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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Die Landtagspropositionen und die öffentliche
Meinung in Preußen.



Selten ist wohl die allgemeine Erwartung so enttäuscht worden,
wie durch die jüngsten Landtagspropositionen. Da6 Gerücht, eine
Erweiterung und Fortbildung des Ständcinstituts, Reichsstände und
eine Reichsverfassung stünden bevor, war allgemein verbreitet. War
auch Grund genug zu Zweifeln vorhanden, so sprach auf der andern
Seite so Manches wieder für die Wahrscheinlichkeit. Wenigstens
sprach sich in dem Anklange, in dem Glauben, den das Gerücht all¬
gemein sand, das im Volke allgemein gefühlte Bedürfniß aus, die
allgemein erkannte Nothwendigkeit einer zur Staatseinheit führenden
Reichsverfassung statt der den Staat in mehrere Staaten zerlegenden
Provinzialverfassung. Hatten sich doch Preußens größte Staatsmän¬
ner, die in der Zeit der Noth und Gefahr das Steuerruder führten,
die den Staat aus seiner tiefsten Erniedrigung erhoben, für die Noth¬
wendigkeit einer Reichsverfassung ausgesprochen. Nur durch eine
Repräsentation für den ganzen Staat, sagte der Staatskanzler Har-
denberg in einer Rede, könne allein Ein Geist, Ein Nationalinteresse
an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provinzialansichten
treten. Hatte doch schon der Freiherr von Stein im Jahre 1808 die
Nothwendigkeit einer allgemeinen Nationalrepräsentation
erkannt, durch die jeder active Staatsbürger, er besitze hundert Hufen
oder eine, er treibe Landwirthschaft oder Fabrikation oder Handel,
er habe ein bürgerliches Gewerbe, oder er sei durch geistige Bande
an den Staat geknüpft, ein Recht zur Repräsentation habe. "Von
der Ausführung oder Beseitigung eines solchen Planes hängt Wohl
und Wehe unseres Staates ab, denn auf diesem Wege allein kann
der Nationalgeist positiv erweckt und belebt werden." Zehn Jahre


Grknibotcn, I"is. I. 57
Die Landtagspropositionen und die öffentliche
Meinung in Preußen.



Selten ist wohl die allgemeine Erwartung so enttäuscht worden,
wie durch die jüngsten Landtagspropositionen. Da6 Gerücht, eine
Erweiterung und Fortbildung des Ständcinstituts, Reichsstände und
eine Reichsverfassung stünden bevor, war allgemein verbreitet. War
auch Grund genug zu Zweifeln vorhanden, so sprach auf der andern
Seite so Manches wieder für die Wahrscheinlichkeit. Wenigstens
sprach sich in dem Anklange, in dem Glauben, den das Gerücht all¬
gemein sand, das im Volke allgemein gefühlte Bedürfniß aus, die
allgemein erkannte Nothwendigkeit einer zur Staatseinheit führenden
Reichsverfassung statt der den Staat in mehrere Staaten zerlegenden
Provinzialverfassung. Hatten sich doch Preußens größte Staatsmän¬
ner, die in der Zeit der Noth und Gefahr das Steuerruder führten,
die den Staat aus seiner tiefsten Erniedrigung erhoben, für die Noth¬
wendigkeit einer Reichsverfassung ausgesprochen. Nur durch eine
Repräsentation für den ganzen Staat, sagte der Staatskanzler Har-
denberg in einer Rede, könne allein Ein Geist, Ein Nationalinteresse
an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provinzialansichten
treten. Hatte doch schon der Freiherr von Stein im Jahre 1808 die
Nothwendigkeit einer allgemeinen Nationalrepräsentation
erkannt, durch die jeder active Staatsbürger, er besitze hundert Hufen
oder eine, er treibe Landwirthschaft oder Fabrikation oder Handel,
er habe ein bürgerliches Gewerbe, oder er sei durch geistige Bande
an den Staat geknüpft, ein Recht zur Repräsentation habe. „Von
der Ausführung oder Beseitigung eines solchen Planes hängt Wohl
und Wehe unseres Staates ab, denn auf diesem Wege allein kann
der Nationalgeist positiv erweckt und belebt werden." Zehn Jahre


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[0451] Die Landtagspropositionen und die öffentliche Meinung in Preußen. Selten ist wohl die allgemeine Erwartung so enttäuscht worden, wie durch die jüngsten Landtagspropositionen. Da6 Gerücht, eine Erweiterung und Fortbildung des Ständcinstituts, Reichsstände und eine Reichsverfassung stünden bevor, war allgemein verbreitet. War auch Grund genug zu Zweifeln vorhanden, so sprach auf der andern Seite so Manches wieder für die Wahrscheinlichkeit. Wenigstens sprach sich in dem Anklange, in dem Glauben, den das Gerücht all¬ gemein sand, das im Volke allgemein gefühlte Bedürfniß aus, die allgemein erkannte Nothwendigkeit einer zur Staatseinheit führenden Reichsverfassung statt der den Staat in mehrere Staaten zerlegenden Provinzialverfassung. Hatten sich doch Preußens größte Staatsmän¬ ner, die in der Zeit der Noth und Gefahr das Steuerruder führten, die den Staat aus seiner tiefsten Erniedrigung erhoben, für die Noth¬ wendigkeit einer Reichsverfassung ausgesprochen. Nur durch eine Repräsentation für den ganzen Staat, sagte der Staatskanzler Har- denberg in einer Rede, könne allein Ein Geist, Ein Nationalinteresse an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provinzialansichten treten. Hatte doch schon der Freiherr von Stein im Jahre 1808 die Nothwendigkeit einer allgemeinen Nationalrepräsentation erkannt, durch die jeder active Staatsbürger, er besitze hundert Hufen oder eine, er treibe Landwirthschaft oder Fabrikation oder Handel, er habe ein bürgerliches Gewerbe, oder er sei durch geistige Bande an den Staat geknüpft, ein Recht zur Repräsentation habe. „Von der Ausführung oder Beseitigung eines solchen Planes hängt Wohl und Wehe unseres Staates ab, denn auf diesem Wege allein kann der Nationalgeist positiv erweckt und belebt werden." Zehn Jahre Grknibotcn, I»is. I. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/451>, abgerufen am 23.07.2024.