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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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früher. Man will hier im Allgemeinen lieber eine vollkommene kri¬
tische Windstille, als ein frisches WindcSmehen der Kritik, wobei die
poetische Schifffahrt im Ganzen und Großen belebt und gefordert
wird, wenn auch hier und da ein Fahrzeug, unfähig dem Sturme
Widerstand zu leisten, zu Grunde geht. Aus der hiesigen Localkritik
wird man nicht recht gescheidt, da sie, wie z. B. über Ringier's Lust¬
spiel, die widersprechendsten Urtheile zu Tage förderte. Als Posse
genommen ist übrigens Ringier's Stück belustigend genug. Schon
Weichselbaumer klagte in den eingegangenen "Deutschen (Thee-)
Blättern", daß das Münchner Publicum zwar warm und lebhaft
fühle, aber so klein sei, daß es der Autor fast mit seinen Freierem¬
plaren speisen könne! Und er fährt fort: "In Norddeutschland hilft
selbst die Stimme des Gegners zur Celebrität des Schriftstellers, hier
hilft das Lob weit weniger als dort der bitterste Tadel." Hochge¬
bildete literarische Männer wie Weichselbaumer würden sogar die
schärfste Kritik diesem kirchhofähnlichen Schweigen oder einem
hingeworfenen oberflächlichen Lobe vorziehn. Freilich stehen nicht
Alle mit dem genannten Dichter auf gleicher Höhe des literarischen
Bewußtseins. Das hiesige Theaterpublicum dagegen zeigt sich gegen
seine Dichter keineswegs undankbar, und sowohl Knorr als Ringier
wurden, ich weiß nicht wie oft, herausgerufen, ebenso Feldmann bei
der ersten Darstellung seiner "schönen Athenienserin", die, nachdem
sie die Runde über alle deutschen Bühnen vollbracht, endlich hier an
der Stätte ihrer Geburt zur Aufführung gelangt ist. Die Reklama¬
tionen, die man vielleicht von Athen aus besorgte, scheinen auch wirk¬
lich ausgeblieben zu sein.

Trautmann, der früher eine dramatische Phantasie "Proteus"
herausgegeben hat, ließ zwei Lustspiele "Prinz Heinrichs Brautfahrt
oder Jurist und Schauspieler" und "die Kometen" drucken, welche zuerst
auf der deutschen Bühne in Se. Petersburg zur Aufführung kommen
werden. Sein Trauerspiel "Jugurtha" ist, wie ich höre, von hiesiger
Bühne angenommen. Eine seltsame Erscheinung ist Robert Leake,
früher Architekt, der, ohne auf die Bühne zu gelangen, unermüdlich
ist, Stücke als Manuscript drucken zu lassen. Drei derselben liegen
mir vor, das Trauerspiel "Cadmor" und die Lustspiele "die neue
Penelope" und "die Braut von Toledo." Cadmor verräth schak-


früher. Man will hier im Allgemeinen lieber eine vollkommene kri¬
tische Windstille, als ein frisches WindcSmehen der Kritik, wobei die
poetische Schifffahrt im Ganzen und Großen belebt und gefordert
wird, wenn auch hier und da ein Fahrzeug, unfähig dem Sturme
Widerstand zu leisten, zu Grunde geht. Aus der hiesigen Localkritik
wird man nicht recht gescheidt, da sie, wie z. B. über Ringier's Lust¬
spiel, die widersprechendsten Urtheile zu Tage förderte. Als Posse
genommen ist übrigens Ringier's Stück belustigend genug. Schon
Weichselbaumer klagte in den eingegangenen „Deutschen (Thee-)
Blättern", daß das Münchner Publicum zwar warm und lebhaft
fühle, aber so klein sei, daß es der Autor fast mit seinen Freierem¬
plaren speisen könne! Und er fährt fort: „In Norddeutschland hilft
selbst die Stimme des Gegners zur Celebrität des Schriftstellers, hier
hilft das Lob weit weniger als dort der bitterste Tadel." Hochge¬
bildete literarische Männer wie Weichselbaumer würden sogar die
schärfste Kritik diesem kirchhofähnlichen Schweigen oder einem
hingeworfenen oberflächlichen Lobe vorziehn. Freilich stehen nicht
Alle mit dem genannten Dichter auf gleicher Höhe des literarischen
Bewußtseins. Das hiesige Theaterpublicum dagegen zeigt sich gegen
seine Dichter keineswegs undankbar, und sowohl Knorr als Ringier
wurden, ich weiß nicht wie oft, herausgerufen, ebenso Feldmann bei
der ersten Darstellung seiner „schönen Athenienserin", die, nachdem
sie die Runde über alle deutschen Bühnen vollbracht, endlich hier an
der Stätte ihrer Geburt zur Aufführung gelangt ist. Die Reklama¬
tionen, die man vielleicht von Athen aus besorgte, scheinen auch wirk¬
lich ausgeblieben zu sein.

