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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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einmal ihr Programm gelesen, weiß Alles und braucht nie wieder eine
Nummer davon in die Hand zu nehmen. Aber das zischelt und spe-
culirt auf die Leidenschaften des Tages, wie aufTaunusactien, bis zu¬
letzt ein Börsengesetz dazwischen fahrt und die Schwindler an ihrer
empfindlichsten Seite, dem Geldbeutel trifft, dann erklärt man die ge¬
fallenen Papiere schnell in Verruf und wird wieder ein solider Kauf¬
mann, der nur das allgemeine Wohl im Auge hat. So machte es
die Frankfurter Oberpostamtszeitung mit dem Ewigen Juden von
Sue, den sie sich anfangs blattweise mit Estaffette aus Paris bringen
ließ und wegen dessen sie mit zehn Redactionen und Buchhändlern
im Kampfe war, doch kaum merkte sie, daß selbst der verstümmelt"
Jesuitenroman in Oesterreich keine Gnade fand, als sie bereit war,
die Sache fallen zu lassen, wobei sie noch die Unverschämtheit befaß,
Stimmen, welche dieses gleißnerische Verfahren ankündigten, öffentlich
als Verleumder zu erklären.

Die hiesige literarische Welt hat wieder einen ihrer ohnehin so
spärlichen Sammelpunkte verloren, der noch überdies durch einen ge¬
waltigen Namen Ehrfurcht einzuflößen im Stande war. Die Baronin
Ottilie von Göthe hat uns verlassen und sich nach Berlin gewendet.
Es ist natürlich, daß die Mutter einen Ort flicht, in dem sie ihre
theuersten Erinnerungen begraben hat; der frühzeitige Tod ihrer Toch¬
ter Alma, die im vorigen Herbst in dem Alter von 17 Jahren starb,
lastete schwer auf ihrem Herzen. Alma war ein interessantes Wesen,
in dem Kindlichkeit und reifende Geistesanlagen auf die merkwürdigste
Weise um die Oberhand kämpften und es erhöhte nur den Reiz ihrer
Persönlichkeit, daß sie eine auffallende Aehnlichkeit in ihren Augen mit
ihrem unsterblichen Großvater besaß.

Haben wir durch den Abgang der Frau von Göthe einen offen¬
baren Verlust erlitten, so fehlt es dafür nicht an anderen Gästen, die
uns wieder schadlos halten sollen. Dahin zählen wir denn den Für¬
sten Castciota Skanderbcg, russischen Unterthan, der ein leiblicher
Nachkomme des berühmten Herzogs von Albanien sein soll, welcher im
Jahre 1.467 gestorben. Was den Fürsten Skanderbeg Hieher führte,
ist keineswegs das im hiesigen Zeughause aufbewahrte Schlachtschwert
seines Ahnherrn, sondern die Liebe zur holden Tonkunst. Ja, dieser
Nachkömmling des heldenkühnen Herzogs der Albanesen ist ein mo¬
derner Troubadour geworden, ein leidenschaftlicher Jünger der Tonmuse.
Darin liegt wohl der sprechendste Beweis von der Umkehr der Zeiten.
Der Fürst trug unlängst in einem hiesigen Salon Lieder von eigener
Composition vor und erregte damit allgemeine Bewunderung; es war
das eine in französischer, das andere in russischer Sprache, und jedes
von ihnen hatte einen vollendet charakteristischen Ausdruck, wie ihn
nur ein tiefes Erfassen der Volkstümlichkeiten und eine große musi¬
kalische Gewandtheit hervorbringen können. Sollten diese beiden Lieder


einmal ihr Programm gelesen, weiß Alles und braucht nie wieder eine
Nummer davon in die Hand zu nehmen. Aber das zischelt und spe-
culirt auf die Leidenschaften des Tages, wie aufTaunusactien, bis zu¬
letzt ein Börsengesetz dazwischen fahrt und die Schwindler an ihrer
empfindlichsten Seite, dem Geldbeutel trifft, dann erklärt man die ge¬
fallenen Papiere schnell in Verruf und wird wieder ein solider Kauf¬
mann, der nur das allgemeine Wohl im Auge hat. So machte es
die Frankfurter Oberpostamtszeitung mit dem Ewigen Juden von
Sue, den sie sich anfangs blattweise mit Estaffette aus Paris bringen
ließ und wegen dessen sie mit zehn Redactionen und Buchhändlern
im Kampfe war, doch kaum merkte sie, daß selbst der verstümmelt«
Jesuitenroman in Oesterreich keine Gnade fand, als sie bereit war,
die Sache fallen zu lassen, wobei sie noch die Unverschämtheit befaß,
Stimmen, welche dieses gleißnerische Verfahren ankündigten, öffentlich
als Verleumder zu erklären.

Die hiesige literarische Welt hat wieder einen ihrer ohnehin so
spärlichen Sammelpunkte verloren, der noch überdies durch einen ge¬
waltigen Namen Ehrfurcht einzuflößen im Stande war. Die Baronin
Ottilie von Göthe hat uns verlassen und sich nach Berlin gewendet.
Es ist natürlich, daß die Mutter einen Ort flicht, in dem sie ihre
theuersten Erinnerungen begraben hat; der frühzeitige Tod ihrer Toch¬
ter Alma, die im vorigen Herbst in dem Alter von 17 Jahren starb,
lastete schwer auf ihrem Herzen. Alma war ein interessantes Wesen,
in dem Kindlichkeit und reifende Geistesanlagen auf die merkwürdigste
Weise um die Oberhand kämpften und es erhöhte nur den Reiz ihrer
Persönlichkeit, daß sie eine auffallende Aehnlichkeit in ihren Augen mit
ihrem unsterblichen Großvater besaß.

