Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein goldenes Zeitalter war über das Reich gekommen. Das
Volk jauchzte, die Stirnen entfurchten, die Geister entfalteten sich und
alle Herzen waren glücklich und priesen den König. -- Dem Herrn
von Heimlicher wurde bange und übel zu Muthe. Umsonst waren
die Vorwürfe seiner Collegen in den benachbarten Ländern; er konnte
sich nicht helfen und mußte die Schmach, ein liberaler Minister zu sein,
auf sich sitzen lassen. Wie ein Gespenst schlich er umher und forschte
der Quelle des Uebels nach und fand sie nicht. Er kannte ja den
König uno die Leute, mit denen er ihn selbst umgeben hatte; woher
kam ihm diese Einsicht? -- O trauervolle Frage, auf die er nicht
die Antwort fand.

Aber was entgeht für die Länge einem geübten Ministerauge?
Er fand die Antwort. -- Er war ja immer bei den Unterschriften
zugegen und mußte endlich die Zauberkraft der Lampe bemerke". --
Nun war er gerettet. Die Minister sind in den Zimmern und Vor¬
zimmern des Königs immer mächtiger und heimischer als dieser selbst.
Herr von Heimlicher ließ also einen elektrischen Apparat anlegen, der
ihm Licht verschaffte, so oft er wollte. Er wußte immer sehr gut,
wann er es brauchen würde. Da stellte er sich hinter den Stuhl
des Königs, gab ein Zeichen und im Moment brannte eine gute
Wachskerze in seiner Hand, die er über dem Haupte des Königs hoch
emporhielt, daß er das Erlöschen der Lampe nicht bemerkte und mu¬
thig, im Bewußtsein einer guten That, unterschrieb. -- So wurde
der arme König im wahrsten Sinne des Wortes hinter's Licht ge¬
führt. -- Denn war die That geschehen, leuchtete die Lampe wieder
mit ihrem gewöhnlichen Lichte, auch wußte der Minister seine Kerze
auf eine geschickte Weise zu beseitigen und zu verstecken.

Nun ging Alles wieder gut. -- Das goldene Zeitalter ver¬
schwand ; das Volk seufzte, die Stirnen furchten sich, die Geister kro¬
chen wie in Nußschalen in ihren Gehirnen zusammen, die Herzen
waren betrübt und wunderten sich über ihren guten König. Dem
Herrn von Heimlicher wurde wohl zu Muthe; er bekam Belobungs-
schreiben von seinen nachbarlichen Collegen, oft begleitet Von Orden,
Brillantringen, und die Schmach, ein liberaler Minister zu sein, war
von seinem Haupte genommen. --

Aber die Laufbahn des Diplomaten ist eine dornenvolle. Oft
bringt ihn die Fliege auf der Nase seines Königs an den Rand


8-"-

Ein goldenes Zeitalter war über das Reich gekommen. Das
Volk jauchzte, die Stirnen entfurchten, die Geister entfalteten sich und
alle Herzen waren glücklich und priesen den König. — Dem Herrn
von Heimlicher wurde bange und übel zu Muthe. Umsonst waren
die Vorwürfe seiner Collegen in den benachbarten Ländern; er konnte
sich nicht helfen und mußte die Schmach, ein liberaler Minister zu sein,
auf sich sitzen lassen. Wie ein Gespenst schlich er umher und forschte
der Quelle des Uebels nach und fand sie nicht. Er kannte ja den
König uno die Leute, mit denen er ihn selbst umgeben hatte; woher
kam ihm diese Einsicht? — O trauervolle Frage, auf die er nicht
die Antwort fand.

