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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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"stitutionelle Verfassung ist vor der Hand in Oesterreich eine Utopie,
,weil sie die Provinzen selbst nicht ein Mal von Herzen wünschen."

ttvI-Alt rvlvi-c"! Ob es wahr ist, daß die Provinzen, wenn man
sie fragen würde, keine konstitutionelle Central-Verfassung wünschten?
Ob nicht, was man unter "den Provinzen" versteht, grade der Adel
ist? Ob nicht die verschiedenen Interessen gerne dem Centralinteresse
geopfert würden, wenn man dafür das Gut einer volksthümlichen
Vertretung, einer freien Presse, eines bessern Gerichtszustandes, einer
gleichmäßigem Steuervcrtheilung erhielte? Ob man die frühere Ge¬
schichte nicht bereitwillig durch einen Strich abtheilen würde von die¬
ser glorreichen neuen Epoche, mit welcher jetzt die Geschichte Oester¬
reichs beginnen würde? Ob nicht die Sprachstreitigkeiten in den
Hintergrund treten würden vor der Nothwendigkeit eines zur allge¬
meinen Freiheit unumgänglichen centralen Staatslebens? Ob nicht
die Negierung hundertfach wiedergewänne, was sie auf der einen
Seite einbüßen würde? Dies will ich nicht beantworten, denn ich bin
Preuße. "Sie kennen Oesterreich zu wenig," pflegt man hier zu den
Fremden zu sagen. Gut, ich will thun, als sei Oesterreich China
und mir kein Urtheil erlauben. Aber ich führe Sie in einen Kreis,
wo man die preußische Constitutionsfrage vom Gesichtspunkt der
äußern Angelegenheiten betrachtet. Ich führe Sie in den
Salon eines auswärtigen Diplomaten, wo man, da kein Oesterreicher
grade zugegen ist, die österreichische Politik nicht immer auf daS
Nachsichtsvollste kritisirt Wir stehen so eben von Tisch ans, der Wein
hat die Zungen etwas gelöst; man sitzt in dem an den Speisesaal
angrenzenden Cabinet gemüthlich um den Kamin und trinkt im Halb¬
kreise seinen Kaffee.

"Wenn es dem König mit einer reichsständischen Verfassung in
"Preußen wirklich Ernst ist, so ist Oesterreichs Einfluß in Deutschland
"untergraben. Erinnern Sie sich noch, wie glrichgiltig man hier die
"ersten Nachrichten von der Constituirung eines deutschen Zollvereins
"aufnahm? Allerdings sah die Sache damals kleiner aus. Man
"glaubte weder an die Durchführung des Planes, noch überschaute
"man seine politischen Folgen. Und nun ist der Zollverein eine Macht
"geworden, die nicht nur durch den Tractat mit Belgien bis an die
"Nordsee sich erstreckt, sondern mit Süd- und Nordamerika Unter¬
handlungen anknüpft. Wenn dem commercialen Staatsstreich, den


„stitutionelle Verfassung ist vor der Hand in Oesterreich eine Utopie,
,weil sie die Provinzen selbst nicht ein Mal von Herzen wünschen."

ttvI-Alt rvlvi-c»! Ob es wahr ist, daß die Provinzen, wenn man
sie fragen würde, keine konstitutionelle Central-Verfassung wünschten?
Ob nicht, was man unter „den Provinzen" versteht, grade der Adel
ist? Ob nicht die verschiedenen Interessen gerne dem Centralinteresse
geopfert würden, wenn man dafür das Gut einer volksthümlichen
Vertretung, einer freien Presse, eines bessern Gerichtszustandes, einer
gleichmäßigem Steuervcrtheilung erhielte? Ob man die frühere Ge¬
schichte nicht bereitwillig durch einen Strich abtheilen würde von die¬
ser glorreichen neuen Epoche, mit welcher jetzt die Geschichte Oester¬
reichs beginnen würde? Ob nicht die Sprachstreitigkeiten in den
Hintergrund treten würden vor der Nothwendigkeit eines zur allge¬
meinen Freiheit unumgänglichen centralen Staatslebens? Ob nicht
die Negierung hundertfach wiedergewänne, was sie auf der einen
Seite einbüßen würde? Dies will ich nicht beantworten, denn ich bin
Preuße. „Sie kennen Oesterreich zu wenig," pflegt man hier zu den
Fremden zu sagen. Gut, ich will thun, als sei Oesterreich China
und mir kein Urtheil erlauben. Aber ich führe Sie in einen Kreis,
wo man die preußische Constitutionsfrage vom Gesichtspunkt der
äußern Angelegenheiten betrachtet. Ich führe Sie in den
Salon eines auswärtigen Diplomaten, wo man, da kein Oesterreicher
grade zugegen ist, die österreichische Politik nicht immer auf daS
Nachsichtsvollste kritisirt Wir stehen so eben von Tisch ans, der Wein
hat die Zungen etwas gelöst; man sitzt in dem an den Speisesaal
angrenzenden Cabinet gemüthlich um den Kamin und trinkt im Halb¬
kreise seinen Kaffee.

