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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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"Preußen durchgeführt, jetzt auch ein politischer folgt, so kann
"ihm kein Mensch mehr die Hegemonie in Deutschland aus der Hand
"winden. Alle Sympathien, die man noch bei uns für Oesterreich
hat, werden durch den einen Schlag von Preußen überflügelt."

---"Und doch hätte die Sache auch seine großen Vortheile
für die österreichische Politik. Vergessen Sie nicht, daß Oesterreich
jetzt keinen gefährlichern Feind als Rußland hat. Eine Konstitution
in Preußen aber ist die vollständigste Jsolirung Rußlands. Es ist
eine Mauer zwischen demselben und dem westlichen Europa. Das Cabinet
von Se. Petersburg muß von dieser Stunde an seine Politik gegen
Oesterreich ändern. Es muß seine Freundschaft suchen und das Wie¬
ner Cabinet hat in seiner Allianz fortan die Wahl."

----"Aber glauben Ew. Ercellenz nicht andererseits,
daß bei einem eintretenden Kriegsfall Deutschland durch die Schwä¬
chung Oesterreichs verlieren würde? Meines Erachtens ist es von
einer allgemeinen europäischen Wichtigkeit, daß zwischen Frankreich
und Rußland ein starkes einiges Deutschland steht, welches im Stande
ist, dem Einen wie dem Andern zu imponiren und so Beide zurück¬
hält, ihre Eroberungsgelüste auf Kosten der Nachbarn zu befriedigen.
Wie nun, wenn Oesterreich durch die preußische Hegemonie zu einer
russischen Allianz getrieben wird und Deutschland auf solche Weise
nicht nur eine Stütze weniger, sondern einen Gegner mehr erhält?"
-- "Dies ist nicht zu erwarten. Eine Allianz zwischen Nußland und
Oesterreich, gegenüber Deutschland, ist fast eben so undenkbar, als
eine Allianz zwischen Preußen und Frankreich. Gute Nachbarschaft
mögen sie halten, aber den Wolf zum Hüter seiner Schafe wird kei¬
ner machen. Oesterreich hat in Ungarn und Böhmen von den Rus¬
sen eben so viel zu fürchten, als Preußen in den Rheinlanden von
den Franzosen. Ja noch weit mehr! Denn Deutschland würde durch
die Energie, welche die neuen Institutionen dem preußischen Volke
gäben, so viel gewinnen, als es auf der andern Seite verliert. Ein
constitutionelles Preußen hat für seine Rheinlands die Gegenwart der
Franzosen nicht mehr zu fürchten. Eine Allianz zwischen Berlin und
Paris wird dadurch fortan nicht so unmöglich. Wie wäre aber dann
die Lage Oesterreichs; von Preußen in Deutschland, von Frankreich
in Italien bedrängt, einen falschen Freund an der Seite, würde ihm
selbst kaum die Hilfe Englands aus der Noth helfen. Und zählen denn


„Preußen durchgeführt, jetzt auch ein politischer folgt, so kann
„ihm kein Mensch mehr die Hegemonie in Deutschland aus der Hand
„winden. Alle Sympathien, die man noch bei uns für Oesterreich
hat, werden durch den einen Schlag von Preußen überflügelt."

---„Und doch hätte die Sache auch seine großen Vortheile
für die österreichische Politik. Vergessen Sie nicht, daß Oesterreich
jetzt keinen gefährlichern Feind als Rußland hat. Eine Konstitution
in Preußen aber ist die vollständigste Jsolirung Rußlands. Es ist
eine Mauer zwischen demselben und dem westlichen Europa. Das Cabinet
von Se. Petersburg muß von dieser Stunde an seine Politik gegen
Oesterreich ändern. Es muß seine Freundschaft suchen und das Wie¬
ner Cabinet hat in seiner Allianz fortan die Wahl."