Trautmann, der früher eine dramatische Phantasie „Proteus"
herausgegeben hat, ließ zwei Lustspiele „Prinz Heinrichs Brautfahrt
oder Jurist und Schauspieler" und „die Kometen" drucken, welche zuerst
auf der deutschen Bühne in Se. Petersburg zur Aufführung kommen
werden. Sein Trauerspiel „Jugurtha" ist, wie ich höre, von hiesiger
Bühne angenommen. Eine seltsame Erscheinung ist Robert Leake,
früher Architekt, der, ohne auf die Bühne zu gelangen, unermüdlich
ist, Stücke als Manuscript drucken zu lassen. Drei derselben liegen
mir vor, das Trauerspiel „Cadmor" und die Lustspiele „die neue
Penelope" und „die Braut von Toledo." Cadmor verräth schak-


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[0529] früher. Man will hier im Allgemeinen lieber eine vollkommene kri¬ tische Windstille, als ein frisches WindcSmehen der Kritik, wobei die poetische Schifffahrt im Ganzen und Großen belebt und gefordert wird, wenn auch hier und da ein Fahrzeug, unfähig dem Sturme Widerstand zu leisten, zu Grunde geht. Aus der hiesigen Localkritik wird man nicht recht gescheidt, da sie, wie z. B. über Ringier's Lust¬ spiel, die widersprechendsten Urtheile zu Tage förderte. Als Posse genommen ist übrigens Ringier's Stück belustigend genug. Schon Weichselbaumer klagte in den eingegangenen „Deutschen (Thee-) Blättern", daß das Münchner Publicum zwar warm und lebhaft fühle, aber so klein sei, daß es der Autor fast mit seinen Freierem¬ plaren speisen könne! Und er fährt fort: „In Norddeutschland hilft selbst die Stimme des Gegners zur Celebrität des Schriftstellers, hier hilft das Lob weit weniger als dort der bitterste Tadel." Hochge¬ bildete literarische Männer wie Weichselbaumer würden sogar die schärfste Kritik diesem kirchhofähnlichen Schweigen oder einem hingeworfenen oberflächlichen Lobe vorziehn. Freilich stehen nicht Alle mit dem genannten Dichter auf gleicher Höhe des literarischen Bewußtseins. Das hiesige Theaterpublicum dagegen zeigt sich gegen seine Dichter keineswegs undankbar, und sowohl Knorr als Ringier wurden, ich weiß nicht wie oft, herausgerufen, ebenso Feldmann bei der ersten Darstellung seiner „schönen Athenienserin", die, nachdem sie die Runde über alle deutschen Bühnen vollbracht, endlich hier an der Stätte ihrer Geburt zur Aufführung gelangt ist. Die Reklama¬ tionen, die man vielleicht von Athen aus besorgte, scheinen auch wirk¬ lich ausgeblieben zu sein. Trautmann, der früher eine dramatische Phantasie „Proteus" herausgegeben hat, ließ zwei Lustspiele „Prinz Heinrichs Brautfahrt oder Jurist und Schauspieler" und „die Kometen" drucken, welche zuerst auf der deutschen Bühne in Se. Petersburg zur Aufführung kommen werden. Sein Trauerspiel „Jugurtha" ist, wie ich höre, von hiesiger Bühne angenommen. Eine seltsame Erscheinung ist Robert Leake, früher Architekt, der, ohne auf die Bühne zu gelangen, unermüdlich ist, Stücke als Manuscript drucken zu lassen. Drei derselben liegen mir vor, das Trauerspiel „Cadmor" und die Lustspiele „die neue Penelope" und „die Braut von Toledo." Cadmor verräth schak-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/529>, abgerufen am 23.07.2024.