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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nun ganz schmale Land, da liegt der weiße Sand, wie ein Leichen¬
tuch zwischen den Kiefern gebreitet. Alles Unterholz, alles Buschwerk
verschwindet und zwischen den rothbraunen, undicht stehenden Stam¬
men sieht man hinüber bis zu den Dünen der Ostsee. Das Rauschen
dieser tont auch jetzt schon mit dem des Meerbusens zusammen. Und
vor uns hoben sich aus der Einsamkeit des Waldes nur zwei kleine
Thürme, während die Leuchtthürme verschwanden. Der eine sitzt auf
einer kleinen hölzernen Kirche und der andere, weiter landeinwärts,
auf einem steinernen dickwandigen Hause. Nach diesem ritten wir
hin; denn es ist die Wohnung des Leuchtthurminspectors.

Seit zweiundzwanzig Jahren lebt hier dieser Man", abgeschnit¬
ten von der Welt und ihren Bewegungen, im Sommer und Winter
allein mit den Seinen. Er ist ein Deutscher und ein völlig durch¬
gebildeter Mann. Aber der nächste Nachbar, mit welchem er Um¬
gang Pflegen kann, ist von ihm sechs volle Meilen entfernt. Das
ist der Pfarrer des hölzernen Kirchleins am Strande. Aller vier
Wochen kommt dieser, dort die christlichen Lehren zu predigen und zu
christlichen Tugenden die Gemeinde zu ernähren. Dann kommt er
auch zum "Bakeninspector" herüber und erzählt ihm von der Welt.
Denn er wohnt dem Menschenverkehre doch näher als dieser. -- Das
Haus des Leuchtthurminspectors liegt sehr nahe dem Ende des Fest¬
landes und ringsum ist eS von den letzten Ausläufern des Strand¬
waldes umstanden. Nur auf die Kirche bleibt aus dem Hofraum
der Blick frei; aber das Meer sieht man nirgends. Und dennoch
hört man sein Brausen bis herein in die, selbst im Sommer geheizte
Stube und sein Tosen füllt häusig die Pausen des Gespräches. Um'S
aber zu sehen, muß man heraufsteigen auf das Thürmchen, welches
auf dem Hausdache reitet. Und es ist dort ein seltsamer Ausblick
in die Runde. Wir stehen mitten unter den Gipfeln des Waldes
und unsere nächste Umgebung bietet Nichts als eben nur diese. Wie
eine schwarzgrüne Moosdecke sind die Schwarzholzgipfel rings ge¬
breitet, rückwärts bis an den Horizont, vorwärts, rechtshin, linkshin
vom unbegrenzten Wasserspiegel umgeben. Selbst das Dach des Kirch-
leins und sein Glockenthurm scheiden sich nur zaghaft und unbedeut¬
sam von den Kiefern; einzig nordwärts, etwa eine Werst entfernt,
erblicken wir einen schmalen Sandstreifen zwischen Wellen und Kie-
fernschwarzgrün. Und auf dem Sande stehen die beiden Leuchtthürme,


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nun ganz schmale Land, da liegt der weiße Sand, wie ein Leichen¬
tuch zwischen den Kiefern gebreitet. Alles Unterholz, alles Buschwerk
verschwindet und zwischen den rothbraunen, undicht stehenden Stam¬
men sieht man hinüber bis zu den Dünen der Ostsee. Das Rauschen
dieser tont auch jetzt schon mit dem des Meerbusens zusammen. Und
vor uns hoben sich aus der Einsamkeit des Waldes nur zwei kleine
Thürme, während die Leuchtthürme verschwanden. Der eine sitzt auf
einer kleinen hölzernen Kirche und der andere, weiter landeinwärts,
auf einem steinernen dickwandigen Hause. Nach diesem ritten wir
hin; denn es ist die Wohnung des Leuchtthurminspectors.