„Wenn es dem König mit einer reichsständischen Verfassung in
„Preußen wirklich Ernst ist, so ist Oesterreichs Einfluß in Deutschland
„untergraben. Erinnern Sie sich noch, wie glrichgiltig man hier die
„ersten Nachrichten von der Constituirung eines deutschen Zollvereins
„aufnahm? Allerdings sah die Sache damals kleiner aus. Man
„glaubte weder an die Durchführung des Planes, noch überschaute
„man seine politischen Folgen. Und nun ist der Zollverein eine Macht
„geworden, die nicht nur durch den Tractat mit Belgien bis an die
„Nordsee sich erstreckt, sondern mit Süd- und Nordamerika Unter¬
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[0429] „stitutionelle Verfassung ist vor der Hand in Oesterreich eine Utopie, ,weil sie die Provinzen selbst nicht ein Mal von Herzen wünschen." ttvI-Alt rvlvi-c»! Ob es wahr ist, daß die Provinzen, wenn man sie fragen würde, keine konstitutionelle Central-Verfassung wünschten? Ob nicht, was man unter „den Provinzen" versteht, grade der Adel ist? Ob nicht die verschiedenen Interessen gerne dem Centralinteresse geopfert würden, wenn man dafür das Gut einer volksthümlichen Vertretung, einer freien Presse, eines bessern Gerichtszustandes, einer gleichmäßigem Steuervcrtheilung erhielte? Ob man die frühere Ge¬ schichte nicht bereitwillig durch einen Strich abtheilen würde von die¬ ser glorreichen neuen Epoche, mit welcher jetzt die Geschichte Oester¬ reichs beginnen würde? Ob nicht die Sprachstreitigkeiten in den Hintergrund treten würden vor der Nothwendigkeit eines zur allge¬ meinen Freiheit unumgänglichen centralen Staatslebens? Ob nicht die Negierung hundertfach wiedergewänne, was sie auf der einen Seite einbüßen würde? Dies will ich nicht beantworten, denn ich bin Preuße. „Sie kennen Oesterreich zu wenig," pflegt man hier zu den Fremden zu sagen. Gut, ich will thun, als sei Oesterreich China und mir kein Urtheil erlauben. Aber ich führe Sie in einen Kreis, wo man die preußische Constitutionsfrage vom Gesichtspunkt der äußern Angelegenheiten betrachtet. Ich führe Sie in den Salon eines auswärtigen Diplomaten, wo man, da kein Oesterreicher grade zugegen ist, die österreichische Politik nicht immer auf daS Nachsichtsvollste kritisirt Wir stehen so eben von Tisch ans, der Wein hat die Zungen etwas gelöst; man sitzt in dem an den Speisesaal angrenzenden Cabinet gemüthlich um den Kamin und trinkt im Halb¬ kreise seinen Kaffee. „Wenn es dem König mit einer reichsständischen Verfassung in „Preußen wirklich Ernst ist, so ist Oesterreichs Einfluß in Deutschland „untergraben. Erinnern Sie sich noch, wie glrichgiltig man hier die „ersten Nachrichten von der Constituirung eines deutschen Zollvereins „aufnahm? Allerdings sah die Sache damals kleiner aus. Man „glaubte weder an die Durchführung des Planes, noch überschaute „man seine politischen Folgen. Und nun ist der Zollverein eine Macht „geworden, die nicht nur durch den Tractat mit Belgien bis an die „Nordsee sich erstreckt, sondern mit Süd- und Nordamerika Unter¬ handlungen anknüpft. Wenn dem commercialen Staatsstreich, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/429>, abgerufen am 23.07.2024.