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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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worden, der Geist entfloh. Er hatte die Quelle der Maurerei ent¬
deckt, doch nnr vertrocknet fand er sie; er war ihrem Velde nachge¬
gangen, doch versiegt war der Strom. -- Anfänglich war man frei¬
lich etwas betrübt über den Tod; doch bald tröstete man sich, man
setzte sich hin und schrieb--Maurerische Systeme. -- Systeme!
-- Ja der Mörder glaubte seine That gebüßt zu haben, wenn er
seinem Schlachtopfer eine Leichenpredigt hielt. Man spannte das
Gemälde deS gotterfüllten Künstlers in einen langweiligen Nahmen
ein, und einer bemalten, vielfarbigen Natur gleich, blickt uns das
göttliche Bild der Wahrheit lächerlich an und läßt weder die An¬
betung in unserm Herzen noch die Bewunderung in unserm Geiste
aufkommen.

Man hat innerhalb des Tempels der Maurerei Vorhänge auf¬
gehängt, und wieder Einen, und noch Einen. Meine Brüder! kann
denn das Heilige noch heiliger sein? Hat die Wahrheit ihre Stu¬
fen, hat die Seligkeit ihre Grade, und kann die Sonne Heller leuch¬
ten als helle? -- Man will die Unwürdigen abhalten -- o un¬
nöthiges Bemühen! Die Sehkraft erfaßt die Dinge, das Licht bie¬
tet sie nur an; dessen Auge trüb ist, wird auch nur Trübes schatten;
seid unbesorgt, Jedem wird nur so viel Licht zu Theil, als ihm ge¬
bührt. Stürzt die Mauern ein, der Schwache wird doch Nichts er¬
beuten. Oeffnet die Pforte: die Sehnsucht bleibt doch stets das
Maß der Befriedigung. --

Meine Brüder, wenn Lüge gegen Wahrheit, wenn Tugend ge¬
gen Laster streitet, dann bleibt das Herz deS Zuschauers nicht ganz
ohne Trost; denn wo Ungleiches mit Ungleichen kämpfet, da muß
eines unterliegen. Man weiß, wohin man seine Neigung zu wen¬
den, und wenn auch das Verderben den Gerechten trifft, so endet
doch der Schmerz mit der That, die ihn hervorgebracht. Wenn aber
Wahrheit mit Wahrheit, wenn Tugend und Tugend sich feindlich be¬
gegnen, woher soll man alsdann Beruhigung nehmen? Wem soll
man den Sieg, wem den Untergang wünschen? Ist nicht die Freude
des Einen die Trauer des Andern? -- So ist es in der Maurer-
welt. Systeme kämpften gegen Systeme; Logen gegen Logen; Brü¬
der gegen Brüder. Ja wunderbar ist es zu sehen; Alle wollen sie
die Wahrheit suchen, doch Jeder will allein sie finden. Alle wollen
die gefundne Wahrheit mit Allen theilen, doch Jeder will allein sie


worden, der Geist entfloh. Er hatte die Quelle der Maurerei ent¬
deckt, doch nnr vertrocknet fand er sie; er war ihrem Velde nachge¬
gangen, doch versiegt war der Strom. — Anfänglich war man frei¬
lich etwas betrübt über den Tod; doch bald tröstete man sich, man
setzte sich hin und schrieb--Maurerische Systeme. — Systeme!
— Ja der Mörder glaubte seine That gebüßt zu haben, wenn er
seinem Schlachtopfer eine Leichenpredigt hielt. Man spannte das
Gemälde deS gotterfüllten Künstlers in einen langweiligen Nahmen
ein, und einer bemalten, vielfarbigen Natur gleich, blickt uns das
göttliche Bild der Wahrheit lächerlich an und läßt weder die An¬
betung in unserm Herzen noch die Bewunderung in unserm Geiste
aufkommen.

