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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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deutschen Dialekt auf die Vereinigung Ungarns mit Deutschland eine
schlecht gesprochene, aber heiß bewegte Rede hielt. Sehr passend und
echt humoristisch war ein von Castelli vorgetragenes Gedicht in nie¬
derösterreichischer Mundart, das den Titel führte: "Der Bauer, der
sich beklagt, daß er nicht eingeladen sei"; in seiner bekannten Manier
stellte sich Castelli als einen Repräsentanten des Bauernstandes Vor,
(er ist in der That der Sohn eines Bauern,) und schilderte jovial,
aber treffend die Verdienste, die List durch seine Wirthschaftslehre um
das Volk sich erworben hat. Auch an Galanterie fehlte es nicht;
der Postrath Löwenthal las ein Gedicht zur Verherrlichung der schö¬
nen Tochter List's; ein artiges Gedicht, ist das nicht echt wienerisch?

Was nun die Persönlichkeit des I>r. List betrifft, so hat sie al¬
lenthalben den freundlichsten Eindruck hervorgebracht. Die rasche
Lebendigkeit und der echt süddeutsche Humor des fast sechzigjährigen
Mannes übt eine unwiderstehliche Gewalt. Aus dem breiten, mit
weißem Haar umgebenen Kopfe schauen ein Paar lustige, kluge,
amerikanisch kluge Augen. Wenn List in Eiser kommt, und er ge¬
räth oft in Eifer, spricht er schwäbischen Dialekt. Dabei schlägt er
von Zeit zu Zeit ein schallendes Gelächter auf, wie die sorgenlosesten
homerischen Götter, die nicht den leisesten Begriff von Zollverhandlun-
gen haben, obschon sie ein Pferd mit Contrebande nach Troja schmug¬
gelten. -- Die Ungarn schwärmen für List, der, wie ich höre, den
Winter über theils hier, theils in Pesch zubringen will. Von dem Pro-
jecte eines in ungarischer und deutscher Sprache zugleich herauszu¬
gebenden Journals wird List bei näherer Kenntniß des Terrains bald
abstehen.



Anmerkung der Redaction. Der wackere Bauernfeld, einer der un,
abhängigsten und freisinnigsten Charaktere der Wiener Literatur, ist in diesem
Augenblicke der Held des Tages in Wien. Ueber sein vor wenigen Tagen zur Auf¬
führung gekommenes neues Drama spricht sich ein uns so eben aus Wien zu¬
kommendes Privatschreiben folgendergestalt aus: Gestern war ein merkwürdi¬
ges Burgtheater: das Stück von Bauernfcld, das ich Dir längst ankündigte
und das die Gegensätze von deutsch und französisch, oder Feder und Schwert
hervorheben will, neuerdings aber den weniger bezeichnenden Titel; "Ein deut¬
scher Krieger" bekam, wurde gegeben, und da es Bauernfeld gelungen war,
zeitgemäße und liberale Stellen einzuflechten und durch die Censur zu brin¬
gen, erhielt das Stück eine Ausnahme, die der unbeschreiblichste Jubel war.
Die Volksstimme ist um so bedeutungsreichcr, als das Stück keiner der ande¬
ren Arbeiten Bauernfeld's gleichkommt und weder humoristische Scenen, noch
großes dramatisches Leben hat: es dient blos als Unterlage einer Gesinnungs-
Grcnzbolc", l. 4l)

deutschen Dialekt auf die Vereinigung Ungarns mit Deutschland eine
schlecht gesprochene, aber heiß bewegte Rede hielt. Sehr passend und
echt humoristisch war ein von Castelli vorgetragenes Gedicht in nie¬
derösterreichischer Mundart, das den Titel führte: „Der Bauer, der
sich beklagt, daß er nicht eingeladen sei"; in seiner bekannten Manier
stellte sich Castelli als einen Repräsentanten des Bauernstandes Vor,
(er ist in der That der Sohn eines Bauern,) und schilderte jovial,
aber treffend die Verdienste, die List durch seine Wirthschaftslehre um
das Volk sich erworben hat. Auch an Galanterie fehlte es nicht;
der Postrath Löwenthal las ein Gedicht zur Verherrlichung der schö¬
nen Tochter List's; ein artiges Gedicht, ist das nicht echt wienerisch?

Was nun die Persönlichkeit des I>r. List betrifft, so hat sie al¬
lenthalben den freundlichsten Eindruck hervorgebracht. Die rasche
Lebendigkeit und der echt süddeutsche Humor des fast sechzigjährigen
Mannes übt eine unwiderstehliche Gewalt. Aus dem breiten, mit
weißem Haar umgebenen Kopfe schauen ein Paar lustige, kluge,
amerikanisch kluge Augen. Wenn List in Eiser kommt, und er ge¬
räth oft in Eifer, spricht er schwäbischen Dialekt. Dabei schlägt er
von Zeit zu Zeit ein schallendes Gelächter auf, wie die sorgenlosesten
homerischen Götter, die nicht den leisesten Begriff von Zollverhandlun-
gen haben, obschon sie ein Pferd mit Contrebande nach Troja schmug¬
gelten. — Die Ungarn schwärmen für List, der, wie ich höre, den
Winter über theils hier, theils in Pesch zubringen will. Von dem Pro-
jecte eines in ungarischer und deutscher Sprache zugleich herauszu¬
gebenden Journals wird List bei näherer Kenntniß des Terrains bald
abstehen.