Aber was entgeht für die Länge einem geübten Ministerauge?
Er fand die Antwort. — Er war ja immer bei den Unterschriften
zugegen und mußte endlich die Zauberkraft der Lampe bemerke». —
Nun war er gerettet. Die Minister sind in den Zimmern und Vor¬
zimmern des Königs immer mächtiger und heimischer als dieser selbst.
Herr von Heimlicher ließ also einen elektrischen Apparat anlegen, der
ihm Licht verschaffte, so oft er wollte. Er wußte immer sehr gut,
wann er es brauchen würde. Da stellte er sich hinter den Stuhl
des Königs, gab ein Zeichen und im Moment brannte eine gute
Wachskerze in seiner Hand, die er über dem Haupte des Königs hoch
emporhielt, daß er das Erlöschen der Lampe nicht bemerkte und mu¬
thig, im Bewußtsein einer guten That, unterschrieb. — So wurde
der arme König im wahrsten Sinne des Wortes hinter's Licht ge¬
führt. — Denn war die That geschehen, leuchtete die Lampe wieder
mit ihrem gewöhnlichen Lichte, auch wußte der Minister seine Kerze
auf eine geschickte Weise zu beseitigen und zu verstecken.

Nun ging Alles wieder gut. — Das goldene Zeitalter ver¬
schwand ; das Volk seufzte, die Stirnen furchten sich, die Geister kro¬
chen wie in Nußschalen in ihren Gehirnen zusammen, die Herzen
waren betrübt und wunderten sich über ihren guten König. Dem
Herrn von Heimlicher wurde wohl zu Muthe; er bekam Belobungs-
schreiben von seinen nachbarlichen Collegen, oft begleitet Von Orden,
Brillantringen, und die Schmach, ein liberaler Minister zu sein, war
von seinem Haupte genommen. —

Aber die Laufbahn des Diplomaten ist eine dornenvolle. Oft
bringt ihn die Fliege auf der Nase seines Königs an den Rand