----„Aber glauben Ew. Ercellenz nicht andererseits,
daß bei einem eintretenden Kriegsfall Deutschland durch die Schwä¬
chung Oesterreichs verlieren würde? Meines Erachtens ist es von
einer allgemeinen europäischen Wichtigkeit, daß zwischen Frankreich
und Rußland ein starkes einiges Deutschland steht, welches im Stande
ist, dem Einen wie dem Andern zu imponiren und so Beide zurück¬
hält, ihre Eroberungsgelüste auf Kosten der Nachbarn zu befriedigen.
Wie nun, wenn Oesterreich durch die preußische Hegemonie zu einer
russischen Allianz getrieben wird und Deutschland auf solche Weise
nicht nur eine Stütze weniger, sondern einen Gegner mehr erhält?"
— „Dies ist nicht zu erwarten. Eine Allianz zwischen Nußland und
Oesterreich, gegenüber Deutschland, ist fast eben so undenkbar, als
eine Allianz zwischen Preußen und Frankreich. Gute Nachbarschaft
mögen sie halten, aber den Wolf zum Hüter seiner Schafe wird kei¬
ner machen. Oesterreich hat in Ungarn und Böhmen von den Rus¬
sen eben so viel zu fürchten, als Preußen in den Rheinlanden von
den Franzosen. Ja noch weit mehr! Denn Deutschland würde durch
die Energie, welche die neuen Institutionen dem preußischen Volke
gäben, so viel gewinnen, als es auf der andern Seite verliert. Ein
constitutionelles Preußen hat für seine Rheinlands die Gegenwart der
Franzosen nicht mehr zu fürchten. Eine Allianz zwischen Berlin und
Paris wird dadurch fortan nicht so unmöglich. Wie wäre aber dann
die Lage Oesterreichs; von Preußen in Deutschland, von Frankreich
in Italien bedrängt, einen falschen Freund an der Seite, würde ihm
selbst kaum die Hilfe Englands aus der Noth helfen. Und zählen denn


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[0430] „Preußen durchgeführt, jetzt auch ein politischer folgt, so kann „ihm kein Mensch mehr die Hegemonie in Deutschland aus der Hand „winden. Alle Sympathien, die man noch bei uns für Oesterreich hat, werden durch den einen Schlag von Preußen überflügelt." ---„Und doch hätte die Sache auch seine großen Vortheile für die österreichische Politik. Vergessen Sie nicht, daß Oesterreich jetzt keinen gefährlichern Feind als Rußland hat. Eine Konstitution in Preußen aber ist die vollständigste Jsolirung Rußlands. Es ist eine Mauer zwischen demselben und dem westlichen Europa. Das Cabinet von Se. Petersburg muß von dieser Stunde an seine Politik gegen Oesterreich ändern. Es muß seine Freundschaft suchen und das Wie¬ ner Cabinet hat in seiner Allianz fortan die Wahl." ----„Aber glauben Ew. Ercellenz nicht andererseits, daß bei einem eintretenden Kriegsfall Deutschland durch die Schwä¬ chung Oesterreichs verlieren würde? Meines Erachtens ist es von einer allgemeinen europäischen Wichtigkeit, daß zwischen Frankreich und Rußland ein starkes einiges Deutschland steht, welches im Stande ist, dem Einen wie dem Andern zu imponiren und so Beide zurück¬ hält, ihre Eroberungsgelüste auf Kosten der Nachbarn zu befriedigen. Wie nun, wenn Oesterreich durch die preußische Hegemonie zu einer russischen Allianz getrieben wird und Deutschland auf solche Weise nicht nur eine Stütze weniger, sondern einen Gegner mehr erhält?" — „Dies ist nicht zu erwarten. Eine Allianz zwischen Nußland und Oesterreich, gegenüber Deutschland, ist fast eben so undenkbar, als eine Allianz zwischen Preußen und Frankreich. Gute Nachbarschaft mögen sie halten, aber den Wolf zum Hüter seiner Schafe wird kei¬ ner machen. Oesterreich hat in Ungarn und Böhmen von den Rus¬ sen eben so viel zu fürchten, als Preußen in den Rheinlanden von den Franzosen. Ja noch weit mehr! Denn Deutschland würde durch die Energie, welche die neuen Institutionen dem preußischen Volke gäben, so viel gewinnen, als es auf der andern Seite verliert. Ein constitutionelles Preußen hat für seine Rheinlands die Gegenwart der Franzosen nicht mehr zu fürchten. Eine Allianz zwischen Berlin und Paris wird dadurch fortan nicht so unmöglich. Wie wäre aber dann die Lage Oesterreichs; von Preußen in Deutschland, von Frankreich in Italien bedrängt, einen falschen Freund an der Seite, würde ihm selbst kaum die Hilfe Englands aus der Noth helfen. Und zählen denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/430>, abgerufen am 23.07.2024.