Haben wir durch den Abgang der Frau von Göthe einen offen¬
baren Verlust erlitten, so fehlt es dafür nicht an anderen Gästen, die
uns wieder schadlos halten sollen. Dahin zählen wir denn den Für¬
sten Castciota Skanderbcg, russischen Unterthan, der ein leiblicher
Nachkomme des berühmten Herzogs von Albanien sein soll, welcher im
Jahre 1.467 gestorben. Was den Fürsten Skanderbeg Hieher führte,
ist keineswegs das im hiesigen Zeughause aufbewahrte Schlachtschwert
seines Ahnherrn, sondern die Liebe zur holden Tonkunst. Ja, dieser
Nachkömmling des heldenkühnen Herzogs der Albanesen ist ein mo¬
derner Troubadour geworden, ein leidenschaftlicher Jünger der Tonmuse.
Darin liegt wohl der sprechendste Beweis von der Umkehr der Zeiten.
Der Fürst trug unlängst in einem hiesigen Salon Lieder von eigener
Composition vor und erregte damit allgemeine Bewunderung; es war
das eine in französischer, das andere in russischer Sprache, und jedes
von ihnen hatte einen vollendet charakteristischen Ausdruck, wie ihn
nur ein tiefes Erfassen der Volkstümlichkeiten und eine große musi¬
kalische Gewandtheit hervorbringen können. Sollten diese beiden Lieder


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[0492] einmal ihr Programm gelesen, weiß Alles und braucht nie wieder eine Nummer davon in die Hand zu nehmen. Aber das zischelt und spe- culirt auf die Leidenschaften des Tages, wie aufTaunusactien, bis zu¬ letzt ein Börsengesetz dazwischen fahrt und die Schwindler an ihrer empfindlichsten Seite, dem Geldbeutel trifft, dann erklärt man die ge¬ fallenen Papiere schnell in Verruf und wird wieder ein solider Kauf¬ mann, der nur das allgemeine Wohl im Auge hat. So machte es die Frankfurter Oberpostamtszeitung mit dem Ewigen Juden von Sue, den sie sich anfangs blattweise mit Estaffette aus Paris bringen ließ und wegen dessen sie mit zehn Redactionen und Buchhändlern im Kampfe war, doch kaum merkte sie, daß selbst der verstümmelt« Jesuitenroman in Oesterreich keine Gnade fand, als sie bereit war, die Sache fallen zu lassen, wobei sie noch die Unverschämtheit befaß, Stimmen, welche dieses gleißnerische Verfahren ankündigten, öffentlich als Verleumder zu erklären. Die hiesige literarische Welt hat wieder einen ihrer ohnehin so spärlichen Sammelpunkte verloren, der noch überdies durch einen ge¬ waltigen Namen Ehrfurcht einzuflößen im Stande war. Die Baronin Ottilie von Göthe hat uns verlassen und sich nach Berlin gewendet. Es ist natürlich, daß die Mutter einen Ort flicht, in dem sie ihre theuersten Erinnerungen begraben hat; der frühzeitige Tod ihrer Toch¬ ter Alma, die im vorigen Herbst in dem Alter von 17 Jahren starb, lastete schwer auf ihrem Herzen. Alma war ein interessantes Wesen, in dem Kindlichkeit und reifende Geistesanlagen auf die merkwürdigste Weise um die Oberhand kämpften und es erhöhte nur den Reiz ihrer Persönlichkeit, daß sie eine auffallende Aehnlichkeit in ihren Augen mit ihrem unsterblichen Großvater besaß. Haben wir durch den Abgang der Frau von Göthe einen offen¬ baren Verlust erlitten, so fehlt es dafür nicht an anderen Gästen, die uns wieder schadlos halten sollen. Dahin zählen wir denn den Für¬ sten Castciota Skanderbcg, russischen Unterthan, der ein leiblicher Nachkomme des berühmten Herzogs von Albanien sein soll, welcher im Jahre 1.467 gestorben. Was den Fürsten Skanderbeg Hieher führte, ist keineswegs das im hiesigen Zeughause aufbewahrte Schlachtschwert seines Ahnherrn, sondern die Liebe zur holden Tonkunst. Ja, dieser Nachkömmling des heldenkühnen Herzogs der Albanesen ist ein mo¬ derner Troubadour geworden, ein leidenschaftlicher Jünger der Tonmuse. Darin liegt wohl der sprechendste Beweis von der Umkehr der Zeiten. Der Fürst trug unlängst in einem hiesigen Salon Lieder von eigener Composition vor und erregte damit allgemeine Bewunderung; es war das eine in französischer, das andere in russischer Sprache, und jedes von ihnen hatte einen vollendet charakteristischen Ausdruck, wie ihn nur ein tiefes Erfassen der Volkstümlichkeiten und eine große musi¬ kalische Gewandtheit hervorbringen können. Sollten diese beiden Lieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/492>, abgerufen am 22.07.2024.