Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

zerriß er seine eignen Glieder, -- der Mensch erschlug seinen
Bruder.

So ward Jahrtausende der Kampf fortgeführt; der Besiegte ver¬
lor, doch der Sieger hatte Nichts gewonnen, und nur Leichen be¬
haupteten das Schlachtfeld. Das Gut, um welches man stritt, ward
Keinem zu Theil, der karge Becher der Freude ward im Taumel um¬
geschüttet, und früher als man es selbst verlangte, gab man der scha¬
denfrohen Erde ihre Beute hin. -- Was war die Quelle dieser ewi¬
gen Feindschaft, und was war ihr Ziel? ES war nicht der Preis
des Siegs, um den mau kämpfte, man kämpfte um die Lust des
Kampfes, denn vit kehrten die Völker gesättigt vom Streite zurück,
gestillt war jede Sehnsucht, und jeder Wunsch befriedigt. Todesstille
herrschte über Leichenfelder, und die Morgenröthe des Friedens ging
glänzend auf. Darob erschracken die Bösen Und hielten ihren sünd¬
lichen Nath. -- "Soll unser Reich zu Grunde gehen? Ist Nichts
vorhanden, das die erloschne Kampfbegierde wieder anfache, und hat
der Himmel keine Blitze, um die Welt deö Friedens zu entzünden?"
Sie suchten solche Blitze und fanden sie auch. Das Heiligste, was
die Erde und der Himmel trägt, das schönste Gut, das der Mensch
besaß, stahlen sie frech, warfen eS hin auf den Kampfplatz, und die
Flamme des Kriegs loderte von Neuem auf. ----Was war
jenes Heilige, daS dem Blödsinn zur Folie dienen mußte? Wie hieß
das Göttliche, daS der Mensch zum Wetzstein seiner Bosheit herab¬
würdigte? Wie eS hieß? Keiner frage mich darnach. Ich weiß es
wohl, doch darf ich es nicht sagen. Ich mag in diesem Hause des
Friedens und der Freude das Wort nicht aussprechen, daS wie ein
böser Zauber den Vorhang vor einer blutigen Vergangenheit hinweg-
zieht; ich mag das Wort nicht nennen, daS in wenigen Silben
das Schrecklichste bezeichnet: den Mord, den Mörder und den Ge¬
mordeten zugleich. --

Solches sahen die Guten und die Besten jeder Zeit, wie die
Menschheit in ihren eignen Eingeweiden wühle; sie sahen es und
trauerten. Sie trauerten, doch sie verzweifelten nicht. Denn das
Kraut des Heils sproßte in ihrem Herzen, und die Hoffnung des
Genesens machte sie gesunden. Sie beschlossen die Vertriebne Ver¬
nunft wieder in ihre Rechte einzusetze". Sie sprachen zu dem Volk
der Finsterniß, und Worte deö Friedens und der Versöhnung Strom-


75 -t-

zerriß er seine eignen Glieder, — der Mensch erschlug seinen
Bruder.

