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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Schiffssegel am Horizonte und wenige Tage später erinnert keine
Spur mehr daran, daß auch das Meer vom Winter bezwungen
ward, der noch monatelang alles Land in Schnee begraben erhält.

So aber war's nickt, als wir zum letzten Male dort am Strande
hinaufritten gen Domesnäs. Der kurze Sommer war gekommen
und eilig that die nordische Pflanzenwelt ihr jährlich wiederkehrendes
Lebensgeschäft ab, um nicht vom frühen Froste darin überrascht zu
werden. Ja selbst unter den wenigen Bewohnern des Strandes
herrschte ein aufgeregtes Leben und lustig glänzte die Sonne auf eine
spiegelglatte Wasserfläche nieder. Denn am andern Tage fiel das
Fest des Johannes Baptista, derjenige Festtag, den Letten, Eschen und
Liven am höchsten im ganzen Jahre feiern. Und dazu bereitete sich
heut alle Welt. Darum waren die Fischerhütten mit frischem Grün
geschmückt und die Segelboote der Fischer, heute häufiger denn sonst
an's Ufer gezogen, waren durch Birkenzweige und Fichtenreifer über¬
schattet vom Rumpfe bis hinauf in die Mastspitze. Fröhlicher als
sonst scholl dem Reiter der lettische Gruß: Q-it> <jivo, neuen^ XuuKs
(Guten Tag, Herr) entgegen. ES war, als erwache urplötzlich hier
oben der Beginn eines noch niemals dagewesenen Lebens.

Nur die Pflanzenwelt ward immer ärmlicher, je näher wir der
Nordspitze kamen. Vorher waren die Dünen spärlich wohl, aber doch
mit verschiedenem Grün auf der Höhe geschmückt und selbst im Sande
ihrer Seeseite lief mitunter ein grüner Rasenstrich bis herab zu dem
Strandwege. Aber je näher der Landspitze, desto einförmiger und
dunkler stehen die Bäume und Bäumchen des Strandwaldes, bis
endlich nur die Tannen und Kiefern noch ihre kümmerliche Nahrung
dem Boden abkämpfen. Je näher Domesnäs, desto schmaler wird
aber auch der Strandweg, desto schroffer springen felsartig die Dünen
aus den Wellen und oftmals trauet ein überhängender Baum dem
Reiter mit Vernichtung. Plötzlich ändert sich auch Aussehen und
Gruß der Begegnenden. Anstatt des gewohnten I^ad <Ile"i schallt
Ihn miiir entgegen. Denn so grüßen die Liven.

Begraben im Dunkel der Vergessenheit liegt alle vorchristliche
Geschichte der Urbewohner baltischer Lande. Auch die Sage, die
alte mystische Lehrerin, wirst keinen Dämmerschein in diese Nacht.
Am undurchdringlichsten aber bleibt solche Dunkelheit in der Geschichte
der Liven. Früher ein so machtvoller Stamm, daß sie der unge-


Schiffssegel am Horizonte und wenige Tage später erinnert keine
Spur mehr daran, daß auch das Meer vom Winter bezwungen
ward, der noch monatelang alles Land in Schnee begraben erhält.

So aber war's nickt, als wir zum letzten Male dort am Strande
hinaufritten gen Domesnäs. Der kurze Sommer war gekommen
und eilig that die nordische Pflanzenwelt ihr jährlich wiederkehrendes
Lebensgeschäft ab, um nicht vom frühen Froste darin überrascht zu
werden. Ja selbst unter den wenigen Bewohnern des Strandes
herrschte ein aufgeregtes Leben und lustig glänzte die Sonne auf eine
spiegelglatte Wasserfläche nieder. Denn am andern Tage fiel das
Fest des Johannes Baptista, derjenige Festtag, den Letten, Eschen und
Liven am höchsten im ganzen Jahre feiern. Und dazu bereitete sich
heut alle Welt. Darum waren die Fischerhütten mit frischem Grün
geschmückt und die Segelboote der Fischer, heute häufiger denn sonst
an's Ufer gezogen, waren durch Birkenzweige und Fichtenreifer über¬
schattet vom Rumpfe bis hinauf in die Mastspitze. Fröhlicher als
sonst scholl dem Reiter der lettische Gruß: Q-it> <jivo, neuen^ XuuKs
(Guten Tag, Herr) entgegen. ES war, als erwache urplötzlich hier
oben der Beginn eines noch niemals dagewesenen Lebens.

