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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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dieses deutschen Kriegers für die Augen eines Burgtheatcrpublicums
hat. Selbst wer nur eine Reihe von Jahren aus Kaiserstadt und
Kaiserstaat fort ist, ausi sich erst wieder in die dortige Atmosphäre
zurückdenken, um den Wiener Jubel über dies "Tendenzstück" zu be¬
greisen.

Unmittelbar vor dem Abschluß des westphälischen Friedens kämpft
der sächsische Freischaarenhauptmann Götze im Elsaß gegen die Fran¬
zosen. Er haßt diese "Erbfeinde Deutschlands," als hätten sie schon
damals Straßburg geraubt, das liebe heilige römische Reich gesprengt
und den Rheinbund gestiftet. Eine Frau von la Roche, die einflu߬
reiche Verwandte des französischen Gesandten in Dresden, will er so¬
gar erschießen lassen, wenn er sie erwischt; doch ist er großmüthig
genug, da er sie erwischt, sie nicht erkennen zu wollen, wodurch er
ihr Dankbarkeit und später Liebe einflößt. Ja, dieser Götze will einen
glorreichen Friedensschluß, er will Deutschland einig, groß und siegreich
-- machen? das kann man wohl nicht sagen, denn man frägt: wo¬
durch, wo sind die Mittel, was sind die Pläne dieses "sächsischen
Wallenstein," wie ihn Dohna nennt? Er haut blos um sich und
denkt, wenn er, der Hauptmann einer Freischaar, die Feindseligkeiten
nicht einstellt, den Krieg von Neuem anzufachen; er überschreitet die
Ordres seines Herrn, des Kurfürsten von Sachsen, und will die Beste
Zabern stürmen. Frau von La Noche kommt als Parlementar zu
ihm und hat die Uebergabe der Beste schon mit Wort und Handschlag
zugesagt, als plötzlich der Friede verkündet wird. Graf Dohna, der
Diplomat, des Kriegers Gegenstück, zugleich ein Bewerber um die
Hand der La Roche, tritt aus und dem Götze in den Weg; jetzt be¬
ginne das Regiment der Feder, heißt es. Der deutsche Krieger, der
"Bauernsohn," wie er selbst sich mit stolzer Bescheidenheit nennt, schilt
auf die kalten, unpatriotischen Diplomaten. Gewiß mit Recht, aber
was thut er gegen sie? Nun, er verdirbt es mit dem Dohna, wird
ab- und in Anklagestand gesetzt und findet ein Asyl bei dem guten
Pächter Büttner, der mit ihm aus dem Elsaß in die Nähe von Dres¬
den gezogen. Ist dies Alles nicht rührend deutsch? Der ehrliche Mann
wird mit Undank und Verfolgung belohnt, der Federfuchser und In-
triguant mit Gnadenkcttcn und hohen Würden. Doch das ist Wett¬
lauf, könnte man sagen. Allein es ist auch darin deutsch, daß der
ehrliche Kerl immer ein bischen bornirt und der Gescheidte die perso-
nificirte Selbstsucht sein muß. Glückliches Volk, die Franzosen; bei
ihnen sind selbst die Spitzbuben patriotisch, bei uns nur die Schlemichls;
selbst die Diplomaten intriguiren dort nur für das Vaterland, bei uns
aber glaubt man fast, Klugheit und Ehrlichkeit müßten sich im Leben
immer befeinden und die Einfalt müsse stets auch einfältig sein. Un¬
sere Tugend ist oft nur eine Mitgift des Temperaments, eine Ent¬
schädigung, welche die Beschränktheit erträglich machen soll. --Die Fran-


dieses deutschen Kriegers für die Augen eines Burgtheatcrpublicums
hat. Selbst wer nur eine Reihe von Jahren aus Kaiserstadt und
Kaiserstaat fort ist, ausi sich erst wieder in die dortige Atmosphäre
zurückdenken, um den Wiener Jubel über dies „Tendenzstück" zu be¬
greisen.

