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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Heikel ist einer der Regisseure an der hiesigen Bühne und, wie noch
neulich seine Darstellung des Attinghausen im Tell bewies, ein vor¬
trefflicher Schauspieler aus der alten Schule, welche in ihren einzel¬
nen noch lebenden Zöglingen beweist, wie tüchtig sie war und wie
sehr sie der Ungebundenheit und Fahrlässigkeit, welche die Folge eines
zu weit getriebenen naturalistischen Einzelstrebens ist, entgegenarbeitete.
In dem genannten Drama/ welches hier früher zur Aufführung ge¬
kommen ist, bewährt sich der erfahrene und einsichtsvolle Bühnen¬
praktiker. Das Stück ist von der gemüthvollen deutschen Art, mora-
lisirendcr Tendenz und hat einen frappanten Schluß. Namenilich ist
darin, ganz in älterer Weise, das solide Bürgerthum vertreten im
Gegensatz zu der übertünchten hohem Bildung. So Etwas ergreift
durch seine Lebensähnlichkeit noch immer und macht sich selbst neben
der hohem ideal gehaltenen Tragödie geltend; denn es sind Conflicte
darin behandelt, die gerade dem gesunden Menschenverstande am fa߬
lichsten sind und Allen nahe liegen. Endlich hat noch Höllen, Mit¬
glied der hiesigen Bühne und Regisseur, meines Erinnernö Einiges
für die Bühne gearbeitet oder aus dem Französischen übersetzt.

Man will bemerkt haben, daß es in der Gegend von München,
wahrscheinlich wegen der kühlen Nächte, die in den Mai fallen, und
wegen der durch die Gebirgsrabe bewirkten unbeständigen Witterung
wenig oder keine Nachtigallen gibt. Hat diese Erscheinung einen
Zusammenhang mit dem Mangel an lyrischer Sentimentalität? Volk
und Land tragen hier allerdings keinen weichen lyrischen Charakter.
In kleiner Entfernung südwärts von München gestaltet sich die Ge¬
gend immer gebirgiger und gewinnt Schritt für Schritt an Großar¬
tigkeit. Man ist da nicht zu lyrisch dämmernden Gefühlen angeregt.
Dennoch fehlt es hier nicht an gemüthvollen Lyrikern, F. v. Kobell,
Graf Pocal, Friedrich Beck und A. sind bekannt genug. Ich befinde
mich hier wie auf fortdauernden Entdeckungsreisen, und auf einer
derselben entdeckte ich einen lyrischen Dichter, H. I. Fried, einen
Maler, der in zwei starken Bänden lyrische Dichtungen unter dem
Titel "Epheuranken" (Landau, 1840 -- 41 herausgegeben hat. Fried
ist zugleich Maler und hat besonders den Künstlerfesten in Rom die
lyrische Zuthat geliefert. In seiner persönlichen Erscheinung wie in
seinen Gedichten kündet sich ein bescheiden gcmülhvolles Wesen an,
welches durchaus liebenswürdig wirkt. Namentlich befinden sich unter


Heikel ist einer der Regisseure an der hiesigen Bühne und, wie noch
neulich seine Darstellung des Attinghausen im Tell bewies, ein vor¬
trefflicher Schauspieler aus der alten Schule, welche in ihren einzel¬
nen noch lebenden Zöglingen beweist, wie tüchtig sie war und wie
sehr sie der Ungebundenheit und Fahrlässigkeit, welche die Folge eines
zu weit getriebenen naturalistischen Einzelstrebens ist, entgegenarbeitete.
In dem genannten Drama/ welches hier früher zur Aufführung ge¬
kommen ist, bewährt sich der erfahrene und einsichtsvolle Bühnen¬
praktiker. Das Stück ist von der gemüthvollen deutschen Art, mora-
lisirendcr Tendenz und hat einen frappanten Schluß. Namenilich ist
darin, ganz in älterer Weise, das solide Bürgerthum vertreten im
Gegensatz zu der übertünchten hohem Bildung. So Etwas ergreift
durch seine Lebensähnlichkeit noch immer und macht sich selbst neben
der hohem ideal gehaltenen Tragödie geltend; denn es sind Conflicte
darin behandelt, die gerade dem gesunden Menschenverstande am fa߬
lichsten sind und Allen nahe liegen. Endlich hat noch Höllen, Mit¬
glied der hiesigen Bühne und Regisseur, meines Erinnernö Einiges
für die Bühne gearbeitet oder aus dem Französischen übersetzt.