Nur die Pflanzenwelt ward immer ärmlicher, je näher wir der
Nordspitze kamen. Vorher waren die Dünen spärlich wohl, aber doch
mit verschiedenem Grün auf der Höhe geschmückt und selbst im Sande
ihrer Seeseite lief mitunter ein grüner Rasenstrich bis herab zu dem
Strandwege. Aber je näher der Landspitze, desto einförmiger und
dunkler stehen die Bäume und Bäumchen des Strandwaldes, bis
endlich nur die Tannen und Kiefern noch ihre kümmerliche Nahrung
dem Boden abkämpfen. Je näher Domesnäs, desto schmaler wird
aber auch der Strandweg, desto schroffer springen felsartig die Dünen
aus den Wellen und oftmals trauet ein überhängender Baum dem
Reiter mit Vernichtung. Plötzlich ändert sich auch Aussehen und
Gruß der Begegnenden. Anstatt des gewohnten I^ad <Ile«i schallt
Ihn miiir entgegen. Denn so grüßen die Liven.

Begraben im Dunkel der Vergessenheit liegt alle vorchristliche
Geschichte der Urbewohner baltischer Lande. Auch die Sage, die
alte mystische Lehrerin, wirst keinen Dämmerschein in diese Nacht.
Am undurchdringlichsten aber bleibt solche Dunkelheit in der Geschichte
der Liven. Früher ein so machtvoller Stamm, daß sie der unge-


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[0466] Schiffssegel am Horizonte und wenige Tage später erinnert keine Spur mehr daran, daß auch das Meer vom Winter bezwungen ward, der noch monatelang alles Land in Schnee begraben erhält. So aber war's nickt, als wir zum letzten Male dort am Strande hinaufritten gen Domesnäs. Der kurze Sommer war gekommen und eilig that die nordische Pflanzenwelt ihr jährlich wiederkehrendes Lebensgeschäft ab, um nicht vom frühen Froste darin überrascht zu werden. Ja selbst unter den wenigen Bewohnern des Strandes herrschte ein aufgeregtes Leben und lustig glänzte die Sonne auf eine spiegelglatte Wasserfläche nieder. Denn am andern Tage fiel das Fest des Johannes Baptista, derjenige Festtag, den Letten, Eschen und Liven am höchsten im ganzen Jahre feiern. Und dazu bereitete sich heut alle Welt. Darum waren die Fischerhütten mit frischem Grün geschmückt und die Segelboote der Fischer, heute häufiger denn sonst an's Ufer gezogen, waren durch Birkenzweige und Fichtenreifer über¬ schattet vom Rumpfe bis hinauf in die Mastspitze. Fröhlicher als sonst scholl dem Reiter der lettische Gruß: Q-it> <jivo, neuen^ XuuKs (Guten Tag, Herr) entgegen. ES war, als erwache urplötzlich hier oben der Beginn eines noch niemals dagewesenen Lebens. Nur die Pflanzenwelt ward immer ärmlicher, je näher wir der Nordspitze kamen. Vorher waren die Dünen spärlich wohl, aber doch mit verschiedenem Grün auf der Höhe geschmückt und selbst im Sande ihrer Seeseite lief mitunter ein grüner Rasenstrich bis herab zu dem Strandwege. Aber je näher der Landspitze, desto einförmiger und dunkler stehen die Bäume und Bäumchen des Strandwaldes, bis endlich nur die Tannen und Kiefern noch ihre kümmerliche Nahrung dem Boden abkämpfen. Je näher Domesnäs, desto schmaler wird aber auch der Strandweg, desto schroffer springen felsartig die Dünen aus den Wellen und oftmals trauet ein überhängender Baum dem Reiter mit Vernichtung. Plötzlich ändert sich auch Aussehen und Gruß der Begegnenden. Anstatt des gewohnten I^ad <Ile«i schallt Ihn miiir entgegen. Denn so grüßen die Liven. Begraben im Dunkel der Vergessenheit liegt alle vorchristliche Geschichte der Urbewohner baltischer Lande. Auch die Sage, die alte mystische Lehrerin, wirst keinen Dämmerschein in diese Nacht. Am undurchdringlichsten aber bleibt solche Dunkelheit in der Geschichte der Liven. Früher ein so machtvoller Stamm, daß sie der unge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/466>, abgerufen am 23.07.2024.