So ward Jahrtausende der Kampf fortgeführt; der Besiegte ver¬
lor, doch der Sieger hatte Nichts gewonnen, und nur Leichen be¬
haupteten das Schlachtfeld. Das Gut, um welches man stritt, ward
Keinem zu Theil, der karge Becher der Freude ward im Taumel um¬
geschüttet, und früher als man es selbst verlangte, gab man der scha¬
denfrohen Erde ihre Beute hin. — Was war die Quelle dieser ewi¬
gen Feindschaft, und was war ihr Ziel? ES war nicht der Preis
des Siegs, um den mau kämpfte, man kämpfte um die Lust des
Kampfes, denn vit kehrten die Völker gesättigt vom Streite zurück,
gestillt war jede Sehnsucht, und jeder Wunsch befriedigt. Todesstille
herrschte über Leichenfelder, und die Morgenröthe des Friedens ging
glänzend auf. Darob erschracken die Bösen Und hielten ihren sünd¬
lichen Nath. — „Soll unser Reich zu Grunde gehen? Ist Nichts
vorhanden, das die erloschne Kampfbegierde wieder anfache, und hat
der Himmel keine Blitze, um die Welt deö Friedens zu entzünden?"
Sie suchten solche Blitze und fanden sie auch. Das Heiligste, was
die Erde und der Himmel trägt, das schönste Gut, das der Mensch
besaß, stahlen sie frech, warfen eS hin auf den Kampfplatz, und die
Flamme des Kriegs loderte von Neuem auf. —--Was war
jenes Heilige, daS dem Blödsinn zur Folie dienen mußte? Wie hieß
das Göttliche, daS der Mensch zum Wetzstein seiner Bosheit herab¬
würdigte? Wie eS hieß? Keiner frage mich darnach. Ich weiß es
wohl, doch darf ich es nicht sagen. Ich mag in diesem Hause des
Friedens und der Freude das Wort nicht aussprechen, daS wie ein
böser Zauber den Vorhang vor einer blutigen Vergangenheit hinweg-
zieht; ich mag das Wort nicht nennen, daS in wenigen Silben
das Schrecklichste bezeichnet: den Mord, den Mörder und den Ge¬
mordeten zugleich. —

Solches sahen die Guten und die Besten jeder Zeit, wie die
Menschheit in ihren eignen Eingeweiden wühle; sie sahen es und
trauerten. Sie trauerten, doch sie verzweifelten nicht. Denn das
Kraut des Heils sproßte in ihrem Herzen, und die Hoffnung des
Genesens machte sie gesunden. Sie beschlossen die Vertriebne Ver¬
nunft wieder in ihre Rechte einzusetze». Sie sprachen zu dem Volk
der Finsterniß, und Worte deö Friedens und der Versöhnung Strom-


