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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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diese wichtigen Erdsterne der Schiffe zwischen Oesel und Dvmesnäs.
^- Dies Alles zeigte uns der freundliche alte Mann und sprach
uns redselig von seinem Leben. Ich möchte wohl einmal wieder
die Welt sehen, sagte er dann --- und auch fröhliche Menschen.
Denn unter den seltenen Gästen meines Hauses sind immer zehn
Verunglückte, eh 'mal ein Froher kommt. Früher konnte ich wohl
mitunter hinüberfahren nach Schloß Dondangen; da waren meine
Sohne noch im Haus und konnten den Dienst inzwischen versehen.
Aber seitdem sind sie unter die Menschen gegangen und ich bin nun
mit der Frau allein und darf den Posten nicht verlassen, 's ist kein
leichter Posten, meine Herren! Die sechzig Jahre und die Gicht, die
ich seit dem Vorfall in den Gliedern habe, machen ihn noch
schwerer.

-- Was ist das für ein Vorfall?

-- Nun das erzähl' ich Ihnen heute Abend. Jetzt eilen Sie
hinaus nach der Bake. Die Sonne will bald untergehen -- und
mit dem Abend kommt Nebel, fügte er nach einer kleinen Pause
bei, indem die alten Augen sich fest auf die dem Horizonte nahe
Sonnenscheibe richteten.

Wir stiegen eilig herab und riefen nach den Pferden. -- Lassen
Sie die im Stall; Sie kommen noch schneller zu Fuß dorthin;
der Sand ist zu tief für die Pferde, rief der Alte.

Und er hatte Recht. Jeder Schritt vorwärts war eine Erobe¬
rung, denn bis an die Kniee fast sank man bei jedem in den Weißen
staubfeinen Sand. Dazu pfiff hier oben ein so eisiger Wind durch
den sparsamen Föhrenwald, daß wir uns tief in die Wintermäntel
wickeln mußten und dennoch Hände und Gesicht vor Kälte starrten.
Trotzdem lachte über uns der heiterste Himmel und die Sonne des
23. Juni stand an diesem Himmel. Endlich endete mit ein Paar
einzelnen verkrüppelten Wachholdersträuchen der Wald, etwa hundert
Schritte vor uns begann die See und rechts und links war sie nicht
fünfzig Fuß weit entfernt. Wie eine Fortsetzung der Meereswellen
lag nun der Sand und nur Sand auf diesem letzten Ende Kurlands
in ewig vom Winde wogenden, Fuß hohen Hügelmengen ringsum
ausgebreitet. Und inmitten dieser Sandfluthen standen drei Gebäude:
zwei Leuchtthürme und ein russisches Wachhaus. Die Schildwache
rief uns erblickend in's Gewehr; unsere Bärte ließ sie Offiziere ver-


diese wichtigen Erdsterne der Schiffe zwischen Oesel und Dvmesnäs.
^- Dies Alles zeigte uns der freundliche alte Mann und sprach
uns redselig von seinem Leben. Ich möchte wohl einmal wieder
die Welt sehen, sagte er dann —- und auch fröhliche Menschen.
Denn unter den seltenen Gästen meines Hauses sind immer zehn
Verunglückte, eh 'mal ein Froher kommt. Früher konnte ich wohl
mitunter hinüberfahren nach Schloß Dondangen; da waren meine
Sohne noch im Haus und konnten den Dienst inzwischen versehen.
Aber seitdem sind sie unter die Menschen gegangen und ich bin nun
mit der Frau allein und darf den Posten nicht verlassen, 's ist kein
leichter Posten, meine Herren! Die sechzig Jahre und die Gicht, die
ich seit dem Vorfall in den Gliedern habe, machen ihn noch
schwerer.

— Was ist das für ein Vorfall?

— Nun das erzähl' ich Ihnen heute Abend. Jetzt eilen Sie
hinaus nach der Bake. Die Sonne will bald untergehen — und
mit dem Abend kommt Nebel, fügte er nach einer kleinen Pause
bei, indem die alten Augen sich fest auf die dem Horizonte nahe
Sonnenscheibe richteten.

