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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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spearesches Studium"); die Verse sind fließend und gewandt; an
Talent fehlt es dem Verf. nicht, aber wohl an Ausbildung, weisem
Maß und dramatischer Präcision. Merkwürdig sind die Vorreden,
mit denen der Vers, seine Stücke einleitet. Im Vorworte zur Braut
von Toledo sagt er mit großer Gemüthsruhe: "In Betreff der dra¬
matischen Oekonomie bemerke ich, daß ich nicht sparsam mit Worten
und Handlungen gewesen bin. Sollte das Stück irgendwo zur Auf¬
führung kommen, so wird es wahrscheinlich eine scharfe Scheere be¬
stehen müssen." Für diejenigen, welche sich in der ersten Scene lang¬
weilen sollten, habe er, fährt er fort, auf eine andere Art für Unter¬
haltung gesorgt; er lasse nämlich die Sonne mir aller Pracht in einer
herrlichen spanischen Landschaft untergehen, und er bäte alle Theater-
dekorationömaler aufs höflichste, diese Scene "recht natürlich" zu ma¬
chen. Auch habe er, zur Zufrieoenstellung des Publicums, spanische
Tänze, Serenaden u. f. w. eingelegt. Man muß gestehen, daß diese
ironische Art, seine Stücke bei den Direktionen einzuführen, etwas
Originelles hat.

Als eine Kuriosität und zugleich als Beweis, wie vorherrschend
hier die Neigung für das Drama ist, führe ich ein im Druck er¬
schienenes Festspiel zur Vermählungsfeier des Prinzen Luitpold an, wel¬
ches den Titel "die Ankunft" trägt. Man erzählt mir, daß der Vers, früher
Modellstecher war und jetzt Stücke für die Volksbühne in der Vor¬
stadt An schreibt. Die Erfindung in diesem Festspiel ist freilich äu¬
ßerst dürftig, die Rhythmik dagegen für einen Naturdichter auffallend
gewandt und gebildet. Ueberhaupt steht die hiesige dramatische Poesie
der unwillkürlichen Naturdichtung sehr nahe, wie auch Knorr's
"Jacobäa" beweist, worin der natürliche Instinkt des Verfassers manche
wirksame und treffliche Scene hervorbrachte, während das Stück als
Komposition Mangel an kritischer und ästhetischer Durchbildung ver¬
räth und die Naivetät nicht selten in das Kindliche ausartet.

Besondere Aufmerksamkeit verdient unter den dramatischen Dich¬
tern Münchens der hiesige Stabsrath Weichselbaumer, der Verfasser
der "süddeutschen Tutti fruttiseit vielen Decennien im dramatischen



*) Der Verf. verfährt aber äußerst grausam, indem er allein am Schlüsse
des Stücks sechs Menschen hinter einander abschlachtet. Das ist zu viel Blut¬
verlust für eine moderne Tragödie.

spearesches Studium»); die Verse sind fließend und gewandt; an
Talent fehlt es dem Verf. nicht, aber wohl an Ausbildung, weisem
Maß und dramatischer Präcision. Merkwürdig sind die Vorreden,
mit denen der Vers, seine Stücke einleitet. Im Vorworte zur Braut
von Toledo sagt er mit großer Gemüthsruhe: „In Betreff der dra¬
matischen Oekonomie bemerke ich, daß ich nicht sparsam mit Worten
und Handlungen gewesen bin. Sollte das Stück irgendwo zur Auf¬
führung kommen, so wird es wahrscheinlich eine scharfe Scheere be¬
stehen müssen." Für diejenigen, welche sich in der ersten Scene lang¬
weilen sollten, habe er, fährt er fort, auf eine andere Art für Unter¬
haltung gesorgt; er lasse nämlich die Sonne mir aller Pracht in einer
herrlichen spanischen Landschaft untergehen, und er bäte alle Theater-
dekorationömaler aufs höflichste, diese Scene „recht natürlich" zu ma¬
chen. Auch habe er, zur Zufrieoenstellung des Publicums, spanische
Tänze, Serenaden u. f. w. eingelegt. Man muß gestehen, daß diese
ironische Art, seine Stücke bei den Direktionen einzuführen, etwas
Originelles hat.

