Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.Borurtheil zwischen Menschen und Menschen aufgerichtet; sie zieht So, meine Brüder, sollte die Maurerei handeln, so sollte sie sein. Borurtheil zwischen Menschen und Menschen aufgerichtet; sie zieht So, meine Brüder, sollte die Maurerei handeln, so sollte sie sein. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0595" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270010"/> <p xml:id="ID_1702" prev="#ID_1701"> Borurtheil zwischen Menschen und Menschen aufgerichtet; sie zieht<lb/> daS golvne Kleid hinweg, das einen seelenlosen Leib bedeckt; sie stellt<lb/> Herz gegen Herz, Geist gegen Geist, Kraft gegen Kraft und gibt<lb/> dem Würdigsten den Preis. Sie lehrt den, Baum nach seinen Früch¬<lb/> ten schätzen; nicht nach dem Boden, der ihn trägt, nicht nach der<lb/> Hand, die ihn gepflanzt. Sie sichert das Glück vor den Pfeilen<lb/> des tückischen Zufalls, sie ergreift das Nuder bei den Stürmen deS<lb/> Lebens und führt das kecke Schiff in den sichern Hafen ein. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1703" next="#ID_1704"> So, meine Brüder, sollte die Maurerei handeln, so sollte sie sein.<lb/> Doch so war sie selten, so ist sie nicht. Nicht der Göttin, dem Prie¬<lb/> ster opfert man. Mail ward es müde, das Kunstwerk anzubeten, man<lb/> wollte den Künstler verehren. Nun trat man keck hin vor die Gött¬<lb/> liche und sprach: Sag uns doch, wo kommst Du her? Wohin gehst<lb/> Du? Wer hat Dich gemacht, und für wen bist Du verfertigt?<lb/> Doch der Himmel verschmäht es, der Erde Rechenschaft zu geben,<lb/> und keine Antwort erfolgte. Jetzt warf der Maurer das Senkblei<lb/> seiner Wißbegierde aus, — grundlos war das Meer. Das wilde<lb/> Herz pochte an die Schranke der Erkenntniß und forderte den Aus¬<lb/> gang; doch die Schranken blieben stehe», und die Pforte öffnete sich<lb/> nicht. Zu den Sternen schaut er hinauf, wo die Wahrheit quillt —<lb/> das Leuchten sah er wohl, doch nicht das Licht. Jetzt wendet er<lb/> rückwärts seinen Blick; die Vergangenheit soll nur die Gegenwart<lb/> lösen; doch die ernste Sphinr im Osten schaut ihn verschlossen an,<lb/> und hinter dem Schleier der Isis lauscht der Tod. Nun irrt der<lb/> betrogne Maurer in der Weite umher und kann die Heimath nicht<lb/> mehr finden. Da ließ eine Stimme sich hören aus dem Innersten<lb/> seines Herzens. Sie sprach zu ihm: Bethörter Mensch, Du hast<lb/> Dein eignes Haus verlassen und suchst Ruhe in der Fremde. Du<lb/> bist der Wahrheit treulos geworden und suchst Heil bei der Lüge,<lb/> Du bist ver Quelle entflohen und suchst Erquickung in der Wüste.<lb/> — Kehre schnell zurück! Mensch, erkenne Dich selbst. — Der Mau¬<lb/> rer hörte wohl die Stimme seines Herzens, doch er gehorchte ihr<lb/> nicht. Der Puls seiner Neugierde war fieberhaft gespannt; er wollte<lb/> der Maurerei Herz und Nieren prüfen. Da ergriff er im Wahnsinn<lb/> daS kritische Messer; er öffnete, er zerlegte sie; er ging ihren Adern<lb/> nach, er sonderte ihre Nerven. Nun ja, jetzt lagen ihre innern Theile<lb/> klar und zergliedert vor seinen Blicken; doch eine Leiche war sie ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0595]
Borurtheil zwischen Menschen und Menschen aufgerichtet; sie zieht
daS golvne Kleid hinweg, das einen seelenlosen Leib bedeckt; sie stellt
Herz gegen Herz, Geist gegen Geist, Kraft gegen Kraft und gibt
dem Würdigsten den Preis. Sie lehrt den, Baum nach seinen Früch¬
ten schätzen; nicht nach dem Boden, der ihn trägt, nicht nach der
Hand, die ihn gepflanzt. Sie sichert das Glück vor den Pfeilen
des tückischen Zufalls, sie ergreift das Nuder bei den Stürmen deS
Lebens und führt das kecke Schiff in den sichern Hafen ein. —
So, meine Brüder, sollte die Maurerei handeln, so sollte sie sein.
Doch so war sie selten, so ist sie nicht. Nicht der Göttin, dem Prie¬
ster opfert man. Mail ward es müde, das Kunstwerk anzubeten, man
wollte den Künstler verehren. Nun trat man keck hin vor die Gött¬
liche und sprach: Sag uns doch, wo kommst Du her? Wohin gehst
Du? Wer hat Dich gemacht, und für wen bist Du verfertigt?
Doch der Himmel verschmäht es, der Erde Rechenschaft zu geben,
und keine Antwort erfolgte. Jetzt warf der Maurer das Senkblei
seiner Wißbegierde aus, — grundlos war das Meer. Das wilde
Herz pochte an die Schranke der Erkenntniß und forderte den Aus¬
gang; doch die Schranken blieben stehe», und die Pforte öffnete sich
nicht. Zu den Sternen schaut er hinauf, wo die Wahrheit quillt —
das Leuchten sah er wohl, doch nicht das Licht. Jetzt wendet er
rückwärts seinen Blick; die Vergangenheit soll nur die Gegenwart
lösen; doch die ernste Sphinr im Osten schaut ihn verschlossen an,
und hinter dem Schleier der Isis lauscht der Tod. Nun irrt der
betrogne Maurer in der Weite umher und kann die Heimath nicht
mehr finden. Da ließ eine Stimme sich hören aus dem Innersten
seines Herzens. Sie sprach zu ihm: Bethörter Mensch, Du hast
Dein eignes Haus verlassen und suchst Ruhe in der Fremde. Du
bist der Wahrheit treulos geworden und suchst Heil bei der Lüge,
Du bist ver Quelle entflohen und suchst Erquickung in der Wüste.
— Kehre schnell zurück! Mensch, erkenne Dich selbst. — Der Mau¬
rer hörte wohl die Stimme seines Herzens, doch er gehorchte ihr
nicht. Der Puls seiner Neugierde war fieberhaft gespannt; er wollte
der Maurerei Herz und Nieren prüfen. Da ergriff er im Wahnsinn
daS kritische Messer; er öffnete, er zerlegte sie; er ging ihren Adern
nach, er sonderte ihre Nerven. Nun ja, jetzt lagen ihre innern Theile
klar und zergliedert vor seinen Blicken; doch eine Leiche war sie ge-
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