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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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klugen vorgefallen, nie hat mehr Subordination unter denselben ge¬
herrscht als eben seit dieser Zeit. Wenn man diesen Verbrechern ihr
unglückliches, ob auch verdientes Loos durch Milderung ihrer Strafe
zu erleichtern suchte, um wie vielmehr verdiente das traurige Schicksal
jener Unglücklichen eine Milderung, deren Geist von Nacht umhüllt
ist! Aber in diesem Stücke ist man bei uns noch weit zurück. Im
Irrenhause des benachbarten Gräsing spielt noch immer die Zwangs¬
jacke die Hauptrolle; von jener milden Behandlung dieser Unglücklichen,
wie sie der milde Geist unseres Jahrhunderts fast allenthalben einge¬
führt und die sich auch überall als so trefflich bewahrt hat, davon weiß
man bei uns Nichts. Abgesehen davon, daß die Anverwandten eines
Geisteskranken erst nach langem Petitioniren es dahin bringen können,
diesem eine Zufluchtsstätte im Irrenhause zu verschaffen, wird die Fa¬
milie selbst, welcher der Unglückliche angehört, wenn sie anders einiges
Mitleid mit demselben fühlt, sich nur von der äußersten Nothwendig¬
keit zwingen lassen, ihren Verwandten dieser Anstalt zu übergeben.
-- Mitte Februars fand im Locale unseres Kunstvereins die Bildcr-
verloosung statt. Daß man bei einer Anzahl von 115 Gemälden nicht
lauter Meisterstücke erwarten durfte, versteht sich von selbst: so entschie¬
den Mittelmäßiges aber als in diesem Jahre kam noch nie seit dem
Bestehen des Vereins zur Verloosung. Der Kunstverein ist allerdings
eine Anstalt, bestimmt, junge und strebende Talente durch Ankauf
ihrer Bilder aufzumuntern und zu unterstützen, gänzliche Talentlosig-
keit aber sollte entschieden zurückgewiesen werden; eine Versorgungsan-
stalt für Geistesarme und phantasieinvalide Kunstjünger ist der Ver¬
ein doch wahrlich nicht. Das haben auch die Mitglieder des Kunst¬
vereines eingesehen und haben die Bestimmung festgesetzt, daß von
nun an dem Schiedsgerichte (allerdings im Widersprüche mit seinem Na¬
men) nur ein berathendes, dem Ausschusse aber ein entscheiden¬
des Votum beim Ankaufe der Bilder zustehe. Das hervorragendste
Gemälde war auch in diesem Jahre wieder ein Bild von Geier in
Augsburg, "die Concertprobe", das dem Componisten Pentcnrieder zu¬
fiel und welches von Kennern dem "ärztlichen Concilium" desselben
Meisters, das im vorigen Jahre vom Vereine angekauft wurde, noch
vorgezogen wird. Allgemeines Interesse erregten auch ein "Secräuber-
schiff" von Simonsen, in Colorit und Ausführung gleich ausgezeich¬
net, eine "Abendlandschaft" von Albrecht Zimmermann, ferner
die Bilder von Schelver, Etzdorf, Adam und And. Als Ge¬
schenk für seine Mitglieder bestimmte der Verein für das Jahr 44
einen Kupferstich von Thaler, darstellend: "Friedrich Barbarossas
Zusammenkunft mit dem Pabste in Venedig" nach einem Gemälde
Schmorr's im Festsaal der Residenz. -- Während der Monate Februar
und März findet in unserm Museum ein Cyclus von Vorlesungen
statt und bereits wurden schon vier Vorträge abgehalten. Diese Vor-