Man will bemerkt haben, daß es in der Gegend von München,
wahrscheinlich wegen der kühlen Nächte, die in den Mai fallen, und
wegen der durch die Gebirgsrabe bewirkten unbeständigen Witterung
wenig oder keine Nachtigallen gibt. Hat diese Erscheinung einen
Zusammenhang mit dem Mangel an lyrischer Sentimentalität? Volk
und Land tragen hier allerdings keinen weichen lyrischen Charakter.
In kleiner Entfernung südwärts von München gestaltet sich die Ge¬
gend immer gebirgiger und gewinnt Schritt für Schritt an Großar¬
tigkeit. Man ist da nicht zu lyrisch dämmernden Gefühlen angeregt.
Dennoch fehlt es hier nicht an gemüthvollen Lyrikern, F. v. Kobell,
Graf Pocal, Friedrich Beck und A. sind bekannt genug. Ich befinde
mich hier wie auf fortdauernden Entdeckungsreisen, und auf einer
derselben entdeckte ich einen lyrischen Dichter, H. I. Fried, einen
Maler, der in zwei starken Bänden lyrische Dichtungen unter dem
Titel „Epheuranken" (Landau, 1840 — 41 herausgegeben hat. Fried
ist zugleich Maler und hat besonders den Künstlerfesten in Rom die
lyrische Zuthat geliefert. In seiner persönlichen Erscheinung wie in
seinen Gedichten kündet sich ein bescheiden gcmülhvolles Wesen an,
welches durchaus liebenswürdig wirkt. Namentlich befinden sich unter


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[0532] Heikel ist einer der Regisseure an der hiesigen Bühne und, wie noch neulich seine Darstellung des Attinghausen im Tell bewies, ein vor¬ trefflicher Schauspieler aus der alten Schule, welche in ihren einzel¬ nen noch lebenden Zöglingen beweist, wie tüchtig sie war und wie sehr sie der Ungebundenheit und Fahrlässigkeit, welche die Folge eines zu weit getriebenen naturalistischen Einzelstrebens ist, entgegenarbeitete. In dem genannten Drama/ welches hier früher zur Aufführung ge¬ kommen ist, bewährt sich der erfahrene und einsichtsvolle Bühnen¬ praktiker. Das Stück ist von der gemüthvollen deutschen Art, mora- lisirendcr Tendenz und hat einen frappanten Schluß. Namenilich ist darin, ganz in älterer Weise, das solide Bürgerthum vertreten im Gegensatz zu der übertünchten hohem Bildung. So Etwas ergreift durch seine Lebensähnlichkeit noch immer und macht sich selbst neben der hohem ideal gehaltenen Tragödie geltend; denn es sind Conflicte darin behandelt, die gerade dem gesunden Menschenverstande am fa߬ lichsten sind und Allen nahe liegen. Endlich hat noch Höllen, Mit¬ glied der hiesigen Bühne und Regisseur, meines Erinnernö Einiges für die Bühne gearbeitet oder aus dem Französischen übersetzt. Man will bemerkt haben, daß es in der Gegend von München, wahrscheinlich wegen der kühlen Nächte, die in den Mai fallen, und wegen der durch die Gebirgsrabe bewirkten unbeständigen Witterung wenig oder keine Nachtigallen gibt. Hat diese Erscheinung einen Zusammenhang mit dem Mangel an lyrischer Sentimentalität? Volk und Land tragen hier allerdings keinen weichen lyrischen Charakter. In kleiner Entfernung südwärts von München gestaltet sich die Ge¬ gend immer gebirgiger und gewinnt Schritt für Schritt an Großar¬ tigkeit. Man ist da nicht zu lyrisch dämmernden Gefühlen angeregt. Dennoch fehlt es hier nicht an gemüthvollen Lyrikern, F. v. Kobell, Graf Pocal, Friedrich Beck und A. sind bekannt genug. Ich befinde mich hier wie auf fortdauernden Entdeckungsreisen, und auf einer derselben entdeckte ich einen lyrischen Dichter, H. I. Fried, einen Maler, der in zwei starken Bänden lyrische Dichtungen unter dem Titel „Epheuranken" (Landau, 1840 — 41 herausgegeben hat. Fried ist zugleich Maler und hat besonders den Künstlerfesten in Rom die lyrische Zuthat geliefert. In seiner persönlichen Erscheinung wie in seinen Gedichten kündet sich ein bescheiden gcmülhvolles Wesen an, welches durchaus liebenswürdig wirkt. Namentlich befinden sich unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/532>, abgerufen am 22.07.2024.