Man hat innerhalb des Tempels der Maurerei Vorhänge auf¬
gehängt, und wieder Einen, und noch Einen. Meine Brüder! kann
denn das Heilige noch heiliger sein? Hat die Wahrheit ihre Stu¬
fen, hat die Seligkeit ihre Grade, und kann die Sonne Heller leuch¬
ten als helle? — Man will die Unwürdigen abhalten — o un¬
nöthiges Bemühen! Die Sehkraft erfaßt die Dinge, das Licht bie¬
tet sie nur an; dessen Auge trüb ist, wird auch nur Trübes schatten;
seid unbesorgt, Jedem wird nur so viel Licht zu Theil, als ihm ge¬
bührt. Stürzt die Mauern ein, der Schwache wird doch Nichts er¬
beuten. Oeffnet die Pforte: die Sehnsucht bleibt doch stets das
Maß der Befriedigung. —

Meine Brüder, wenn Lüge gegen Wahrheit, wenn Tugend ge¬
gen Laster streitet, dann bleibt das Herz deS Zuschauers nicht ganz
ohne Trost; denn wo Ungleiches mit Ungleichen kämpfet, da muß
eines unterliegen. Man weiß, wohin man seine Neigung zu wen¬
den, und wenn auch das Verderben den Gerechten trifft, so endet
doch der Schmerz mit der That, die ihn hervorgebracht. Wenn aber
Wahrheit mit Wahrheit, wenn Tugend und Tugend sich feindlich be¬
gegnen, woher soll man alsdann Beruhigung nehmen? Wem soll
man den Sieg, wem den Untergang wünschen? Ist nicht die Freude
des Einen die Trauer des Andern? — So ist es in der Maurer-
welt. Systeme kämpften gegen Systeme; Logen gegen Logen; Brü¬
der gegen Brüder. Ja wunderbar ist es zu sehen; Alle wollen sie
die Wahrheit suchen, doch Jeder will allein sie finden. Alle wollen
die gefundne Wahrheit mit Allen theilen, doch Jeder will allein sie


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[0596] worden, der Geist entfloh. Er hatte die Quelle der Maurerei ent¬ deckt, doch nnr vertrocknet fand er sie; er war ihrem Velde nachge¬ gangen, doch versiegt war der Strom. — Anfänglich war man frei¬ lich etwas betrübt über den Tod; doch bald tröstete man sich, man setzte sich hin und schrieb--Maurerische Systeme. — Systeme! — Ja der Mörder glaubte seine That gebüßt zu haben, wenn er seinem Schlachtopfer eine Leichenpredigt hielt. Man spannte das Gemälde deS gotterfüllten Künstlers in einen langweiligen Nahmen ein, und einer bemalten, vielfarbigen Natur gleich, blickt uns das göttliche Bild der Wahrheit lächerlich an und läßt weder die An¬ betung in unserm Herzen noch die Bewunderung in unserm Geiste aufkommen. Man hat innerhalb des Tempels der Maurerei Vorhänge auf¬ gehängt, und wieder Einen, und noch Einen. Meine Brüder! kann denn das Heilige noch heiliger sein? Hat die Wahrheit ihre Stu¬ fen, hat die Seligkeit ihre Grade, und kann die Sonne Heller leuch¬ ten als helle? — Man will die Unwürdigen abhalten — o un¬ nöthiges Bemühen! Die Sehkraft erfaßt die Dinge, das Licht bie¬ tet sie nur an; dessen Auge trüb ist, wird auch nur Trübes schatten; seid unbesorgt, Jedem wird nur so viel Licht zu Theil, als ihm ge¬ bührt. Stürzt die Mauern ein, der Schwache wird doch Nichts er¬ beuten. Oeffnet die Pforte: die Sehnsucht bleibt doch stets das Maß der Befriedigung. — Meine Brüder, wenn Lüge gegen Wahrheit, wenn Tugend ge¬ gen Laster streitet, dann bleibt das Herz deS Zuschauers nicht ganz ohne Trost; denn wo Ungleiches mit Ungleichen kämpfet, da muß eines unterliegen. Man weiß, wohin man seine Neigung zu wen¬ den, und wenn auch das Verderben den Gerechten trifft, so endet doch der Schmerz mit der That, die ihn hervorgebracht. Wenn aber Wahrheit mit Wahrheit, wenn Tugend und Tugend sich feindlich be¬ gegnen, woher soll man alsdann Beruhigung nehmen? Wem soll man den Sieg, wem den Untergang wünschen? Ist nicht die Freude des Einen die Trauer des Andern? — So ist es in der Maurer- welt. Systeme kämpften gegen Systeme; Logen gegen Logen; Brü¬ der gegen Brüder. Ja wunderbar ist es zu sehen; Alle wollen sie die Wahrheit suchen, doch Jeder will allein sie finden. Alle wollen die gefundne Wahrheit mit Allen theilen, doch Jeder will allein sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/596>, abgerufen am 22.07.2024.