Unmittelbar vor dem Abschluß des westphälischen Friedens kämpft
der sächsische Freischaarenhauptmann Götze im Elsaß gegen die Fran¬
zosen. Er haßt diese „Erbfeinde Deutschlands," als hätten sie schon
damals Straßburg geraubt, das liebe heilige römische Reich gesprengt
und den Rheinbund gestiftet. Eine Frau von la Roche, die einflu߬
reiche Verwandte des französischen Gesandten in Dresden, will er so¬
gar erschießen lassen, wenn er sie erwischt; doch ist er großmüthig
genug, da er sie erwischt, sie nicht erkennen zu wollen, wodurch er
ihr Dankbarkeit und später Liebe einflößt. Ja, dieser Götze will einen
glorreichen Friedensschluß, er will Deutschland einig, groß und siegreich
— machen? das kann man wohl nicht sagen, denn man frägt: wo¬
durch, wo sind die Mittel, was sind die Pläne dieses „sächsischen
Wallenstein," wie ihn Dohna nennt? Er haut blos um sich und
denkt, wenn er, der Hauptmann einer Freischaar, die Feindseligkeiten
nicht einstellt, den Krieg von Neuem anzufachen; er überschreitet die
Ordres seines Herrn, des Kurfürsten von Sachsen, und will die Beste
Zabern stürmen. Frau von La Noche kommt als Parlementar zu
ihm und hat die Uebergabe der Beste schon mit Wort und Handschlag
zugesagt, als plötzlich der Friede verkündet wird. Graf Dohna, der
Diplomat, des Kriegers Gegenstück, zugleich ein Bewerber um die
Hand der La Roche, tritt aus und dem Götze in den Weg; jetzt be¬
ginne das Regiment der Feder, heißt es. Der deutsche Krieger, der
„Bauernsohn," wie er selbst sich mit stolzer Bescheidenheit nennt, schilt
auf die kalten, unpatriotischen Diplomaten. Gewiß mit Recht, aber
was thut er gegen sie? Nun, er verdirbt es mit dem Dohna, wird
ab- und in Anklagestand gesetzt und findet ein Asyl bei dem guten
Pächter Büttner, der mit ihm aus dem Elsaß in die Nähe von Dres¬
den gezogen. Ist dies Alles nicht rührend deutsch? Der ehrliche Mann
wird mit Undank und Verfolgung belohnt, der Federfuchser und In-
triguant mit Gnadenkcttcn und hohen Würden. Doch das ist Wett¬
lauf, könnte man sagen. Allein es ist auch darin deutsch, daß der
ehrliche Kerl immer ein bischen bornirt und der Gescheidte die perso-
nificirte Selbstsucht sein muß. Glückliches Volk, die Franzosen; bei
ihnen sind selbst die Spitzbuben patriotisch, bei uns nur die Schlemichls;
selbst die Diplomaten intriguiren dort nur für das Vaterland, bei uns
aber glaubt man fast, Klugheit und Ehrlichkeit müßten sich im Leben
immer befeinden und die Einfalt müsse stets auch einfältig sein. Un¬
sere Tugend ist oft nur eine Mitgift des Temperaments, eine Ent¬
schädigung, welche die Beschränktheit erträglich machen soll. —Die Fran-


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[0632] dieses deutschen Kriegers für die Augen eines Burgtheatcrpublicums hat. Selbst wer nur eine Reihe von Jahren aus Kaiserstadt und Kaiserstaat fort ist, ausi sich erst wieder in die dortige Atmosphäre zurückdenken, um den Wiener Jubel über dies „Tendenzstück" zu be¬ greisen. Unmittelbar vor dem Abschluß des westphälischen Friedens kämpft der sächsische Freischaarenhauptmann Götze im Elsaß gegen die Fran¬ zosen. Er haßt diese „Erbfeinde Deutschlands," als hätten sie schon damals Straßburg geraubt, das liebe heilige römische Reich gesprengt und den Rheinbund gestiftet. Eine Frau von la Roche, die einflu߬ reiche Verwandte des französischen Gesandten in Dresden, will er so¬ gar erschießen lassen, wenn er sie erwischt; doch ist er großmüthig genug, da er sie erwischt, sie nicht erkennen zu wollen, wodurch er ihr Dankbarkeit und später Liebe einflößt. Ja, dieser Götze will einen glorreichen Friedensschluß, er will Deutschland einig, groß und siegreich — machen? das kann man wohl nicht sagen, denn man frägt: wo¬ durch, wo sind die Mittel, was sind die Pläne dieses „sächsischen Wallenstein," wie ihn Dohna nennt? Er haut blos um sich und denkt, wenn er, der Hauptmann einer Freischaar, die Feindseligkeiten nicht einstellt, den Krieg von Neuem anzufachen; er überschreitet die Ordres seines Herrn, des Kurfürsten von Sachsen, und will die Beste Zabern stürmen. Frau von La Noche kommt als Parlementar zu ihm und hat die Uebergabe der Beste schon mit Wort und Handschlag zugesagt, als plötzlich der Friede verkündet wird. Graf Dohna, der Diplomat, des Kriegers Gegenstück, zugleich ein Bewerber um die Hand der La Roche, tritt aus und dem Götze in den Weg; jetzt be¬ ginne das Regiment der Feder, heißt es. Der deutsche Krieger, der „Bauernsohn," wie er selbst sich mit stolzer Bescheidenheit nennt, schilt auf die kalten, unpatriotischen Diplomaten. Gewiß mit Recht, aber was thut er gegen sie? Nun, er verdirbt es mit dem Dohna, wird ab- und in Anklagestand gesetzt und findet ein Asyl bei dem guten Pächter Büttner, der mit ihm aus dem Elsaß in die Nähe von Dres¬ den gezogen. Ist dies Alles nicht rührend deutsch? Der ehrliche Mann wird mit Undank und Verfolgung belohnt, der Federfuchser und In- triguant mit Gnadenkcttcn und hohen Würden. Doch das ist Wett¬ lauf, könnte man sagen. Allein es ist auch darin deutsch, daß der ehrliche Kerl immer ein bischen bornirt und der Gescheidte die perso- nificirte Selbstsucht sein muß. Glückliches Volk, die Franzosen; bei ihnen sind selbst die Spitzbuben patriotisch, bei uns nur die Schlemichls; selbst die Diplomaten intriguiren dort nur für das Vaterland, bei uns aber glaubt man fast, Klugheit und Ehrlichkeit müßten sich im Leben immer befeinden und die Einfalt müsse stets auch einfältig sein. Un¬ sere Tugend ist oft nur eine Mitgift des Temperaments, eine Ent¬ schädigung, welche die Beschränktheit erträglich machen soll. —Die Fran-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/632>, abgerufen am 22.07.2024.