8-»-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269478"/>
          <p xml:id="ID_138"> Ein goldenes Zeitalter war über das Reich gekommen. Das<lb/>
Volk jauchzte, die Stirnen entfurchten, die Geister entfalteten sich und<lb/>
alle Herzen waren glücklich und priesen den König. &#x2014; Dem Herrn<lb/>
von Heimlicher wurde bange und übel zu Muthe. Umsonst waren<lb/>
die Vorwürfe seiner Collegen in den benachbarten Ländern; er konnte<lb/>
sich nicht helfen und mußte die Schmach, ein liberaler Minister zu sein,<lb/>
auf sich sitzen lassen. Wie ein Gespenst schlich er umher und forschte<lb/>
der Quelle des Uebels nach und fand sie nicht. Er kannte ja den<lb/>
König uno die Leute, mit denen er ihn selbst umgeben hatte; woher<lb/>
kam ihm diese Einsicht? &#x2014; O trauervolle Frage, auf die er nicht<lb/>
die Antwort fand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_139"> Aber was entgeht für die Länge einem geübten Ministerauge?<lb/>
Er fand die Antwort. &#x2014; Er war ja immer bei den Unterschriften<lb/>
zugegen und mußte endlich die Zauberkraft der Lampe bemerke». &#x2014;<lb/>
Nun war er gerettet. Die Minister sind in den Zimmern und Vor¬<lb/>
zimmern des Königs immer mächtiger und heimischer als dieser selbst.<lb/>
Herr von Heimlicher ließ also einen elektrischen Apparat anlegen, der<lb/>
ihm Licht verschaffte, so oft er wollte. Er wußte immer sehr gut,<lb/>
wann er es brauchen würde. Da stellte er sich hinter den Stuhl<lb/>
des Königs, gab ein Zeichen und im Moment brannte eine gute<lb/>
Wachskerze in seiner Hand, die er über dem Haupte des Königs hoch<lb/>
emporhielt, daß er das Erlöschen der Lampe nicht bemerkte und mu¬<lb/>
thig, im Bewußtsein einer guten That, unterschrieb. &#x2014; So wurde<lb/>
der arme König im wahrsten Sinne des Wortes hinter's Licht ge¬<lb/>
führt. &#x2014; Denn war die That geschehen, leuchtete die Lampe wieder<lb/>
mit ihrem gewöhnlichen Lichte, auch wußte der Minister seine Kerze<lb/>
auf eine geschickte Weise zu beseitigen und zu verstecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_140"> Nun ging Alles wieder gut. &#x2014; Das goldene Zeitalter ver¬<lb/>
schwand ; das Volk seufzte, die Stirnen furchten sich, die Geister kro¬<lb/>
chen wie in Nußschalen in ihren Gehirnen zusammen, die Herzen<lb/>
waren betrübt und wunderten sich über ihren guten König. Dem<lb/>
Herrn von Heimlicher wurde wohl zu Muthe; er bekam Belobungs-<lb/>
schreiben von seinen nachbarlichen Collegen, oft begleitet Von Orden,<lb/>
Brillantringen, und die Schmach, ein liberaler Minister zu sein, war<lb/>
von seinem Haupte genommen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_141" next="#ID_142"> Aber die Laufbahn des Diplomaten ist eine dornenvolle. Oft<lb/>
bringt ihn die Fliege auf der Nase seines Königs an den Rand</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 8-»-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Ein goldenes Zeitalter war über das Reich gekommen. Das Volk jauchzte, die Stirnen entfurchten, die Geister entfalteten sich und alle Herzen waren glücklich und priesen den König. — Dem Herrn von Heimlicher wurde bange und übel zu Muthe. Umsonst waren die Vorwürfe seiner Collegen in den benachbarten Ländern; er konnte sich nicht helfen und mußte die Schmach, ein liberaler Minister zu sein, auf sich sitzen lassen. Wie ein Gespenst schlich er umher und forschte der Quelle des Uebels nach und fand sie nicht. Er kannte ja den König uno die Leute, mit denen er ihn selbst umgeben hatte; woher kam ihm diese Einsicht? — O trauervolle Frage, auf die er nicht die Antwort fand. Aber was entgeht für die Länge einem geübten Ministerauge? Er fand die Antwort. — Er war ja immer bei den Unterschriften zugegen und mußte endlich die Zauberkraft der Lampe bemerke». — Nun war er gerettet. Die Minister sind in den Zimmern und Vor¬ zimmern des Königs immer mächtiger und heimischer als dieser selbst. Herr von Heimlicher ließ also einen elektrischen Apparat anlegen, der ihm Licht verschaffte, so oft er wollte. Er wußte immer sehr gut, wann er es brauchen würde. Da stellte er sich hinter den Stuhl des Königs, gab ein Zeichen und im Moment brannte eine gute Wachskerze in seiner Hand, die er über dem Haupte des Königs hoch emporhielt, daß er das Erlöschen der Lampe nicht bemerkte und mu¬ thig, im Bewußtsein einer guten That, unterschrieb. — So wurde der arme König im wahrsten Sinne des Wortes hinter's Licht ge¬ führt. — Denn war die That geschehen, leuchtete die Lampe wieder mit ihrem gewöhnlichen Lichte, auch wußte der Minister seine Kerze auf eine geschickte Weise zu beseitigen und zu verstecken. Nun ging Alles wieder gut. — Das goldene Zeitalter ver¬ schwand ; das Volk seufzte, die Stirnen furchten sich, die Geister kro¬ chen wie in Nußschalen in ihren Gehirnen zusammen, die Herzen waren betrübt und wunderten sich über ihren guten König. Dem Herrn von Heimlicher wurde wohl zu Muthe; er bekam Belobungs- schreiben von seinen nachbarlichen Collegen, oft begleitet Von Orden, Brillantringen, und die Schmach, ein liberaler Minister zu sein, war von seinem Haupte genommen. — Aber die Laufbahn des Diplomaten ist eine dornenvolle. Oft bringt ihn die Fliege auf der Nase seines Königs an den Rand 8-»-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/61>, abgerufen am 22.07.2024.