.

Dichter. Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Ihre geist¬
reichen Perorationen unterbreche, denn sie passen nicht auf mich. Ich
rechne die Darstellbarkeit zu des Dramas wesentlichsten Eigenschaf¬
ten und habe sie mir, bei meinen derartigen Schöpfungen, als feste
Regel aufgestellt. Obgleich ich überzeugt bin, daß mir die Hallen
der Bühne verschlossen bleiben, werde ich doch dem rein theatralischen
Interesse jedes mögliche Opfer bringen, denn lieber will ich die Krän¬
kung ertragen, daß die Bühne mich verschmäht, als den Vorwurf,
ich hätte sie verachtet.

Redacteur (für sich). Kriecher!

Fräulein. Wenn Sie nun aber im Voraus wissen, die Lese-


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[0078] liebster Vollständigkeit gestellt, drum wollen wir nun gemeinsam eine Heilmethode ersinnen. Hier, Herr Gcnialio, ein junger Dichter, ist bereit, die Pläne auszuführen, welche Sie angeben werden. Fräulein. Ach, Sie sind Bühnendichter? Das ist charmant! Ich gratulire Ihnen dazu! Dichter. Weshalb, mein Fräulein? Kann ich etwas Anderes erwarten, als traurige, dornige Pfade? Das Publicum goutirt nur Romane und französische obendrein; man findet es bequemer, sich alle Gestalten von außen hinein, als von innen heraus vorma¬ len zu lassen. Die Hoffnung, daß meinen Stücken einmal das Licht der Theaterlampen strahlen konnte, hege ich kaum .... Redacteur. So gehören auch Sie zu jenen Vorurtheilsvol- len, welche die Bühne für ein großes Findelhaus halten und zu stolz sind, ihre dramatischen Kindlein in den Korb zu legen und dabei von Beengung der genialischer Kraft, vom Coulissenzwang und der¬ gleichen Dingen sprechen. Professor. Mir aus der Seele gesprochen, Verehrter! Vü'le jener Herren wollen die Auswüchse ihrer Erzeugnisse durch eine ge¬ wisse Schrankenlostgkeit legitimirt sehen. Schrankenlostgkeit ist aber immer Uncultur, in der Poesie, wie im Leben. Bildung und Kunst Verlangen Gesetze und streben stets darnach, sich deren Forderungen geistig nahe zu rücken. Freilich gibt es auch poetische Giganten, unbezwingliche Sturmnaturen; aber wie selten sind diese. Auch muß man von der Bühne nicht zu viel verlangen. Auf dem Rheinfall können keine Schiffe fahren. Dichter. Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Ihre geist¬ reichen Perorationen unterbreche, denn sie passen nicht auf mich. Ich rechne die Darstellbarkeit zu des Dramas wesentlichsten Eigenschaf¬ ten und habe sie mir, bei meinen derartigen Schöpfungen, als feste Regel aufgestellt. Obgleich ich überzeugt bin, daß mir die Hallen der Bühne verschlossen bleiben, werde ich doch dem rein theatralischen Interesse jedes mögliche Opfer bringen, denn lieber will ich die Krän¬ kung ertragen, daß die Bühne mich verschmäht, als den Vorwurf, ich hätte sie verachtet. Redacteur (für sich). Kriecher! Fräulein. Wenn Sie nun aber im Voraus wissen, die Lese-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/78>, abgerufen am 22.07.2024.