75 -t-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0593" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270008"/>
          <p xml:id="ID_1696" prev="#ID_1695"> zerriß er seine eignen Glieder, &#x2014; der Mensch erschlug seinen<lb/>
Bruder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1697"> So ward Jahrtausende der Kampf fortgeführt; der Besiegte ver¬<lb/>
lor, doch der Sieger hatte Nichts gewonnen, und nur Leichen be¬<lb/>
haupteten das Schlachtfeld. Das Gut, um welches man stritt, ward<lb/>
Keinem zu Theil, der karge Becher der Freude ward im Taumel um¬<lb/>
geschüttet, und früher als man es selbst verlangte, gab man der scha¬<lb/>
denfrohen Erde ihre Beute hin. &#x2014; Was war die Quelle dieser ewi¬<lb/>
gen Feindschaft, und was war ihr Ziel? ES war nicht der Preis<lb/>
des Siegs, um den mau kämpfte, man kämpfte um die Lust des<lb/>
Kampfes, denn vit kehrten die Völker gesättigt vom Streite zurück,<lb/>
gestillt war jede Sehnsucht, und jeder Wunsch befriedigt. Todesstille<lb/>
herrschte über Leichenfelder, und die Morgenröthe des Friedens ging<lb/>
glänzend auf. Darob erschracken die Bösen Und hielten ihren sünd¬<lb/>
lichen Nath. &#x2014; &#x201E;Soll unser Reich zu Grunde gehen? Ist Nichts<lb/>
vorhanden, das die erloschne Kampfbegierde wieder anfache, und hat<lb/>
der Himmel keine Blitze, um die Welt deö Friedens zu entzünden?"<lb/>
Sie suchten solche Blitze und fanden sie auch. Das Heiligste, was<lb/>
die Erde und der Himmel trägt, das schönste Gut, das der Mensch<lb/>
besaß, stahlen sie frech, warfen eS hin auf den Kampfplatz, und die<lb/>
Flamme des Kriegs loderte von Neuem auf. &#x2014;--Was war<lb/>
jenes Heilige, daS dem Blödsinn zur Folie dienen mußte? Wie hieß<lb/>
das Göttliche, daS der Mensch zum Wetzstein seiner Bosheit herab¬<lb/>
würdigte? Wie eS hieß? Keiner frage mich darnach. Ich weiß es<lb/>
wohl, doch darf ich es nicht sagen. Ich mag in diesem Hause des<lb/>
Friedens und der Freude das Wort nicht aussprechen, daS wie ein<lb/>
böser Zauber den Vorhang vor einer blutigen Vergangenheit hinweg-<lb/>
zieht; ich mag das Wort nicht nennen, daS in wenigen Silben<lb/>
das Schrecklichste bezeichnet: den Mord, den Mörder und den Ge¬<lb/>
mordeten zugleich. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1698" next="#ID_1699"> Solches sahen die Guten und die Besten jeder Zeit, wie die<lb/>
Menschheit in ihren eignen Eingeweiden wühle; sie sahen es und<lb/>
trauerten. Sie trauerten, doch sie verzweifelten nicht. Denn das<lb/>
Kraut des Heils sproßte in ihrem Herzen, und die Hoffnung des<lb/>
Genesens machte sie gesunden. Sie beschlossen die Vertriebne Ver¬<lb/>
nunft wieder in ihre Rechte einzusetze». Sie sprachen zu dem Volk<lb/>
der Finsterniß, und Worte deö Friedens und der Versöhnung Strom-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 75 -t-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0593] zerriß er seine eignen Glieder, — der Mensch erschlug seinen Bruder. So ward Jahrtausende der Kampf fortgeführt; der Besiegte ver¬ lor, doch der Sieger hatte Nichts gewonnen, und nur Leichen be¬ haupteten das Schlachtfeld. Das Gut, um welches man stritt, ward Keinem zu Theil, der karge Becher der Freude ward im Taumel um¬ geschüttet, und früher als man es selbst verlangte, gab man der scha¬ denfrohen Erde ihre Beute hin. — Was war die Quelle dieser ewi¬ gen Feindschaft, und was war ihr Ziel? ES war nicht der Preis des Siegs, um den mau kämpfte, man kämpfte um die Lust des Kampfes, denn vit kehrten die Völker gesättigt vom Streite zurück, gestillt war jede Sehnsucht, und jeder Wunsch befriedigt. Todesstille herrschte über Leichenfelder, und die Morgenröthe des Friedens ging glänzend auf. Darob erschracken die Bösen Und hielten ihren sünd¬ lichen Nath. — „Soll unser Reich zu Grunde gehen? Ist Nichts vorhanden, das die erloschne Kampfbegierde wieder anfache, und hat der Himmel keine Blitze, um die Welt deö Friedens zu entzünden?" Sie suchten solche Blitze und fanden sie auch. Das Heiligste, was die Erde und der Himmel trägt, das schönste Gut, das der Mensch besaß, stahlen sie frech, warfen eS hin auf den Kampfplatz, und die Flamme des Kriegs loderte von Neuem auf. —--Was war jenes Heilige, daS dem Blödsinn zur Folie dienen mußte? Wie hieß das Göttliche, daS der Mensch zum Wetzstein seiner Bosheit herab¬ würdigte? Wie eS hieß? Keiner frage mich darnach. Ich weiß es wohl, doch darf ich es nicht sagen. Ich mag in diesem Hause des Friedens und der Freude das Wort nicht aussprechen, daS wie ein böser Zauber den Vorhang vor einer blutigen Vergangenheit hinweg- zieht; ich mag das Wort nicht nennen, daS in wenigen Silben das Schrecklichste bezeichnet: den Mord, den Mörder und den Ge¬ mordeten zugleich. — Solches sahen die Guten und die Besten jeder Zeit, wie die Menschheit in ihren eignen Eingeweiden wühle; sie sahen es und trauerten. Sie trauerten, doch sie verzweifelten nicht. Denn das Kraut des Heils sproßte in ihrem Herzen, und die Hoffnung des Genesens machte sie gesunden. Sie beschlossen die Vertriebne Ver¬ nunft wieder in ihre Rechte einzusetze». Sie sprachen zu dem Volk der Finsterniß, und Worte deö Friedens und der Versöhnung Strom- 75 -t-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/593
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/593>, abgerufen am 23.07.2024.