Anmerkung der Redaction. Der wackere Bauernfeld, einer der un,
abhängigsten und freisinnigsten Charaktere der Wiener Literatur, ist in diesem
Augenblicke der Held des Tages in Wien. Ueber sein vor wenigen Tagen zur Auf¬
führung gekommenes neues Drama spricht sich ein uns so eben aus Wien zu¬
kommendes Privatschreiben folgendergestalt aus: Gestern war ein merkwürdi¬
ges Burgtheater: das Stück von Bauernfcld, das ich Dir längst ankündigte
und das die Gegensätze von deutsch und französisch, oder Feder und Schwert
hervorheben will, neuerdings aber den weniger bezeichnenden Titel; „Ein deut¬
scher Krieger" bekam, wurde gegeben, und da es Bauernfeld gelungen war,
zeitgemäße und liberale Stellen einzuflechten und durch die Censur zu brin¬
gen, erhielt das Stück eine Ausnahme, die der unbeschreiblichste Jubel war.
Die Volksstimme ist um so bedeutungsreichcr, als das Stück keiner der ande¬
ren Arbeiten Bauernfeld's gleichkommt und weder humoristische Scenen, noch
großes dramatisches Leben hat: es dient blos als Unterlage einer Gesinnungs-
Grcnzbolc», l. 4l)
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[0075] deutschen Dialekt auf die Vereinigung Ungarns mit Deutschland eine schlecht gesprochene, aber heiß bewegte Rede hielt. Sehr passend und echt humoristisch war ein von Castelli vorgetragenes Gedicht in nie¬ derösterreichischer Mundart, das den Titel führte: „Der Bauer, der sich beklagt, daß er nicht eingeladen sei"; in seiner bekannten Manier stellte sich Castelli als einen Repräsentanten des Bauernstandes Vor, (er ist in der That der Sohn eines Bauern,) und schilderte jovial, aber treffend die Verdienste, die List durch seine Wirthschaftslehre um das Volk sich erworben hat. Auch an Galanterie fehlte es nicht; der Postrath Löwenthal las ein Gedicht zur Verherrlichung der schö¬ nen Tochter List's; ein artiges Gedicht, ist das nicht echt wienerisch? Was nun die Persönlichkeit des I>r. List betrifft, so hat sie al¬ lenthalben den freundlichsten Eindruck hervorgebracht. Die rasche Lebendigkeit und der echt süddeutsche Humor des fast sechzigjährigen Mannes übt eine unwiderstehliche Gewalt. Aus dem breiten, mit weißem Haar umgebenen Kopfe schauen ein Paar lustige, kluge, amerikanisch kluge Augen. Wenn List in Eiser kommt, und er ge¬ räth oft in Eifer, spricht er schwäbischen Dialekt. Dabei schlägt er von Zeit zu Zeit ein schallendes Gelächter auf, wie die sorgenlosesten homerischen Götter, die nicht den leisesten Begriff von Zollverhandlun- gen haben, obschon sie ein Pferd mit Contrebande nach Troja schmug¬ gelten. — Die Ungarn schwärmen für List, der, wie ich höre, den Winter über theils hier, theils in Pesch zubringen will. Von dem Pro- jecte eines in ungarischer und deutscher Sprache zugleich herauszu¬ gebenden Journals wird List bei näherer Kenntniß des Terrains bald abstehen. Anmerkung der Redaction. Der wackere Bauernfeld, einer der un, abhängigsten und freisinnigsten Charaktere der Wiener Literatur, ist in diesem Augenblicke der Held des Tages in Wien. Ueber sein vor wenigen Tagen zur Auf¬ führung gekommenes neues Drama spricht sich ein uns so eben aus Wien zu¬ kommendes Privatschreiben folgendergestalt aus: Gestern war ein merkwürdi¬ ges Burgtheater: das Stück von Bauernfcld, das ich Dir längst ankündigte und das die Gegensätze von deutsch und französisch, oder Feder und Schwert hervorheben will, neuerdings aber den weniger bezeichnenden Titel; „Ein deut¬ scher Krieger" bekam, wurde gegeben, und da es Bauernfeld gelungen war, zeitgemäße und liberale Stellen einzuflechten und durch die Censur zu brin¬ gen, erhielt das Stück eine Ausnahme, die der unbeschreiblichste Jubel war. Die Volksstimme ist um so bedeutungsreichcr, als das Stück keiner der ande¬ ren Arbeiten Bauernfeld's gleichkommt und weder humoristische Scenen, noch großes dramatisches Leben hat: es dient blos als Unterlage einer Gesinnungs- Grcnzbolc», l. 4l)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/75>, abgerufen am 22.07.2024.