Wir stiegen eilig herab und riefen nach den Pferden. — Lassen
Sie die im Stall; Sie kommen noch schneller zu Fuß dorthin;
der Sand ist zu tief für die Pferde, rief der Alte.

Und er hatte Recht. Jeder Schritt vorwärts war eine Erobe¬
rung, denn bis an die Kniee fast sank man bei jedem in den Weißen
staubfeinen Sand. Dazu pfiff hier oben ein so eisiger Wind durch
den sparsamen Föhrenwald, daß wir uns tief in die Wintermäntel
wickeln mußten und dennoch Hände und Gesicht vor Kälte starrten.
Trotzdem lachte über uns der heiterste Himmel und die Sonne des
23. Juni stand an diesem Himmel. Endlich endete mit ein Paar
einzelnen verkrüppelten Wachholdersträuchen der Wald, etwa hundert
Schritte vor uns begann die See und rechts und links war sie nicht
fünfzig Fuß weit entfernt. Wie eine Fortsetzung der Meereswellen
lag nun der Sand und nur Sand auf diesem letzten Ende Kurlands
in ewig vom Winde wogenden, Fuß hohen Hügelmengen ringsum
ausgebreitet. Und inmitten dieser Sandfluthen standen drei Gebäude:
zwei Leuchtthürme und ein russisches Wachhaus. Die Schildwache
rief uns erblickend in's Gewehr; unsere Bärte ließ sie Offiziere ver-


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[0470] diese wichtigen Erdsterne der Schiffe zwischen Oesel und Dvmesnäs. ^- Dies Alles zeigte uns der freundliche alte Mann und sprach uns redselig von seinem Leben. Ich möchte wohl einmal wieder die Welt sehen, sagte er dann —- und auch fröhliche Menschen. Denn unter den seltenen Gästen meines Hauses sind immer zehn Verunglückte, eh 'mal ein Froher kommt. Früher konnte ich wohl mitunter hinüberfahren nach Schloß Dondangen; da waren meine Sohne noch im Haus und konnten den Dienst inzwischen versehen. Aber seitdem sind sie unter die Menschen gegangen und ich bin nun mit der Frau allein und darf den Posten nicht verlassen, 's ist kein leichter Posten, meine Herren! Die sechzig Jahre und die Gicht, die ich seit dem Vorfall in den Gliedern habe, machen ihn noch schwerer. — Was ist das für ein Vorfall? — Nun das erzähl' ich Ihnen heute Abend. Jetzt eilen Sie hinaus nach der Bake. Die Sonne will bald untergehen — und mit dem Abend kommt Nebel, fügte er nach einer kleinen Pause bei, indem die alten Augen sich fest auf die dem Horizonte nahe Sonnenscheibe richteten. Wir stiegen eilig herab und riefen nach den Pferden. — Lassen Sie die im Stall; Sie kommen noch schneller zu Fuß dorthin; der Sand ist zu tief für die Pferde, rief der Alte. Und er hatte Recht. Jeder Schritt vorwärts war eine Erobe¬ rung, denn bis an die Kniee fast sank man bei jedem in den Weißen staubfeinen Sand. Dazu pfiff hier oben ein so eisiger Wind durch den sparsamen Föhrenwald, daß wir uns tief in die Wintermäntel wickeln mußten und dennoch Hände und Gesicht vor Kälte starrten. Trotzdem lachte über uns der heiterste Himmel und die Sonne des 23. Juni stand an diesem Himmel. Endlich endete mit ein Paar einzelnen verkrüppelten Wachholdersträuchen der Wald, etwa hundert Schritte vor uns begann die See und rechts und links war sie nicht fünfzig Fuß weit entfernt. Wie eine Fortsetzung der Meereswellen lag nun der Sand und nur Sand auf diesem letzten Ende Kurlands in ewig vom Winde wogenden, Fuß hohen Hügelmengen ringsum ausgebreitet. Und inmitten dieser Sandfluthen standen drei Gebäude: zwei Leuchtthürme und ein russisches Wachhaus. Die Schildwache rief uns erblickend in's Gewehr; unsere Bärte ließ sie Offiziere ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/470>, abgerufen am 23.07.2024.