Seit zweiundzwanzig Jahren lebt hier dieser Man», abgeschnit¬
ten von der Welt und ihren Bewegungen, im Sommer und Winter
allein mit den Seinen. Er ist ein Deutscher und ein völlig durch¬
gebildeter Mann. Aber der nächste Nachbar, mit welchem er Um¬
gang Pflegen kann, ist von ihm sechs volle Meilen entfernt. Das
ist der Pfarrer des hölzernen Kirchleins am Strande. Aller vier
Wochen kommt dieser, dort die christlichen Lehren zu predigen und zu
christlichen Tugenden die Gemeinde zu ernähren. Dann kommt er
auch zum „Bakeninspector" herüber und erzählt ihm von der Welt.
Denn er wohnt dem Menschenverkehre doch näher als dieser. — Das
Haus des Leuchtthurminspectors liegt sehr nahe dem Ende des Fest¬
landes und ringsum ist eS von den letzten Ausläufern des Strand¬
waldes umstanden. Nur auf die Kirche bleibt aus dem Hofraum
der Blick frei; aber das Meer sieht man nirgends. Und dennoch
hört man sein Brausen bis herein in die, selbst im Sommer geheizte
Stube und sein Tosen füllt häusig die Pausen des Gespräches. Um'S
aber zu sehen, muß man heraufsteigen auf das Thürmchen, welches
auf dem Hausdache reitet. Und es ist dort ein seltsamer Ausblick
in die Runde. Wir stehen mitten unter den Gipfeln des Waldes
und unsere nächste Umgebung bietet Nichts als eben nur diese. Wie
eine schwarzgrüne Moosdecke sind die Schwarzholzgipfel rings ge¬
breitet, rückwärts bis an den Horizont, vorwärts, rechtshin, linkshin
vom unbegrenzten Wasserspiegel umgeben. Selbst das Dach des Kirch-
leins und sein Glockenthurm scheiden sich nur zaghaft und unbedeut¬
sam von den Kiefern; einzig nordwärts, etwa eine Werst entfernt,
erblicken wir einen schmalen Sandstreifen zwischen Wellen und Kie-
fernschwarzgrün. Und auf dem Sande stehen die beiden Leuchtthürme,


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[0469] nun ganz schmale Land, da liegt der weiße Sand, wie ein Leichen¬ tuch zwischen den Kiefern gebreitet. Alles Unterholz, alles Buschwerk verschwindet und zwischen den rothbraunen, undicht stehenden Stam¬ men sieht man hinüber bis zu den Dünen der Ostsee. Das Rauschen dieser tont auch jetzt schon mit dem des Meerbusens zusammen. Und vor uns hoben sich aus der Einsamkeit des Waldes nur zwei kleine Thürme, während die Leuchtthürme verschwanden. Der eine sitzt auf einer kleinen hölzernen Kirche und der andere, weiter landeinwärts, auf einem steinernen dickwandigen Hause. Nach diesem ritten wir hin; denn es ist die Wohnung des Leuchtthurminspectors. Seit zweiundzwanzig Jahren lebt hier dieser Man», abgeschnit¬ ten von der Welt und ihren Bewegungen, im Sommer und Winter allein mit den Seinen. Er ist ein Deutscher und ein völlig durch¬ gebildeter Mann. Aber der nächste Nachbar, mit welchem er Um¬ gang Pflegen kann, ist von ihm sechs volle Meilen entfernt. Das ist der Pfarrer des hölzernen Kirchleins am Strande. Aller vier Wochen kommt dieser, dort die christlichen Lehren zu predigen und zu christlichen Tugenden die Gemeinde zu ernähren. Dann kommt er auch zum „Bakeninspector" herüber und erzählt ihm von der Welt. Denn er wohnt dem Menschenverkehre doch näher als dieser. — Das Haus des Leuchtthurminspectors liegt sehr nahe dem Ende des Fest¬ landes und ringsum ist eS von den letzten Ausläufern des Strand¬ waldes umstanden. Nur auf die Kirche bleibt aus dem Hofraum der Blick frei; aber das Meer sieht man nirgends. Und dennoch hört man sein Brausen bis herein in die, selbst im Sommer geheizte Stube und sein Tosen füllt häusig die Pausen des Gespräches. Um'S aber zu sehen, muß man heraufsteigen auf das Thürmchen, welches auf dem Hausdache reitet. Und es ist dort ein seltsamer Ausblick in die Runde. Wir stehen mitten unter den Gipfeln des Waldes und unsere nächste Umgebung bietet Nichts als eben nur diese. Wie eine schwarzgrüne Moosdecke sind die Schwarzholzgipfel rings ge¬ breitet, rückwärts bis an den Horizont, vorwärts, rechtshin, linkshin vom unbegrenzten Wasserspiegel umgeben. Selbst das Dach des Kirch- leins und sein Glockenthurm scheiden sich nur zaghaft und unbedeut¬ sam von den Kiefern; einzig nordwärts, etwa eine Werst entfernt, erblicken wir einen schmalen Sandstreifen zwischen Wellen und Kie- fernschwarzgrün. Und auf dem Sande stehen die beiden Leuchtthürme, 5,9»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/469>, abgerufen am 23.07.2024.