Als eine Kuriosität und zugleich als Beweis, wie vorherrschend
hier die Neigung für das Drama ist, führe ich ein im Druck er¬
schienenes Festspiel zur Vermählungsfeier des Prinzen Luitpold an, wel¬
ches den Titel „die Ankunft" trägt. Man erzählt mir, daß der Vers, früher
Modellstecher war und jetzt Stücke für die Volksbühne in der Vor¬
stadt An schreibt. Die Erfindung in diesem Festspiel ist freilich äu¬
ßerst dürftig, die Rhythmik dagegen für einen Naturdichter auffallend
gewandt und gebildet. Ueberhaupt steht die hiesige dramatische Poesie
der unwillkürlichen Naturdichtung sehr nahe, wie auch Knorr's
„Jacobäa" beweist, worin der natürliche Instinkt des Verfassers manche
wirksame und treffliche Scene hervorbrachte, während das Stück als
Komposition Mangel an kritischer und ästhetischer Durchbildung ver¬
räth und die Naivetät nicht selten in das Kindliche ausartet.

Besondere Aufmerksamkeit verdient unter den dramatischen Dich¬
tern Münchens der hiesige Stabsrath Weichselbaumer, der Verfasser
der „süddeutschen Tutti fruttiseit vielen Decennien im dramatischen



*) Der Verf. verfährt aber äußerst grausam, indem er allein am Schlüsse
des Stücks sechs Menschen hinter einander abschlachtet. Das ist zu viel Blut¬
verlust für eine moderne Tragödie.
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[0530] spearesches Studium»); die Verse sind fließend und gewandt; an Talent fehlt es dem Verf. nicht, aber wohl an Ausbildung, weisem Maß und dramatischer Präcision. Merkwürdig sind die Vorreden, mit denen der Vers, seine Stücke einleitet. Im Vorworte zur Braut von Toledo sagt er mit großer Gemüthsruhe: „In Betreff der dra¬ matischen Oekonomie bemerke ich, daß ich nicht sparsam mit Worten und Handlungen gewesen bin. Sollte das Stück irgendwo zur Auf¬ führung kommen, so wird es wahrscheinlich eine scharfe Scheere be¬ stehen müssen." Für diejenigen, welche sich in der ersten Scene lang¬ weilen sollten, habe er, fährt er fort, auf eine andere Art für Unter¬ haltung gesorgt; er lasse nämlich die Sonne mir aller Pracht in einer herrlichen spanischen Landschaft untergehen, und er bäte alle Theater- dekorationömaler aufs höflichste, diese Scene „recht natürlich" zu ma¬ chen. Auch habe er, zur Zufrieoenstellung des Publicums, spanische Tänze, Serenaden u. f. w. eingelegt. Man muß gestehen, daß diese ironische Art, seine Stücke bei den Direktionen einzuführen, etwas Originelles hat. Als eine Kuriosität und zugleich als Beweis, wie vorherrschend hier die Neigung für das Drama ist, führe ich ein im Druck er¬ schienenes Festspiel zur Vermählungsfeier des Prinzen Luitpold an, wel¬ ches den Titel „die Ankunft" trägt. Man erzählt mir, daß der Vers, früher Modellstecher war und jetzt Stücke für die Volksbühne in der Vor¬ stadt An schreibt. Die Erfindung in diesem Festspiel ist freilich äu¬ ßerst dürftig, die Rhythmik dagegen für einen Naturdichter auffallend gewandt und gebildet. Ueberhaupt steht die hiesige dramatische Poesie der unwillkürlichen Naturdichtung sehr nahe, wie auch Knorr's „Jacobäa" beweist, worin der natürliche Instinkt des Verfassers manche wirksame und treffliche Scene hervorbrachte, während das Stück als Komposition Mangel an kritischer und ästhetischer Durchbildung ver¬ räth und die Naivetät nicht selten in das Kindliche ausartet. Besondere Aufmerksamkeit verdient unter den dramatischen Dich¬ tern Münchens der hiesige Stabsrath Weichselbaumer, der Verfasser der „süddeutschen Tutti fruttiseit vielen Decennien im dramatischen *) Der Verf. verfährt aber äußerst grausam, indem er allein am Schlüsse des Stücks sechs Menschen hinter einander abschlachtet. Das ist zu viel Blut¬ verlust für eine moderne Tragödie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/530>, abgerufen am 22.07.2024.