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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zösin aber, diese Frau de La Roche, welcher unser Götze sehr modern
nachgewiesen hat, daß die Franzosen "kein Gemüth hatten," so wenig
wie das Wort dafür, sie ruht und rastet nicht, bis sie dem geliebten
deutschen Krieger, seinen deutschen Neidern und Feinden zum Trotz,
Genugthuung verschafft und den Kurfürsten Johann Georg ihm wie¬
der versöhnt hat. Johann Georg kommt durch Aufall auf das Gut
des Büttner, laßt sich da als Wilddieb von dem jungen Hans erwi¬
schen und zeigt sich ganz als gutmüthigen Polterer und patriarchalischen
deutschen Landesvater. Er spricht auch gern von seiner guten Doro¬
thea Sybilla, als wäre sie eine Hausfrau, wie andere. Zuletzt gesteht
Götze, daß er ein Hitzkopf gewesen, und der Kurfürst gesteht, daß auch
er ein großes Deutschland wünschte und das Traurige des westphäli-
schen Friedens einsehe, aber "wenn er nur gekonnt hatte, wie er
wollte!" -- das besiegelt die Versöhnung; dieses gemüthliche Zuge¬
ständnis; seines fürstlichen Freundes entzückt den deutschen Krieger, hebt
ihn über allen Zwiespalt hinaus und wirft ihn in die Arme der de la
Roche, führt ihn in den Hafen der Familie, die in Deutschland
zuletzt für Alles entschädigt. Denn dies ist ja doch das Höchste, und
weiter kann's Keiner bringen, meint Büttner. -- Braucht es noch
eines Beweises, daß "Oesterreich deutsch ist?" --

Die vorhergehende Skizzirung der Fabel sollte nur dazu dienen,
die politische Seele des Stückes errathen zu lassen. Sonst leidet es,
wie man sieht, an UnWahrscheinlichkeiten und einer losen Composttion,
hat aber auch Bauernfeld's bekannte Vorzüge: einen liebenswürdigen,
leichten, natürlichen Dialog und eine heitere, oft sehr sinnige Komik,
hier namentlich in den Nebenfiguren und episodischen Scenen.

Jetzt, indem ich an den Gang des Stückes noch einmal zurück¬
denke, überkommt es mich selbst, als müßte seine Aufführung auf
dem Burgtheater doch einEreigniß genannt werden. Auf jenen welehe-
'deutenden Brettern, wo bisher die wirkliche Welt ignorirt werden
mußte, eine so deutliche Abspiegelung der deutschen Welt, ja eine un¬
mittelbare Anspielung auf die Gegenwart! Schon daß von einem
Deutschland die Rede ist, wo sonst nur die passive Loyalität sich
an den Begriff: daS Kaiserhaus, klammern durfte, ist von großer Be¬
deutung. Der Spott auf "die geheime Registratur," die Satyre über
"das Verbrechen, in Ungnade zu sein," das Geißeln der gesinnungs¬
losen Diplomaten, das Alles ist für uns Kleinigkeit und gewiß auch
für das Parterrepublicum des Burgtheaters, wenn es dergleichen --
liest; aber dies Alles hat noch ganz andern Sinn im Munde kai¬
serlicher Schauspieler und im Angesicht der Hoflogen. Diese leisen
Töne, die in einer freiern Luft unbeachtet verhallen, klingen ganz an¬
ders unter der großen Glasglocke; da erscheinen sie als das erste Echo
mächtiger Frühlingstöne der Zukunft. Daß die Aufführung des deut¬
schen Kriegers in Wien für ein wichtiges Zugeständnis; an die Zeit


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zösin aber, diese Frau de La Roche, welcher unser Götze sehr modern
nachgewiesen hat, daß die Franzosen „kein Gemüth hatten," so wenig
wie das Wort dafür, sie ruht und rastet nicht, bis sie dem geliebten
deutschen Krieger, seinen deutschen Neidern und Feinden zum Trotz,
Genugthuung verschafft und den Kurfürsten Johann Georg ihm wie¬
der versöhnt hat. Johann Georg kommt durch Aufall auf das Gut
des Büttner, laßt sich da als Wilddieb von dem jungen Hans erwi¬
schen und zeigt sich ganz als gutmüthigen Polterer und patriarchalischen
deutschen Landesvater. Er spricht auch gern von seiner guten Doro¬
thea Sybilla, als wäre sie eine Hausfrau, wie andere. Zuletzt gesteht
Götze, daß er ein Hitzkopf gewesen, und der Kurfürst gesteht, daß auch
er ein großes Deutschland wünschte und das Traurige des westphäli-
schen Friedens einsehe, aber „wenn er nur gekonnt hatte, wie er
wollte!" — das besiegelt die Versöhnung; dieses gemüthliche Zuge¬
ständnis; seines fürstlichen Freundes entzückt den deutschen Krieger, hebt
ihn über allen Zwiespalt hinaus und wirft ihn in die Arme der de la
Roche, führt ihn in den Hafen der Familie, die in Deutschland
zuletzt für Alles entschädigt. Denn dies ist ja doch das Höchste, und
weiter kann's Keiner bringen, meint Büttner. — Braucht es noch
eines Beweises, daß „Oesterreich deutsch ist?" —

Die vorhergehende Skizzirung der Fabel sollte nur dazu dienen,
die politische Seele des Stückes errathen zu lassen. Sonst leidet es,
wie man sieht, an UnWahrscheinlichkeiten und einer losen Composttion,
hat aber auch Bauernfeld's bekannte Vorzüge: einen liebenswürdigen,
leichten, natürlichen Dialog und eine heitere, oft sehr sinnige Komik,
hier namentlich in den Nebenfiguren und episodischen Scenen.

Jetzt, indem ich an den Gang des Stückes noch einmal zurück¬
denke, überkommt es mich selbst, als müßte seine Aufführung auf
dem Burgtheater doch einEreigniß genannt werden. Auf jenen welehe-
'deutenden Brettern, wo bisher die wirkliche Welt ignorirt werden
mußte, eine so deutliche Abspiegelung der deutschen Welt, ja eine un¬
mittelbare Anspielung auf die Gegenwart! Schon daß von einem
Deutschland die Rede ist, wo sonst nur die passive Loyalität sich
an den Begriff: daS Kaiserhaus, klammern durfte, ist von großer Be¬
deutung. Der Spott auf „die geheime Registratur," die Satyre über
„das Verbrechen, in Ungnade zu sein," das Geißeln der gesinnungs¬
losen Diplomaten, das Alles ist für uns Kleinigkeit und gewiß auch
für das Parterrepublicum des Burgtheaters, wenn es dergleichen —
liest; aber dies Alles hat noch ganz andern Sinn im Munde kai¬
serlicher Schauspieler und im Angesicht der Hoflogen. Diese leisen
Töne, die in einer freiern Luft unbeachtet verhallen, klingen ganz an¬
ders unter der großen Glasglocke; da erscheinen sie als das erste Echo
mächtiger Frühlingstöne der Zukunft. Daß die Aufführung des deut¬
schen Kriegers in Wien für ein wichtiges Zugeständnis; an die Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/633>, abgerufen am 22.07.2024.