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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Constitution bilden? Dem armen Pelz in Schlesien wird, wie man
hört, fortwährend hart zugesetzt. Das Bischen Freiheit, daS er für
die Caution von eintausend Thälern erlangte, wird ihm jeden Augen¬
blick durch neue Verurtheilung'en wegen dieses oder jenes Wortes in
einer Zeitung geschmälert. Edg. Bauer hat ein unverhältnißmäßig
härteres Urtheil getroffen, als den Vers, der "preußischen Bureaukratie"
Carl Heinzen, der so glücklich war, am Rhein prozessirt zu werden,
wo es weniger kritisches Bewußtsein, aber zehnmal so viel freien Bür¬
gergeist gibt als in d-n Berliner Landen. So viel ist gewiß, an dem
Tage, wo Preußen eine Konstitution bekommt, kann die Bureaukratie
einen Aschermittwoch feiern und unter ihren Mitgliedern ein allgemei¬
nes Aweckfasten ausschreiben. Um sich noch einmal gütlich zu thun,
-- wie man zum Schluß des Carnevals den Humor am tollsten treibt,
-- sollte sie doch noch eine Untersuchung gegen einen der Rebusse ein¬
leiten, die der Jllustrirten aus Berlin eingesandt werden und die offen¬
bar voll entfernter hochverräterischer Beziehungen zu sein pflegen.

-- Aus Wien wird uns die Reduction der Militardienstzeit von
vierzehn auf acht Jahre gemeldet (das Nähere darüber können wir,
wegen Mangel an Raum, erst die folgende Woche mittheilen.) Wir erken¬
nen mit unserem Corresp. dieVortheile dieser Maßregel an, aber eine wirk¬
liche Heilung der österreichischen Armeekrankheit ist ohne den Sturz
des Haslingers nicht denkbar; und dieser Vetter Haslinger ist doch nur
ein dummer Stock,--Nichts als der Prügel und das Szepter des Korporals.

-- Das allgemeine Gespräch des Tages -- schreibt man uns aus
Paris, ist eine so eben erschienene Schrift von Michelet, der diesmal
nicht blos die Jesuiten, sondern die Priesterschaft überhaupt angreift.
Diese Schrift, die alle Gemüther aufregt und von der schon am drit¬
ten Tage eine zweite Auflage gedruckt werden mußte, führt den Titel:
"Priester, Weib und Familie." Das Büchlein hat viel rhetorische
und deklamatorische Elemente, sagt aber auch viel große und schlagende
Wahrheiten. Das Schlußkapitel hat einige Verwandtschaft mit Ron-
ge's Sendschreiben an die niedere Geistlichkeit, so weit nämlich zwischen
einem Jünger der Philosophie des vorigen Jahrhunderts und einem
katholischen -- wenn auch excommunicirten -- Geistlichen die Geistcs-
Verwandtschast gehen kann. Wir werden zur Chacakterisirung dieser
Schrift im nächsten Heft die Hauptstellen aus Michelet's Vorrede mit¬
theilen.

-- Börnstein erklärt in der Deutschen Allgemeinen, daß er, allen
officiellen und nichtofsiciellen Denunciationen zum Trotz, in Paris
bleiben dürfe und bleiben werde. Dem Rheinischen Beobachter ist also
seine kindliche Freude verdorben. Dieses solide Blatt des Herrn Pro¬
fessor Berche hatte nicht umhin gekonnt, die schöne Gelegenheit, da


Constitution bilden? Dem armen Pelz in Schlesien wird, wie man
hört, fortwährend hart zugesetzt. Das Bischen Freiheit, daS er für
die Caution von eintausend Thälern erlangte, wird ihm jeden Augen¬
blick durch neue Verurtheilung'en wegen dieses oder jenes Wortes in
einer Zeitung geschmälert. Edg. Bauer hat ein unverhältnißmäßig
härteres Urtheil getroffen, als den Vers, der „preußischen Bureaukratie"
Carl Heinzen, der so glücklich war, am Rhein prozessirt zu werden,
wo es weniger kritisches Bewußtsein, aber zehnmal so viel freien Bür¬
gergeist gibt als in d-n Berliner Landen. So viel ist gewiß, an dem
Tage, wo Preußen eine Konstitution bekommt, kann die Bureaukratie
einen Aschermittwoch feiern und unter ihren Mitgliedern ein allgemei¬
nes Aweckfasten ausschreiben. Um sich noch einmal gütlich zu thun,
— wie man zum Schluß des Carnevals den Humor am tollsten treibt,
— sollte sie doch noch eine Untersuchung gegen einen der Rebusse ein¬
leiten, die der Jllustrirten aus Berlin eingesandt werden und die offen¬
bar voll entfernter hochverräterischer Beziehungen zu sein pflegen.

— Aus Wien wird uns die Reduction der Militardienstzeit von
vierzehn auf acht Jahre gemeldet (das Nähere darüber können wir,
wegen Mangel an Raum, erst die folgende Woche mittheilen.) Wir erken¬
nen mit unserem Corresp. dieVortheile dieser Maßregel an, aber eine wirk¬
liche Heilung der österreichischen Armeekrankheit ist ohne den Sturz
des Haslingers nicht denkbar; und dieser Vetter Haslinger ist doch nur
ein dummer Stock,—Nichts als der Prügel und das Szepter des Korporals.

— Das allgemeine Gespräch des Tages — schreibt man uns aus
Paris, ist eine so eben erschienene Schrift von Michelet, der diesmal
nicht blos die Jesuiten, sondern die Priesterschaft überhaupt angreift.
Diese Schrift, die alle Gemüther aufregt und von der schon am drit¬
ten Tage eine zweite Auflage gedruckt werden mußte, führt den Titel:
„Priester, Weib und Familie." Das Büchlein hat viel rhetorische
und deklamatorische Elemente, sagt aber auch viel große und schlagende
Wahrheiten. Das Schlußkapitel hat einige Verwandtschaft mit Ron-
ge's Sendschreiben an die niedere Geistlichkeit, so weit nämlich zwischen
einem Jünger der Philosophie des vorigen Jahrhunderts und einem
katholischen — wenn auch excommunicirten — Geistlichen die Geistcs-
Verwandtschast gehen kann. Wir werden zur Chacakterisirung dieser
Schrift im nächsten Heft die Hauptstellen aus Michelet's Vorrede mit¬
theilen.

— Börnstein erklärt in der Deutschen Allgemeinen, daß er, allen
officiellen und nichtofsiciellen Denunciationen zum Trotz, in Paris
bleiben dürfe und bleiben werde. Dem Rheinischen Beobachter ist also
seine kindliche Freude verdorben. Dieses solide Blatt des Herrn Pro¬
fessor Berche hatte nicht umhin gekonnt, die schöne Gelegenheit, da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/449>, abgerufen am 22.07.2024.