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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wie Hans in der Fremde. Erst wenn die Stöpsel fliegen, kommt
der Geist über die Deutschen; dies war auch hier der Fall. Die
beiden eisten Toaste waren vorher bestimmt und auf circulirendem
Wege den Anwesenden schriftlich mitgetheilt worden. Dem zu Folge
erhob sich Graf Colloredo und brachte den Toast auf den Monarchen
und das Kaiserhaus aus. In seiner Rede fiel es allgemein auf,
daß der Redner mit Maria Theresia begann und die Anhänglichkeit
der Oesterreicher zur Herrscherfamilie von ihr und ihrem Andenken
herleitete. Das Andenken Joseph's II. ist mit dem seiner Mutter so
nahe verknüpft, daß man oft nur den Namen der Letztern auszu-
sprechen braucht, um an jenen zu denken.

Hierauf nahm der Regierungsrath Kuttler -- Professor der
Staatswirthschaft an der Wiener Universität -- das Wort, um ein
Lebehoch dem Gaste zu bringen. List's Verdienste erhielten eine warme
Schilderung und mit echt österreichischer Bescheidenheit dankte ihm
der Redner unumwunden für Dasjenige, was er aus seinen Werken
zu eigener Belehrung geschöpft habe; besonders aber verweilte er bei
dem Umstände, daß List die so wichtige deutsche Auswanderung nach
näheren und lohnenderen Gegenden zu leiten suche. Nun erhob sich
ol-.'List, um zu antworten. Man war auf diese Antwort doppelt
gespannt, sowohl aus Interesse an der Persönlichkeit des berühmten
Mannes, als auch des Umstandes wegen, daß er während der letzten
Tage wiederholte Unterredungen mit den höchsten Staatspcrsonen ge¬
habt hatte, und das Resultat derselben hoffte man aus seiner Rede
durchschimmern zu sehen; allein sei es, daß gerade dieser Umstand dem
Redner Zwang anlegte, sei es, daß List überhaupt die Rednergabe
nicht besitzt -- was bei dem bewegten, öffentlichen Leben dieses Man¬
nes kaum anzunehmen ist, -- genug, er stockte zu wiederholten Ma¬
len und der Fluß seiner Worte schien öfters versiegen zu wollen;
nicht ohne Mühe gelang es den Zuhörern, ihm zu folgen. Der
Inhalt seiner Rede war ungefähr der: daß gegenwärtig zwei große
Handelskörper allein in Deutschland aufzufassen wären: Oesterreich
und der Zollverein; daß aber für eine geraume Zeit vor¬
erst nur gegenseitige Erleichterung und Annäherung,
aber keine Vereinigung stattfinden könne. List brachte
hierauf seinen Toast auf die österreichische Staatsverwaltung, ramene-


wie Hans in der Fremde. Erst wenn die Stöpsel fliegen, kommt
der Geist über die Deutschen; dies war auch hier der Fall. Die
beiden eisten Toaste waren vorher bestimmt und auf circulirendem
Wege den Anwesenden schriftlich mitgetheilt worden. Dem zu Folge
erhob sich Graf Colloredo und brachte den Toast auf den Monarchen
und das Kaiserhaus aus. In seiner Rede fiel es allgemein auf,
daß der Redner mit Maria Theresia begann und die Anhänglichkeit
der Oesterreicher zur Herrscherfamilie von ihr und ihrem Andenken
herleitete. Das Andenken Joseph's II. ist mit dem seiner Mutter so
nahe verknüpft, daß man oft nur den Namen der Letztern auszu-
sprechen braucht, um an jenen zu denken.

Hierauf nahm der Regierungsrath Kuttler — Professor der
Staatswirthschaft an der Wiener Universität — das Wort, um ein
Lebehoch dem Gaste zu bringen. List's Verdienste erhielten eine warme
Schilderung und mit echt österreichischer Bescheidenheit dankte ihm
der Redner unumwunden für Dasjenige, was er aus seinen Werken
zu eigener Belehrung geschöpft habe; besonders aber verweilte er bei
dem Umstände, daß List die so wichtige deutsche Auswanderung nach
näheren und lohnenderen Gegenden zu leiten suche. Nun erhob sich
ol-.'List, um zu antworten. Man war auf diese Antwort doppelt
gespannt, sowohl aus Interesse an der Persönlichkeit des berühmten
Mannes, als auch des Umstandes wegen, daß er während der letzten
Tage wiederholte Unterredungen mit den höchsten Staatspcrsonen ge¬
habt hatte, und das Resultat derselben hoffte man aus seiner Rede
durchschimmern zu sehen; allein sei es, daß gerade dieser Umstand dem
Redner Zwang anlegte, sei es, daß List überhaupt die Rednergabe
nicht besitzt — was bei dem bewegten, öffentlichen Leben dieses Man¬
nes kaum anzunehmen ist, — genug, er stockte zu wiederholten Ma¬
len und der Fluß seiner Worte schien öfters versiegen zu wollen;
nicht ohne Mühe gelang es den Zuhörern, ihm zu folgen. Der
Inhalt seiner Rede war ungefähr der: daß gegenwärtig zwei große
Handelskörper allein in Deutschland aufzufassen wären: Oesterreich
und der Zollverein; daß aber für eine geraume Zeit vor¬
erst nur gegenseitige Erleichterung und Annäherung,
aber keine Vereinigung stattfinden könne. List brachte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/71>, abgerufen am 22.07.2024.