Grenzbotcn ISiL. I. 79

klugen vorgefallen, nie hat mehr Subordination unter denselben ge¬
herrscht als eben seit dieser Zeit. Wenn man diesen Verbrechern ihr
unglückliches, ob auch verdientes Loos durch Milderung ihrer Strafe
zu erleichtern suchte, um wie vielmehr verdiente das traurige Schicksal
jener Unglücklichen eine Milderung, deren Geist von Nacht umhüllt
ist! Aber in diesem Stücke ist man bei uns noch weit zurück. Im
Irrenhause des benachbarten Gräsing spielt noch immer die Zwangs¬
jacke die Hauptrolle; von jener milden Behandlung dieser Unglücklichen,
wie sie der milde Geist unseres Jahrhunderts fast allenthalben einge¬
führt und die sich auch überall als so trefflich bewahrt hat, davon weiß
man bei uns Nichts. Abgesehen davon, daß die Anverwandten eines
Geisteskranken erst nach langem Petitioniren es dahin bringen können,
diesem eine Zufluchtsstätte im Irrenhause zu verschaffen, wird die Fa¬
milie selbst, welcher der Unglückliche angehört, wenn sie anders einiges
Mitleid mit demselben fühlt, sich nur von der äußersten Nothwendig¬
keit zwingen lassen, ihren Verwandten dieser Anstalt zu übergeben.
— Mitte Februars fand im Locale unseres Kunstvereins die Bildcr-
verloosung statt. Daß man bei einer Anzahl von 115 Gemälden nicht
lauter Meisterstücke erwarten durfte, versteht sich von selbst: so entschie¬
den Mittelmäßiges aber als in diesem Jahre kam noch nie seit dem
Bestehen des Vereins zur Verloosung. Der Kunstverein ist allerdings
eine Anstalt, bestimmt, junge und strebende Talente durch Ankauf
ihrer Bilder aufzumuntern und zu unterstützen, gänzliche Talentlosig-
keit aber sollte entschieden zurückgewiesen werden; eine Versorgungsan-
stalt für Geistesarme und phantasieinvalide Kunstjünger ist der Ver¬
ein doch wahrlich nicht. Das haben auch die Mitglieder des Kunst¬
vereines eingesehen und haben die Bestimmung festgesetzt, daß von
nun an dem Schiedsgerichte (allerdings im Widersprüche mit seinem Na¬
men) nur ein berathendes, dem Ausschusse aber ein entscheiden¬
des Votum beim Ankaufe der Bilder zustehe. Das hervorragendste
Gemälde war auch in diesem Jahre wieder ein Bild von Geier in
Augsburg, „die Concertprobe", das dem Componisten Pentcnrieder zu¬
fiel und welches von Kennern dem „ärztlichen Concilium" desselben
Meisters, das im vorigen Jahre vom Vereine angekauft wurde, noch
vorgezogen wird. Allgemeines Interesse erregten auch ein „Secräuber-
schiff" von Simonsen, in Colorit und Ausführung gleich ausgezeich¬
net, eine „Abendlandschaft" von Albrecht Zimmermann, ferner
die Bilder von Schelver, Etzdorf, Adam und And. Als Ge¬
schenk für seine Mitglieder bestimmte der Verein für das Jahr 44
einen Kupferstich von Thaler, darstellend: „Friedrich Barbarossas
Zusammenkunft mit dem Pabste in Venedig" nach einem Gemälde
Schmorr's im Festsaal der Residenz. — Während der Monate Februar
und März findet in unserm Museum ein Cyclus von Vorlesungen
statt und bereits wurden schon vier Vorträge abgehalten. Diese Vor-


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[0623] klugen vorgefallen, nie hat mehr Subordination unter denselben ge¬ herrscht als eben seit dieser Zeit. Wenn man diesen Verbrechern ihr unglückliches, ob auch verdientes Loos durch Milderung ihrer Strafe zu erleichtern suchte, um wie vielmehr verdiente das traurige Schicksal jener Unglücklichen eine Milderung, deren Geist von Nacht umhüllt ist! Aber in diesem Stücke ist man bei uns noch weit zurück. Im Irrenhause des benachbarten Gräsing spielt noch immer die Zwangs¬ jacke die Hauptrolle; von jener milden Behandlung dieser Unglücklichen, wie sie der milde Geist unseres Jahrhunderts fast allenthalben einge¬ führt und die sich auch überall als so trefflich bewahrt hat, davon weiß man bei uns Nichts. Abgesehen davon, daß die Anverwandten eines Geisteskranken erst nach langem Petitioniren es dahin bringen können, diesem eine Zufluchtsstätte im Irrenhause zu verschaffen, wird die Fa¬ milie selbst, welcher der Unglückliche angehört, wenn sie anders einiges Mitleid mit demselben fühlt, sich nur von der äußersten Nothwendig¬ keit zwingen lassen, ihren Verwandten dieser Anstalt zu übergeben. — Mitte Februars fand im Locale unseres Kunstvereins die Bildcr- verloosung statt. Daß man bei einer Anzahl von 115 Gemälden nicht lauter Meisterstücke erwarten durfte, versteht sich von selbst: so entschie¬ den Mittelmäßiges aber als in diesem Jahre kam noch nie seit dem Bestehen des Vereins zur Verloosung. Der Kunstverein ist allerdings eine Anstalt, bestimmt, junge und strebende Talente durch Ankauf ihrer Bilder aufzumuntern und zu unterstützen, gänzliche Talentlosig- keit aber sollte entschieden zurückgewiesen werden; eine Versorgungsan- stalt für Geistesarme und phantasieinvalide Kunstjünger ist der Ver¬ ein doch wahrlich nicht. Das haben auch die Mitglieder des Kunst¬ vereines eingesehen und haben die Bestimmung festgesetzt, daß von nun an dem Schiedsgerichte (allerdings im Widersprüche mit seinem Na¬ men) nur ein berathendes, dem Ausschusse aber ein entscheiden¬ des Votum beim Ankaufe der Bilder zustehe. Das hervorragendste Gemälde war auch in diesem Jahre wieder ein Bild von Geier in Augsburg, „die Concertprobe", das dem Componisten Pentcnrieder zu¬ fiel und welches von Kennern dem „ärztlichen Concilium" desselben Meisters, das im vorigen Jahre vom Vereine angekauft wurde, noch vorgezogen wird. Allgemeines Interesse erregten auch ein „Secräuber- schiff" von Simonsen, in Colorit und Ausführung gleich ausgezeich¬ net, eine „Abendlandschaft" von Albrecht Zimmermann, ferner die Bilder von Schelver, Etzdorf, Adam und And. Als Ge¬ schenk für seine Mitglieder bestimmte der Verein für das Jahr 44 einen Kupferstich von Thaler, darstellend: „Friedrich Barbarossas Zusammenkunft mit dem Pabste in Venedig" nach einem Gemälde Schmorr's im Festsaal der Residenz. — Während der Monate Februar und März findet in unserm Museum ein Cyclus von Vorlesungen statt und bereits wurden schon vier Vorträge abgehalten. Diese Vor- Grenzbotcn ISiL. I. 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/623>, abgerufen am 22.07.2024.