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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ist eben so unmöglich, als sie nutzlos wäre; die Nachwirkungen im"
tionaler Berührung sind jedenfalls den unheilvollen Siegen eines
ungerechten Zwangsystems vorzuziehen, bei dem blos die National¬
eitelkeit gewänne, die wirklichen Interessen aber unfehlbar zu kurz kom¬
men würden.

Zuletzt ist es noch die politische Wichtigkeit, welche Ungarn, im
Besitz einer zwar sehr mittelalterlichen, aber historisch festgewurzelten
Verfassung, hart an der russischen Grenze für alle jene haben muß,
die ihr Auge dem ungewissen Norden zukehren, in dem keine Asen,
sondern die Ukasen regieren, was dem deutschen Leser, trotz der man-
nichfachen Stimmen über ungarische Zustände, jeden unbefangenen
Bericht willkommen machen muß. Ungarn war von Alters her der
Zusammenstoß der Völker von Ost und West und wird diese traurige
Bestimmung wahrscheinlich auch in der Folge bewähren; Türken und
Tartaren haben hier ihren Tummelplatz aufgeschlagen. Für die Welt¬
kampfe des Westens mögen Deutschland und Italien die Wahlstatt
bleiben: die orientalische Frage wird in Ungarn entschieden werden,
was auch mehr als Einer schon jetzt im Geiste ahnt. Daß diese Lo¬
sung der orientalischen Frage aber auch das endliche Geschick Ungarns
entscheiden wird, das begreift jeder, den die Stellung dieses Landes
in der eingekeilten Lage zwischen den beiden mächtigen Lagern des
deutschen und slavischen Volksstammes lebhast beschäftigt und welcher
über den Gang der modernen Entwickelung nachgedacht hat. Doch
wie dem auch sei, möge Ungarn einst wie ein zweites Polen fallen
oder seine staatliche Würde verlieren, wie Böhmen, oder endlich un¬
ter einem kräftigen Herrscherthum ein großes Reich werden, das von
den Karpathen bis zum schwarzen Meere reicht, wie ehemals: die
Gegenwart ist es, in welcher sich diese verschleierten Gestaltun¬
gen der Zukunft mehr oder minder offen vorbereiten, und darum
ist es von Interesse, die Bewegungen und Kämpfe dieser Gegenwart
festzuhalten, denn sie sind ohne Zweifel die Vorrede zu dem Geschichts¬
buche der Zukunft. Mögen die kommenden Geschlechter dieses für
uns verschlossene Buch durchblättern, wir müssen desto eifriger die
Vorrede lesen.

Der Landtag hat den Erwartungen des Landes in keiner Weise
entsprochen; denn hat man auch in einigen Dingen sehr erhebliche
Concessionen errungen, so waren es doch durchweg solche, die nur den


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ist eben so unmöglich, als sie nutzlos wäre; die Nachwirkungen im»
tionaler Berührung sind jedenfalls den unheilvollen Siegen eines
ungerechten Zwangsystems vorzuziehen, bei dem blos die National¬
eitelkeit gewänne, die wirklichen Interessen aber unfehlbar zu kurz kom¬
men würden.

Zuletzt ist es noch die politische Wichtigkeit, welche Ungarn, im
Besitz einer zwar sehr mittelalterlichen, aber historisch festgewurzelten
Verfassung, hart an der russischen Grenze für alle jene haben muß,
die ihr Auge dem ungewissen Norden zukehren, in dem keine Asen,
sondern die Ukasen regieren, was dem deutschen Leser, trotz der man-
nichfachen Stimmen über ungarische Zustände, jeden unbefangenen
Bericht willkommen machen muß. Ungarn war von Alters her der
Zusammenstoß der Völker von Ost und West und wird diese traurige
Bestimmung wahrscheinlich auch in der Folge bewähren; Türken und
Tartaren haben hier ihren Tummelplatz aufgeschlagen. Für die Welt¬
kampfe des Westens mögen Deutschland und Italien die Wahlstatt
bleiben: die orientalische Frage wird in Ungarn entschieden werden,
was auch mehr als Einer schon jetzt im Geiste ahnt. Daß diese Lo¬
sung der orientalischen Frage aber auch das endliche Geschick Ungarns
entscheiden wird, das begreift jeder, den die Stellung dieses Landes
in der eingekeilten Lage zwischen den beiden mächtigen Lagern des
deutschen und slavischen Volksstammes lebhast beschäftigt und welcher
über den Gang der modernen Entwickelung nachgedacht hat. Doch
wie dem auch sei, möge Ungarn einst wie ein zweites Polen fallen
oder seine staatliche Würde verlieren, wie Böhmen, oder endlich un¬
ter einem kräftigen Herrscherthum ein großes Reich werden, das von
den Karpathen bis zum schwarzen Meere reicht, wie ehemals: die
Gegenwart ist es, in welcher sich diese verschleierten Gestaltun¬
gen der Zukunft mehr oder minder offen vorbereiten, und darum
ist es von Interesse, die Bewegungen und Kämpfe dieser Gegenwart
festzuhalten, denn sie sind ohne Zweifel die Vorrede zu dem Geschichts¬
buche der Zukunft. Mögen die kommenden Geschlechter dieses für
uns verschlossene Buch durchblättern, wir müssen desto eifriger die
Vorrede lesen.

Der Landtag hat den Erwartungen des Landes in keiner Weise
entsprochen; denn hat man auch in einigen Dingen sehr erhebliche
Concessionen errungen, so waren es doch durchweg solche, die nur den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/599>, abgerufen am 22.07.2024.